Afrikareise - versumpft... II

Erzählung zum Thema Abenteuer

von  pentz

23.08.2015 Sonntag

20 Uhr
Wir sind auf die Sseze-Inseln gefahren. [ßesese].
Die Sseze-Inseln sind eine Inselkolonie auf dem Viktoriasee, der der zweitgrößte Binnensee auf der Welt ist.

Wir sind auf der Anfahrt zu Andrews Onkel. Der Neffe will dem Onkel ein Mittelchen mitbringen, dass er testen soll und bei Bewährung geliefert bekommt. Ich habe nicht realisiert, welche Umstände dafür gegeben sind. Aber bald werde ich es erfahren.
Es wird schon düster, als wir immer noch auf dem See schaukeln und gegen die unsichtbare Insel tuckern. Erst sind Lichter sichtbar, aha, denke ich, das heißt, es ist Nacht geworden. Die Nacht ist sehr erhellt wegen des prallen Mondes. Je näher wir den Lichtern kommen, desto deutlicher sind Lärmgeräusche vernehmbar, die, obwohl wir noch keine 500 Meter ran sind, schon unangenehm laut im Ohr widerhallen. Hoffentlich befindet sich Onkel Andrews Wohnsitz möglichst weit weg von diesem Höllenlärm, bete und bitte ich inständig.
Als wir aus dem Schiff geklettert sind, machen wir uns auf dem Weg zwischen den Schiffen am Strand. Das Meer säumt unsere Füße, Knöcheln, Waden. Hauptsache wir sind heil angekommen und kommen weit weg von diesem Diskotheken-Terror. Aber wir gehen doch darauf zu!
Richtig, sie hat Zugang zum Strand, verbeulte und ausrangierte Holzliegen stehen davor, dann kommt eine kleine Mauer, die das Meer zu einem schotterbelegten Platz begrenzt, die Tanzfläche. Eine Stirnseite hat ein Podest, wo wohl die Platten aufgelegt werden, dahinter ist zwar eine Wand hat, aber kein Dach. Na, Hauptsache ist, wenn die betrunkenen Tänzer vom Podest fallen, dann auf den Tanz“boden“. Der gegenüberliegenden Seite ist ein Rückzugsraum aus Bambus errichtet, wo man Essen, Trinken und Privatisieren kann. Die Querlinie ist vom Getränkeausschank und einem Raum, in dem die Essensausgabe stattfindet, begrenzt. Zwischen Separee-Raum und dieser schlüpften wir hinaus in die Straßen des anbeiliegenden Dorfes.
Andrews Onkels Wohnraum ist ein Zimmer irgendwo inmitten des Dorfes. Um dorthin zu gelangen, muss man sich durch einen engen Zwischenraum zweier Häuser zwängen, durch den ich vor Dicke und fettem Bauch gerade so komme. Der Wohnraum hat zwei Mal drei Meter Größe, aber drei Meter Höhe, als Dach eine Wellblechplatte.
Im ersten Moment denkt man, eines armen Schluckers Lebensmöglichkeit, qualvoll und afrikanisch, weil aus drei Richtungen Lärm dringt, von daher Diskomusik, von dorther Fernsehlärm und hinwiederum anbei der Straßenlärm.
Der Besitzer ist aber ein reicher Mann. Er ist der Eigentümer der Disko.
Er besitzt zwei Söhne, einer kümmert sich um die gastronomischen Belange, der andere, von dem noch die Rede sein wird, ist der Juniorchef und moderiert via Mikrofon die „Livemusik“ der aus den Konserven kommenden Diskosampler.


Ich darf mein Zelt erhört auf einem Felsen über dem Dorf aufschlagen. Andrews Onkel präsentiert mir diesen Platz wie ein Geschenk. Ich weiß es zu würdigen.
Ich bin hoch oben und etwas entfernt vom Diskoschauplatz, wo ich mich jederzeit zurückziehen kann. Andrew wird das nicht können, denn er ist dazu gezwungen, im Separee zu nächtigen und da wird es die ganze Nacht hoch hergehen. Doch befürchte ich, mein Schlaf könnte vom Wummern der Konservenmusik empfindlich gestört werden und entschließe mich, mich in Vorbereitung und Prophylaxe darauf leicht zu narkotisieren. Mit ein paar gutem afrikanischen Bieren tappe ich mich über Schleichwegen, über Stegen von kleinen dreckigen Gruben und einem ziemlichen Hang hinauf zu meinem privilegierten Schlafort.
Ich achte sehr darauf, dass die unzähligen Insekten im Gras nicht mit in mein Schlafgemach dringen, als ich mich betrunken in dieses hineinschlüpfe und -verkrieche. Nachts wache ich zweimal auf. Überall um mich herum schwirrt es. Von weit her höre ich sonstige Geräusche. Das Meer schlägt laut an den Strand. Ich bin in Afrika. Was willst Du mehr? So wiege ich mich wieder in den Schlummer...
Morgens sehe ich zwei frei lebende graue Affen einen Baum hochklettern.
Wir warten zwei Stunden aufs Frühstück. Einer der zwei Söhne des Onkels von Andrew hat es uns angekündigt.
Inzwischen gehe ich durchs Dorf, an jeder Hand vier kleine Kinder und damit ein stückweit aus der Siedlung heraus. Ich komme mir wie ein prominenter Westler vor, der durch ein armes afrikanisches Dorf zieht und promeniert und von allen freudig begrüßt und umringt wird.
Ich komme zurück. Wir warten weiter auf das Frühstück.
Wir freuten uns auf Chapati, Weizen und Salz auf Öl wie Crepé gebacken, eine Art Pfannkuchen ist unsere Mahlzeit neben den obligatorischen, sprich gebräuchlichen, unvermeidlichen und köstlichen irischen Kartoffeln. Warum sie gerade so heißen, kann mir keiner sagen.
Eier soll’s normalerweise dazu geben, fehlen aber als Frühstücksbeilage.
„Das dauert aber sehr, sehr lange“, sagt Andrew.
Spät kommt doch das Frühstück.

Dann mit Boda-Bodas unterwegs. (Mopeds - kommt vom Ausdruck, von einem Border-zum-anderen-Border fahren, wobei Border Grenze eines Landes meint.)
Zum anderen Ufer der Insel gefahren, von dort mit einem Boot auf den Kontinent zurück, sprich dem Festland Ugandas, in einem Boot wie Boatpeople. Wasser schwappt herein, das Fischerboot ist bis zum letzten Winkel mit Menschen und ihren Habseligkeiten, hier meist, landwirtschaftliche Produkten, beladen.

Dann mit dem Taxi (kleinem Bus) zum Äquator gefahren und die Südhalbkugel der Erde übertreten, das erste Mal in meinem Leben.
Ich war so bewegt und gerührt, dass ich dann, was sein musste, einen sehr teueren Americano-Kaffee getrunken und, ist auch schon egal, Milch zusätzlich gecharged (bestellt und zu bezahlen) habe.

Wir machen einen Abstecher und fahren zum Mburo-Pappillon-Schmetterlings-und-feuchtem-Tropenwald-Eco-Tourist-Park , wo Bäume und Buntfalter aller Arten zu beobachten und zu besichtigen sind.
Wir trafen einen Ornithologen, seine Frau, ein behindertes Kind, eine Dunkelhäutige mit Baby auf dem Rücken. Der Wissenschaftler gibt uns eine kleine Kostprobe seines wissenschaftlichen Schatzes über diesen Park und seinen Bewohnern kund.
Insbesondere den Schnabel-Horn-Vogel fände man hier. Er hob dazu zwei olivfarbene, meist grüne, exotische Federn in die Höhe.
Er meinte, gut eine Woche bräuchte man für diesen Park, wollte man ihn ausschöpfen.
Die Vögel seien treu bis in den Tod, das Männchen füttere die Brut und das Weibchen. Dieses würde sich in ihre Baumhöhle einmauern lassen und über eine kleine Öffnung vom Mann füttern lassen.
„Das fasziniert Sie?“
„Ja, äh!“ , verdutzt.
Die Frau hinter ihm lacht verhalten und hebt zu mir gerichtet den Daumen in die Höhe.
Ich merke jetzt, dass dieser Mann derartig stark nach Autan riecht, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktreten muss. Zur Erlösung ruft solch ein Vogel nach dem Vogelkundler und wir können uns trennen.
Ich habe meinen Pullover, sprich Überzieher an einem Ast gehängt, da wir unweigerlich wieder zurückkommen mussten bei dieser Einbahnstraße von Weg und wir übersahen diesen prompt, als wir in einer Klärung über das, was Acre und Hektar sei und gebeugt über das Handy, uns vertieft hatten – so Andrews Erklärung, weswegen wir die Weste nicht wahrgenommen hatten auf unserem Rückweg.
„Wir waren sehr, sehr vertieft in unser Gespräch“.
Mit Bus, Motorrad und Schiff zurückgekommen auf die Sseze-Insel um 20 Uhr

Wir sind zurück am Strand, an jener überlauten Disko, wo neben dem DJ, ausschließlich die Musik einspielend, ein Moderator übers Mikrofon dauernd blöde Bemerkungen einstreut und kleine Musiktrailer einspielt wie LKW- oder Schiffs-Gehube, um den Eindruck zu erwecken, hier tanze der Bär und ginge die Post ab, dabei sind es doch nur hin und wieder ein paar Versprenkte, die sich bislang eingefunden haben.
Neben unserer Bambus-Hütten-Bleibe wird ständig eine Billard-Kugeln angeschlagen und die Bambusstecken ermöglichen freien Einblick, der meist jüngere Leute beim Spiel offenbart.
Zwischendurch kommt ein Sohn des Besitzers, Collin, in unsere Schlaf-, Ruhe- und Essbleibe, gleichfalls aus Bambusstecken errichtet und mit bequemen Sesseln und Tischen versehen, um mich nach unseren Reiserfahrungen zu befragen. Ich übergebe das Wort an Andrew, um ungestört weiterschreiben zu können. Collin ist der Juniorchef hier und redet ständig diesen Blödsinn in die Musik hinein. Er hat eine aufrechte Hünengestalt, einen Stoppelbart und trägt eine dicke Wollmütze, sprich macht ein bisschen auf Rastafa-Mann. Ich bewundere seine stets aufrechte Haltung, die ihm angeboren ist oder weil er sich so erhaben fühlt, ein Chef zu sein.
Ich kann diesem Schwachsinn um mich nur durch unhöfliches, unaufhörliches Schreiben entfliehen, womit ich auf anregendere Gedanken komme als die, die ich hätte, wenn ich der Musik zuhörte. Diese kann man nur ertragen, wenn Menschen um einen herum sind, die einen davon ablenken oder dieses Tagebuch. Ist Disko-Musik ohnehin schon eine Zumutung, so sind die Einsprengsel von Collin das Häubchen auf der Sahne, aber eines aus Gift.

Andrew wacht auf und ich bekomme immerhin etwas Abwechslung durch eine Zwischenbitte von ihm, der Geld haben will. Damit verbunden ist meist ein kleines Gespräch, so einfach nur um Geld zu bitten, ziemt sich nicht.
Andrew schläft inzwischen wieder mal sitzend. Er hustet fortgesetzt, da er an einer sehr staubigen Straße wohnt. Staublunge und trockene Kehle?
Er, der keine Zahnbürste mit sich hat, bohrt mit einem geschälten Stöckchen zwischen seinen Zähnen als Zahnreinigung.
Aha, von daher rühren seine und die vieler anderer Zeitgenossen weit auseinanderstehenden Zähne her und da er gerade wieder in seinen betäubten, paralysierten, katatonischen und horizontalen Schlafzustand verfallen ist, hat er sich dieses Stückchen mit der Hand vor dem Mund getan wie ein Kleinkind seinen Schnuller.
Seine Zahnpflegetätigkeit erstreckt sich durch den ganzen Tag, er hält also das Holzstücken immerzu im Mund bohrt darin herum.
Da er keine Zahnbürste mit sich hat, fuhrwerkt er also mit einem geschälten Stöckchen oder Hölzchen zwischen seinen Zähnen als Zahnreinigung. Von irgendwoher auf dem sandigen Boden hat er es aufgegabelt.

Immerhin habe ich wieder eine graue Affenart gesehen, Mutter mit Kind, in freier Wildbahn lebend, man bedenke, dass wir im Zoo von Entebbe nur Schimpansen beobachten konnten. Diese grauen Affen sollen nach Berggorillas und Schimpansen erst an ziemlich letzter Stelle zum Menschen stehen, jedenfalls zählt diese nicht als App oder Monkey.
Jedes abgekochte Wasser auf der Insel hier in einem Plastikbeutel gereicht, kostet etwas. Es ist zum Zähneputzen unentbehrlich. Leitungswasser schlägt sich sofort mit Brandwunden am Zahnfleisch nieder.
Straßenverkäufer am Straßenrand bieten einem von der Straße her in den Bus hinein Poke-Fleisch an, sprich Schweinefleisch, das einem auf einem Stöckchen gereicht wird. Mageres und fettiges Fleisch wechseln sich darauf ab. Beide kriege ich nicht hinunter. Beim ersten Versuch habe ich mir das Zahnfleisch wundgebissen. Auch das knoppelige, magere Fleisch ist nicht kaubar. Später treffe ich aber Personen, die auf dieses Zeug abfahren und es bekömmlich finden.
Aber ich rufe aus, weil es sich so anfühlt: „I’m bleeding now.” “Ich blute nun!”.

Man wundert sich über das Chaos in Afrika, achtlos weggeworfene Abfallhaufen, Fliegen, Mücken und Sterberaten durch AIDS mit kurzer Lebenserwartung und gleichzeitig viele Kinder in die Welt gesetzt, schon sehr früh, so bald die Mädchen geschlechtsreif sind – alle Menschen leben zukunftslos in den Tag hinein, nur seinen Bequemlichkeiten und Lüsten frönend, nicht über den Tag hinausgedacht. Aber alle sind sehr geschäftig, bemüht Geld zu verdienen, ob ständig auf Achse oder nicht.
Gehört beides zusammen – Achtlosigkeit der Natur gegenüber (Kinder, Abfälle) und Zukunftslosigkeit (der Menschheit)? Das Chaos und dieses Verhalten entsteht wohl nur durch die Stärke der Natur: brütende Fliegen und Bazillen, Viren und Seuchen als Folge und Ursache, die nicht in den menschlichen Griff zu kriegen sind. Hier triumphiert die Natur über den Menschen.
Wer nicht Afrika kennt, kennt die Menschen nicht!


Versumpft! Viktoriasee


24. August 2015 Montag

12 Uhr
Sseze-Insel – „Zum Tode Verurteilte bekommen wenigstens ihre Henkersmahlzeit.“
Die Sonne steht frühmorgens wie ein Ballon am Himmel, ein roter bis orangener.
Sturmwind ist, die Wellen schaukeln bis zur halben Höhe wie bei einer Kirmes-Schiffsschaukel, dass es einem den Magen umdreht. Mit gähnender Leere im Magen müssen wir mit dem Boot von der Insel abfahren.
Denn es eilt.
Darf ich dem ganzen trauen?
Ich schrak mit zusammen, als ich eine Frau anblickte, die aufs Meer schaute; zusammenzuckte und schon ein Schiff kentern sah. Die musste doch Erfahrung haben, dachte ich. Ich bekam es auch mit der Angst zu tun.
Andrew deutete auf den größten Mann dort und beschwichtigte mich mit der Bemerkung: „Das dort ist der Besitzer des Bootes, das uns nach Hause bringt. Er hat die meiste Erfahrung.“ Das klang beruhigend, Erfahrung zum einen, zudem wird ein Besitzer kaum leichtsinnig sein Boot in Gefahr bringen, oder?
Obwohl hoher Wellengang war, weigerte ich mich zum Boot getragen zu werden. All die anderen hatte es auch nicht nötig. Der Besitzer selbst wollte mich auf seinem Kopf zwischen meinen Beinen schultern, aber ich wehrte ab, mit meinen 120 Kilogramm schien er mir zu schwach zu sein oder weil ich mich vor den Dutzenden einheimischer Zuschauern schämte. Sie schienen eh nur mit Mühe das Lachen zu unterdrücken.
Erstaunlich viele waren hier versammelt und schauten zu, was sich heute tat. Schaulustige standen niemals ohne Grund zusammen, oder?
Das war sie wieder, die Angst!
Meine letzten Zweifel verscheute Collin, der Disko-Musik-Malträtierer mit seiner aufrechten Haltung, die er sich habituiert, sprich angewöhnt hat, seit dem er der Sub- und Juniorchef, sprich der Nachfolger des Besitzers ist. „Mein Freund, keine Gefahr!“
Die salbungsvollen Worte lassen mich trotzdem fühlen und denken: Ich hätte nicht die Hand dafür ins Feuer legen wollen.
Alles ging jetzt schnell, zum Nachdenken keine Zeit, wir bekamen Schwimmwesten ausgehändigt, so dass wir uns im Falle des Falles wenigstens in den Sumpf oder an die aus dem Wasser ragenden Bäume retten konnten, wo wir uns nur mit Schlangen, Krokodilen oder einem Hippopótamas rumschlagen konnten, durften und mussten. Plastikplanen über uns gezogen und gehalten, worauf das Wasser der hohen Wellenkämme schlug, würden uns einigermaßen trocken halten und so ging’s los, in den Sturm hinein.
Sämtliche Schwimmwesten passten mir nicht. Oje, war das peinlich, was bin ich doch für ein fetter Brocken von Mensch!
Der Chef lieh mir seine. Der war auch nicht ohne also, auch ein Beleibter, wie beruhigend, stehe ich nicht allein mit meiner Dickleibigkeit.
Der Einstieg ins Boot gelang mir tatsächlich alleine. Mein Gewicht reichte glücklicherweise nicht aus, damit das Gefährt umkippte. Hat so ein Kahn ohnehin bloß 30 Zentimeter Freiboot, so spritzte das Wasser heftig auf mich drauf, weil jedoch in geduckter Haltung unter der Plane verborgen, ohne mich einzunässen.
Dann war mit einem Mal alles still. Sümpfe, wo herum kaum Wellen schlugen im Gegensatz zu den Stein- und Sandinseln. Zunächst kriegte ich nicht auf die Reihe, was ich sah: dünne Bäume, die bis fast zur Krone im Wasser standen. Wütete da vor kurzem die Sintflut, war jetzt Überschwemmung? Nein, das war eine andere Vegetation, als ich sie gewohnt war.
Im Sumpf: wie überlebt man dort? Schlangeneier essen, fruchtige Insekten, Rauben, wenn ein Affe kommt, Affenfleisch oder wenn man aus dem dicken Baum und Sträuchern eine Angel macht, Fischfleisch verzehren.
Das klingt wie ein Witz. Mach mal Feuer in der freien Wildbahn. Und dann im Sumpfgebiet, wo alles nass und feucht ist?
In dieser Beugehaltung unter der Plane, Blick auf die nassen Bootsplanken, blühte meine Phantasie wie die verdorbenste, schönste Sumpfpflanze.
Kentert das Boot, kannst Du Dich auf der See nur ins Sumpfgebiet retten und versuchen zu überleben. In der Zwischenzeit musst Du Dir Gedanken machen, wie Du Dich von Schlangen, Flusspferden und Krokodilen schützen, entfernen und entfliehen kannst. Angenommen, Du verharrst auf einem Baum, bist Du gerettet bist, hast Du als einzige Chance Deine Freundlichkeit gegenüber den wilden Tieren.
Sei so freundlich als möglich! Immer lächeln, aber nicht zu viel Zähne zeigen. Das könnte falsch aufgefasst werden.
Also, für alle drei Tierchen bist Du zum Freiwild geworden und ausgeliefert. Solltest Du diese überleben, können Dich aber die Wasserwellen locker an den steinigen Inseln zerschellen lassen. Sie bilden wohl Widerstand, was den See aufregt und auf sich bringt. Da nützt Dir die Schwimmweste gar nichts.
Muss ja nicht sein.
Du hälst Dich über Wasser, ein bisschen mit den Gliedern paddeln und rudern musst schon, mehr braucht’s nicht, wende am besten das Gesicht von der Richtung des Sturmwindes ab. Immer Richtung Sümpfe steuern, geradewegs zu den wartenden, gierigen Tierchen!
Am Allerbesten wäre es jedoch, Du klammerst Dich an das unsinkbare Boot, wie behauptet wird, solange, bis der Sturm sich gelegt hat. Schafft es ein Passagier sein Handy zu zücken und zu bedienen, fischt Dich vielleicht ein sich erbarmender anderer Kahn heraus.

„That doesn’t smell great!“, sagte Andrew in britisch-nüchternem Understatement, “Das riecht nicht gerade großartig!”, als wir die erste Station, eine kleine Insel erreichten.
Außer Möwen kreisten ziemlich niedrig darüber ein imposanter, breitflügeliger Falke, Bussard oder Adler. Denke man nicht an das Symbol eines Pleitegeiers, denn da liegt man hier falsch. Die Dinge liegen völlig anders.
Überall lag Abfall. Von Dreck, Staub, Bröseln, kurzum Abfällen aller Art durchwachsener Staub bildete den Gehweg zwischen den holzverschlagenen Hütten, die schief auf- und aneinander genagelt worden sind mit dreckig-grauen Holzverschlägen wie aus der vorletzten Steinzeit und wodurch der Wind pfiff und wehte, dass man glaubte einen hohen Ton zu hören.
Auf den Wellblech-Dächern türmte sich wertvoller Abfall: beschädigte, lecke Wasser-Kanister, vielleicht irgendein Boot-Werkzeug, sonstiges verstreut Liegendes und Undefinierbares.
Auf diesen Inseln lebten Menschen, dichtgedrängt.
Dieser Anblick machte mich erst einmal eine Stunde lang sprachlos.
Oh, Andrew, wenn ich Dich nicht gehabt hätte.
Durch seine Erläuterungen wurde dieser schrecklichste aller schrecklichen Eindrücke meines Lebens durch die Tatsache abgemildert, dass 2/3 Drittel dieser Menschen 1/3 ihrer Zeit auf dem Festland zubringen sollen. Nur zum Arbeiten, zum Fischen kommen sie hierher.
Das verbleibende Drittel lebt und verbleibt aber ständig hier.
Das ist eine andere Welt als die, aus der selbst Andrew kommt, welche durch seine intermittierenden, sprich gelegentlichen Hustenanfälle deutlich ausgedrückt wird. Mittlerweile war ich an einiges gewöhnt, bildete ich mir ein, aber das erste Mal hier spürte ich pures Entsetzen, wie in meiner Kindheit, in der ich mir die Hölle oder das Gefängnis vorstellte: ständige nichtunterbrochene Qualen und Schmerzen, an die man sich nicht gewöhnen kann, auch wenn das dem Bild des Menschen als Gewohnheitstier zuwiderläuft.
Nein, dauerhaft nimmt man den Schmerz wahr, keine Flucht ist möglich - das ist das Gefühl und die Vorstellung vom Leben auf so einer Insel der Verdammten, das man selbst spüren muss, um es zu verstehen, alle Worte sind vergeblich. Ich habe es nur in meiner Kindheit erfahren, als mir meine Vater Angst machte, wenn er mich stundenlang in den dunklen, kühlen Keller sperrte oder der Pfarrer, wenn er von der ewigen Verdammnis schillernd sprach und sie zu evozieren und heraufbeschwören verstand.
Das Herz der Finsternis schlägt auf diesen Inseln.
Die offizielle Schreibweise dieses Landes lautet zwar: „Die schwarze Perle Afrikas“, aber es handelt sich halt um eine undurchdringliche schwarze.
Ich schwieg eine sehr lange Zeit danach und unvermögend des geringsten Lautes und Wortes.
Der durchdringende Geruch auf diesen Inseln rührte vom frittiertem Fisch her. Herd und Kühlschränke dürften hier nicht existieren, so dass die Meeresbeute kaum anders als in traditioneller Weise zubereitet, gelagert und konserviert werden muss.
Auf so einem Eiland bist du fixiert, sprich „verdammt“. Willst Du etwa ins Ungewisse hinausschwimmen, so lange, bist Du im weiten Meer nicht mehr kannst zu schwimmen und zu paddeln, der Kräfte beraubt und verlassen, bis du entgültig sinkst und ertrinkst? Aber natürlich, du kannst auch den Helden spielen.

Wir kommen auf dem Festland an, ich will aussteigen, sacke aber gleich den Frachtgut-Stücken von der Bootsreling ins undurchsichtige, braune und schäumende Wasser, jegliche Unterstützung von Personen zurückweisend – I’m a woman? (Bin ich eine Frau?). Ich komme schwankend auf Grund auf ohne auszugleiten, recke gute Miene zum gefährlichen Spiel siegerartig die Arme in die Höhe im Angesichts von Hunderten auf mich gerichteter Augen.
Erschallt Händeklatschen? Lacht man über Dich?
Nein, Du Hysteriker, Du Hypochonder!
Aber ein wohlwollendes Lachen, das Dich tröstet.
„It’s a big man!“, sagt eine Frau in der Warteschlange, was in meinem Ohr alles andere als gut klang und mir gefiel. Ich bin und will doch kein „großer Mann“ sein, was sie doch gesagt hat, nicht „tall“. Ist Mann/Frau in Afrika, wenn man fett und beleibt ist, so etwas wie eine herausragende Person? Hatten die anderen Boatpeople nicht deswegen gelacht, als ich mich zum Gewichtsausgleich auf die andre Seite setzen musste, weil das Schiffchen merklich sich auf diese gesenkt hatte?

Worunter ich leide, sind diese Menschen hier befreit: kein Nikotin und keine Fettleibigkeit.

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Kommentare zu diesem Text


 idioma (21.09.15)
sehr mutig + ehrlich = lesenswert !
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