Afrikareise - Ausflüge in Nationalparks III
Erzählung zum Thema Abenteuer
von pentz
5 Uhr
Busfahrt – Fußballübertragung im Radio, zwei Kommentatoren, einer spricht, der andere kommentiert dieses mit: „Eh“ – „Ah“ –„De“ „Ahja“.
Fühle mich gut.
„Wohin kann man da den Abfall tun?“, frage ich Andrew.
„Eh?“
Ich wiederhole den Satz.
„De!!“ Pause. Andrew kratzt sich am Kopf.
„Ich verstehe nicht.“ Erneutes Schweigen, während der sich seine Augen vergrößern und weiten und „Ach so! Nun verstehe ich. Klar. Gute Frage.“
Ich und er schauen einander an, dann sich um und nichts ist zu sehen, was dazu geeignet wäre. Im Rinnstein liegt Abfall, im Graben, auf dem Dach, überall.
Ich wage es nicht, ich traue mich nicht, ich stecke alles in meine sämtliche Taschen.
Als ich alleine bin, schaue ich mich wieder um, hier- und dorthin. Ich sehe keinen Abfalleimer. Ich lasse das Papier in der Seitentasche. Vorerst.
Ich greife in meine Tasche, als ich mich unbeobachtet fühle. Da ist das Papier. Soll ich oder soll ich nicht? Sicherheitshalber schaue ich noch gründlicher in sämtliche Himmelsrichtungen. Ich sehe keinen Müllbehälter, -eimer, -tonne, -container, irgendetwas in der Art.
Ich drehe mich erneut um.
Gibt es das? Nirgendwo eine Möglichkeit der Entledigung des Abfalls.
„Entsorgung“, plötzlich fährt mir dieser komische Begriff durch den Kopf und macht Sinn. Überflüssige Dinge bereiteten einem Sorgen. Auf der Wegwerfgesellschaft lastet eine erdrückende Hypothek. Wie befreit man sich davon?
Indem man den Abfall fallen lässt – wie ich es mir nicht traue zu tun.
„Müllabfuhr?“; auch so ein sinniges Wort. Isst der Mann den Abfall und lässt er danach einen fahren?
Fährt er ihn weg?
Nein, er bereitet den „Abfall“ so vor, dass er ihn wegfahren lässt, halt, dass er weg-, ab-, losgefahren werden kann...
Warum heißt es denn nicht. „Müllwegfuhr“?
Weil er schon so vorbereitet ist, dass er abgefahren werden kann...
Die Todesängste gehen vorüber, schwächen sich zumindest ab und ich wage es: Er fällt, der Abfall, ich sehe ihm zu, wie er fällt, fällt wie das Laub im Herbst.
Was ich hier mache ist eine Todsünde.
Ich bin in einem anderen Land.
Ich darf ich es, hier bleibt mir nichts anderes übrig, wenngleich in dem Land, woher ich komme, die Umstände die gleichen sind: weit und breit kein Abfallbehälter.
Ich stecke ihn mir ein, den Abfall, ich würde ansonsten erschossen werden, nachdem ich von einer Drohne entlarvt und aufgezeichnet worden bin. Nein, da trage ich ihn lieber mit mir herum, nervtötend. Bis nach Hause,
Aber ich bin jetzt in einem anderen Land.
Noch lächle ich, wenn ich die Menschen sehe, wie sie ihren Hausmüll einfach vor ihrer Haustüre in den Regen-Abzugs-Graben zwischen Grundstück und Straße werfen, ein ansehnlicher, bunter, stinkiger Berg wölbt sich dort über den Hügel die Rinne hinunter.
Ich bin halt in einem anderen Land, ich gewöhne mich daran, ich merke es gar nicht, ich mache es genauso, diese Sorge bin ich los...
Ich werfe die Dinge achtlos weg, wo immer ich gehe und stehe.
25.08.2015 Dienstag
Gestern hat mir Andrew auf einer Autofahrt in die Stadt erzählt, Joanita könne momentan nicht arbeiten. Sie sei krank. Sie müsse den Laden vernachlässigen, zu hause bleiben, leider.
„Nein, ich bin nicht krank. Ich muss mich um Dich kümmern“, erwiderte Joanita. „Solange Du da bist, helfe ich Dir.“
Es schmeichelte mir.
Davon erwähnte ich Andrew nichts.
Einmal sagte sie zu ihm: „Cloe ist krank. Ich kann nicht arbeiten.“
Cloe sah pummperlgesund aus.
Ich wollte mich nicht in die Beziehung beider einmischen.
19 Uhr
Mpanga Forest.
Erneut im tropischen Regenwald.
Auf einem anderen Schmetterlingspfad gewandert, der noch beeindruckender sein sollte. Keine Schmetterlinge war weit und breit zu sehen. Schliefen sie schon? Flohen sie vor meinem Nikotingeruch?
Tropischer Regenwald! – War das ein Witz? Zum Schwitzen geriet ich nur, als ich mich schließlich verlaufen hatte. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, der quer über den Weg lag. Ich hatte genug gesehen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Plötzlich machte ich etwas Großes, Hohes und Braunes aus, das da des Weges kam. Endlich, die kleinere afrikanische Elefantenart. Und sie bewegte sich gerade auf mich zu. Was ich doch für ein Glückspilz war! Aber die hatten einen riesigen Stoß Trockenholz auf dem Kopf. Wenngleich die Höhe eines Elefanten zutraf, handelte es sich um Menschen. Ich machte meinen Glimmstengel sofort aus. Bevor sie zu mir gekommen waren, schlugen sie sich in die Büsche und verließen den Weg.
Hatten die Angst vor mir? Griffen die jetzt aus dem Hinterhalt an?
Quatsch, hättest Du wohl, Du ehemaliger Karl-May-Leser!
Sie umgingen den Baumstoß in einer Schleife, nicht um mich.
„Hallo! How are You, my friend!“ Schon kamen sie hinter mir aus einem Weg heraus. Dieser beschrieb im Wald einen Halbbogen um den Baumstamm.
„Thanks, fine!“, erwiderte ich im selben britisch-geschliffenem Englisch.
Die graue, eigenartige Karawane wurde vom Düstern des Abends verschluckt und war bald völlig untergetaucht.
Ich war allein.
Ein Meer von Tönen umbranntete mich. Zikadengleich.
Ich zündete mir wieder die Zigarette an.
Ich genoss die Geräuschkulisse zwiespältig und zweifelnd im Zwielicht: das traurige, jämmerlich Bild eines süchtigen Touristen gab ich ab.
Ich schaffte es, zu meinem am Eingang des Nationalparks abgelegtem, verpacktem Zelt zu kommen. Es war verschwunden. Ich ging zum Haus, in dem ich beim letzten Besuch schwarze, von Lepra-Krankheit gezeichnete Menschen getroffen hatte. Die Frau erkannte mich wieder. Sie verwies auf ein anderes Haus und eine andere Frau. Diese hatte dort meine Sachen zu sich genommen.
Sie zeigte mir die Lodges und Cottages, als ich darum bat. Ich konnte einen geringeren Preis aushandeln. Die Häuser waren im kolonialen Stiel gehalten. Sowohl Paare als auch Einzelne konnten darin nächtigen. Über meinem Bett spann sich ein Moskitonetz gleich einem Store über einem Himmelbett.
Aber erst einmal Abendessen.
Draußen vorm Haus saß ich vor einer Bank und vor einem Tisch. Plötzlich klingelte das Telefon.
„Was immer, immer Du brauchst, kannst Du haben.“ Andrew, dies würde schwierig werden, wenn Du zig Kilometer mit Deiner nicht funktionierenden Batterie nach mir suchen wolltest.
„Danke, Andrew. Ich weiß es zu schätzen.“
Überraschend und abrupt bin ich zu meiner Reise aufgebrochen. Joanita hatte mich genervt. Sie konnte nicht aufhören, über ihre Lebensumstände zu klagen.
„Werner, ich kann Dir sagen, ich gehe noch kaputt, dieses Umfeld hier, dauernd muss ich mich darin aufhalten, niemals komme ich heraus... Mir reicht das Geld nicht!“
Ich verstand. Ich gab ihr Geld. Das beruhigte sie. Vorübergehend.
„Mir fehlt Geld, Geld, Geld...“
So war ich aufgebrochen in den tropischen Regenwald und in diesem Cottage gelandet.
Die Dusche spendete kein Wasser. Jetzt zur hübschen Vermieterin hinüberzugehen, des Nachts in der Dunkelheit über wer-weiß-für-welche-Tierchen bevölkerten Rasen zu stampfen?
Morgens rauschte fließend warmes und kaltes Wasser aus den Leitungen.
Ich erschrak darüber, dass die Zahnbürste in einen Wasserkanister neben dem Becken torkelte und darin verschwand.
Ich versuchte das Ding aus der Kiste herauszufischen.
Neben stinkender Wäsche jetzt noch Mundgeruch. Dies die nächsten Tage. Das war zu viel!
Ich drehte und wandte die Box vergeblich. Ich würde mit braunen Zähnen zurückkehren.
Ich bat die Pächterin um Hilfe. Nach der Drehung des Behälters und einer Handreichung überreichte sie mir sofort das abspenstige Ding von Zahnbürste.
Danach ergriff ich die Flucht und Rettung Richtung Nationalpark.
13 Uhr 30
Richtung Masaka, Südwesten Ugandas und schließlich am Lake Mburo Nationalpark angekommen – nach einer langen Busfahrt nach Masaka-Sanga und weiter mit einer Boda-Boda-Fahrt zum Nationalpark gekommen.
Ich streite mit dem Boda-Boda-Fahrer, mit dem ich vor den Wärtern das Missverständnis auszuräumen versuche. Er verlangt statt 4000, wie ich verstanden habe, 14000.
Die Uniformträger am Eingang mussten auch bezahlt werden, wobei einem nur ein 24stündiges Aufenthaltsrecht gewährt wird. Der horrende Eintrittspreis überrascht mich. Mit diesen Brüdern und Schwestern lässt sich leider nicht streiten und verhandeln. Die Einheimischen können sich unter diesen Umständen nicht einmal ihren eigenen Nationalpark leisten.
Ich habe im Park ein Paar getroffen, dem ich mich anschließen werde. Aber es springt doch ab. Sie sei enttäuscht, meinte die Frau, wie hier alles organisiert sei. Später treffe ich einen anderen, der mir erzählt, warum. Sie seien mittags auf den Vogel-Boottrip gewesen und da hielten natürlich alle Vogel Siesta.
Schön dumm! Noch dümmer, andere dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben.
28.08.2015 Freitag
9 Uhr 30
Bunamwaya/Kampala
Zu den Hippos im Nationalpark, die nachts zwischen den Zelten grasen.
Beruhigend war die Behauptung: „Afrikanische wilde Tiere akzeptieren Zelte“.
Die wilden Tiere Afrikas und da es sich also um richtig wilde Tiere handelte, nehmen durchaus Rücksicht gegenüber des Menschen Eigentum, damit verbunden seine Nachtruhe.
Bewundernswert wie diese Tiere erzogen worden sind!
Ausnahme, wie konnte es auch anders sein, bildete die dem Menschen artverwandteste Spezies hier. Die grauen Affen sahen das weniger eng. Ehe ich mich umgedreht hatte, war schon mein Brot stibitzt. Ich würde ihnen auch zugetraut haben, in mein Zelt hineingeguckt zu haben. So gut waren die wohl nicht erzogen. Mit einem sogar stritt ich wie in einem Slap-Stick-Film-Sketch um meinen Brotbeutel, in dem jeder an einem Ende hin und her zog. Die scharfen Kraller im Gebiss wiesen auf keine gute Kinderstube hin. Die Folgen einer leichtsinnigen Vernachlässigung der Vorkehrung, regelmäßig mindestens alle zwei Jahre den Zahnarzt aufzusuchen, sprang eindringlich ins Auge. Aber wenn die einheimischen Menschen schon keine gesetzliche Gesundheitskrankenkasse besaßen und kennen, wie sollte es sich dann schließlich bei den Affen hier verhalten?
Sie kratzten einem nicht die Augen aus. Sie überrannten einem nicht wie das gefährlichste Tier Afrikas, der Buffalo. Sie stampften einem nicht in Grund und Boden wie der Elefant und...
Womit wir wieder beim Hippo wären.
Genau, lass ihn niemals aus dem Auge, denn wie mein ugandischer Freund Andrew mir schon gesagt hatte, sie sind sehr, sehr gefährlich.
„How was the Hippo?“
„Wussten Sie, dass Nilpferde mehr Menschen töten als Löwen?“
Dabei war der Löwe bekanntlich das gefährlichste Tier.
„Vorsicht vor Hippos des Nachts! Achten sie bei ihrem nächtlichen Toilettengang auf herumgrasende Nilpferde auf dem Zeltplatz!“ Mein Touristenbuch war sehr hilfreich.
Konnte ich nachts nicht aufstehen, um zu fäkalieren, würde ich das Zelt nass machen. Andererseits lief ich Gefahr, über so ein Monstertier zu stolpern. Jeder weiß von Bildern, wie weit sie ihre Mäuler aufreißen können. Zwar stand sein Pflanzenfressertum im Widerspruch dazu, wer weiß aber? Und versperrte man einem Nilpferd den Weg zum See, gerieten sie in Panik. Unter deren Bäuche mochte ich jedenfalls nicht geraten. Ich einen Stoß versetzt bekommen, dass ich durch die Luft flog und auf diesem harten, kantigen Boden hier zerschellte wie ein Ei und plattgetreten werden wie Pfannkuchen.
„Haben Sie ein Lampe?“
„Ja, habe ich. Eine Stirnlampe!“ Der diensthabende Offizier des Nationalparks rümpfte die Nase.
Ein erfahrender Safarireisender hatte mich dagegen doch gewarnt. „Nur nicht die Hippos anleuchten!“
Dies entgegnete ich dem Einheimischen.
Dieser lachte hellauf und alle anderen um ihn stimmten ein Lied an, schien es mir: „Der Hippo kommt des Nachts!“„The Lion sleeps tonight!“/“Der Löwe schläft des Nachts!” Ich weiß nicht mehr, ob ich träumte oder wachte, jedenfalls musste ich im Zelt hier inmitten um mich äsender Flusspferd-Hypermonster schlafen und es gelang mir!
Wie?
Ich mag zwar ängstlich sein, aber diese meine Angst hatte mir nicht den Verstand geraubt.
Was?
Ich traf Vorbereitungen.
Wirklich?
Zunächst erkundete ich die Verhaltensweisen des Flusspferdes, dieses Riesenungeheuers von einem schnaubenden Tierchen. Stundenlang saß ich auf der Bank am Ufer, Auge in Auge mit ihm. Selbst als er seinen schnaubenden Kampflaut ausstieß und lostrompetete, blieb ich cool. Nur einmal sprang ich auf und versteckte mich hinter dem Baum, als ich einen nackten Hintern mit einem langen Schwanz sah, der dem eines Löwen glich. Nur ein Warzenschwein.
Zweitens errichtete ich mein Zelt unmittelbar neben der Toilette, zwar mit einigen leicht vorstellbare Nachteilen verbunden, aber Nummer eins war Sicherheit. Je kürzer der Weg bis zur Toilette, desto besser.
Völlig beruhigt war ich, als ich beim letzten Toilettengang auf einen Soldaten mit Maschinengewehr stieß. Ich freundete mich mit ihm an. Er versicherte mir, auf mein Zelt ein besonderes Augen zu werfen.
Am nächsten Morgen lebte ich noch. Tatsächlich, meine Glieder waren alle noch dran, keine Schürfwunden schmerzten, keine Beule verunzierte meinen Körper. Ich rieb mir den Schädel, um mich zu erinnern. Warst Du nicht nachts einmal auf der Toilette und doch ist Dir nichts passiert? Erstaunlich.
Ich kroch freudestrahlend aus meinem Zelt und daneben stand der Soldat und fragte schmunzelnd: „How was the Hippo?“/“Wie war der Hippo?“
„Well, ich habe überlegt. Und warum? Ha, weil ich den Hippo in die Flucht schlug!“
Der Soldat lachte. „Wie hast Du das geschafft?“
„Weißt Du mein Freund, ich ging aufs Klo. Ich rannte, weil ich Durchfall hatte. Vorher schon ließ ich die Hosen runter. Als ich mich auf die Schüssel setzen wollte, kam ich auf dem Rücken eines Hippos zu sitzen. Er wurde wild. Er lief rückwärts aus der Toilette, ich obenauf. Wie ein Pferd, ist ja auch ein Pferd, lenkte ich ihn dort- und hierhin. Es war wunderbar! Ich liebe Pferde!“
Der Soldat schaute konsterniert. Ha, natürlich nur deshalb, weil ich Deutsch gesprochen hatte. Ansonsten hätte er vor Bewunderung die Augen nicht mehr zugekriegt und mir auf den Rücken geklopft.
Ich machte mich erst einmal frisch und sauber auf der nahen Toilette. Sowie ich aus dieser trat, stand der nächste Einheimische da, um sich seinen ausgeliehenen Schlafsack und Matratze übergeben zu lassen.
„How was the Hippo?“
Seine blenden weißen Zähne funkelten im Morgenlicht.
„Well, ich schlug ihn in die Flucht. Als er auf mich zurannte, da sprang ich in die Luft, drehte mich ein paar Mal um mich selbst und kam mit meinen Beinen auf seinem Hals hernieder und riet mit ihm durch den Busch. Erst als er mir versprochen hatte, mich in Ruhe zu lassen, ließ ich ihn los.“ Was auch immer ich ihm in Deutsch verklickern wollte, er sah in mir bestimmt einen dummen Westler, dessen Gehirn zu unterentwickelt war, um sich in afrikanisches Tier hineinversetzen zu können.
Diesmal war ich vor anderen Biestern auf der Flucht. Ich musste von hier weg. Schleunigst.
Ich hatte zwanzig Kilometer bis zum Grenzzaun zu überwinden.
Derjenige am Tor zum Nationalpark rief mir nach: „How was the Hippo?“
copyright werner pentz
Busfahrt – Fußballübertragung im Radio, zwei Kommentatoren, einer spricht, der andere kommentiert dieses mit: „Eh“ – „Ah“ –„De“ „Ahja“.
Fühle mich gut.
„Wohin kann man da den Abfall tun?“, frage ich Andrew.
„Eh?“
Ich wiederhole den Satz.
„De!!“ Pause. Andrew kratzt sich am Kopf.
„Ich verstehe nicht.“ Erneutes Schweigen, während der sich seine Augen vergrößern und weiten und „Ach so! Nun verstehe ich. Klar. Gute Frage.“
Ich und er schauen einander an, dann sich um und nichts ist zu sehen, was dazu geeignet wäre. Im Rinnstein liegt Abfall, im Graben, auf dem Dach, überall.
Ich wage es nicht, ich traue mich nicht, ich stecke alles in meine sämtliche Taschen.
Als ich alleine bin, schaue ich mich wieder um, hier- und dorthin. Ich sehe keinen Abfalleimer. Ich lasse das Papier in der Seitentasche. Vorerst.
Ich greife in meine Tasche, als ich mich unbeobachtet fühle. Da ist das Papier. Soll ich oder soll ich nicht? Sicherheitshalber schaue ich noch gründlicher in sämtliche Himmelsrichtungen. Ich sehe keinen Müllbehälter, -eimer, -tonne, -container, irgendetwas in der Art.
Ich drehe mich erneut um.
Gibt es das? Nirgendwo eine Möglichkeit der Entledigung des Abfalls.
„Entsorgung“, plötzlich fährt mir dieser komische Begriff durch den Kopf und macht Sinn. Überflüssige Dinge bereiteten einem Sorgen. Auf der Wegwerfgesellschaft lastet eine erdrückende Hypothek. Wie befreit man sich davon?
Indem man den Abfall fallen lässt – wie ich es mir nicht traue zu tun.
„Müllabfuhr?“; auch so ein sinniges Wort. Isst der Mann den Abfall und lässt er danach einen fahren?
Fährt er ihn weg?
Nein, er bereitet den „Abfall“ so vor, dass er ihn wegfahren lässt, halt, dass er weg-, ab-, losgefahren werden kann...
Warum heißt es denn nicht. „Müllwegfuhr“?
Weil er schon so vorbereitet ist, dass er abgefahren werden kann...
Die Todesängste gehen vorüber, schwächen sich zumindest ab und ich wage es: Er fällt, der Abfall, ich sehe ihm zu, wie er fällt, fällt wie das Laub im Herbst.
Was ich hier mache ist eine Todsünde.
Ich bin in einem anderen Land.
Ich darf ich es, hier bleibt mir nichts anderes übrig, wenngleich in dem Land, woher ich komme, die Umstände die gleichen sind: weit und breit kein Abfallbehälter.
Ich stecke ihn mir ein, den Abfall, ich würde ansonsten erschossen werden, nachdem ich von einer Drohne entlarvt und aufgezeichnet worden bin. Nein, da trage ich ihn lieber mit mir herum, nervtötend. Bis nach Hause,
Aber ich bin jetzt in einem anderen Land.
Noch lächle ich, wenn ich die Menschen sehe, wie sie ihren Hausmüll einfach vor ihrer Haustüre in den Regen-Abzugs-Graben zwischen Grundstück und Straße werfen, ein ansehnlicher, bunter, stinkiger Berg wölbt sich dort über den Hügel die Rinne hinunter.
Ich bin halt in einem anderen Land, ich gewöhne mich daran, ich merke es gar nicht, ich mache es genauso, diese Sorge bin ich los...
Ich werfe die Dinge achtlos weg, wo immer ich gehe und stehe.
25.08.2015 Dienstag
Gestern hat mir Andrew auf einer Autofahrt in die Stadt erzählt, Joanita könne momentan nicht arbeiten. Sie sei krank. Sie müsse den Laden vernachlässigen, zu hause bleiben, leider.
„Nein, ich bin nicht krank. Ich muss mich um Dich kümmern“, erwiderte Joanita. „Solange Du da bist, helfe ich Dir.“
Es schmeichelte mir.
Davon erwähnte ich Andrew nichts.
Einmal sagte sie zu ihm: „Cloe ist krank. Ich kann nicht arbeiten.“
Cloe sah pummperlgesund aus.
Ich wollte mich nicht in die Beziehung beider einmischen.
19 Uhr
Mpanga Forest.
Erneut im tropischen Regenwald.
Auf einem anderen Schmetterlingspfad gewandert, der noch beeindruckender sein sollte. Keine Schmetterlinge war weit und breit zu sehen. Schliefen sie schon? Flohen sie vor meinem Nikotingeruch?
Tropischer Regenwald! – War das ein Witz? Zum Schwitzen geriet ich nur, als ich mich schließlich verlaufen hatte. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, der quer über den Weg lag. Ich hatte genug gesehen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Plötzlich machte ich etwas Großes, Hohes und Braunes aus, das da des Weges kam. Endlich, die kleinere afrikanische Elefantenart. Und sie bewegte sich gerade auf mich zu. Was ich doch für ein Glückspilz war! Aber die hatten einen riesigen Stoß Trockenholz auf dem Kopf. Wenngleich die Höhe eines Elefanten zutraf, handelte es sich um Menschen. Ich machte meinen Glimmstengel sofort aus. Bevor sie zu mir gekommen waren, schlugen sie sich in die Büsche und verließen den Weg.
Hatten die Angst vor mir? Griffen die jetzt aus dem Hinterhalt an?
Quatsch, hättest Du wohl, Du ehemaliger Karl-May-Leser!
Sie umgingen den Baumstoß in einer Schleife, nicht um mich.
„Hallo! How are You, my friend!“ Schon kamen sie hinter mir aus einem Weg heraus. Dieser beschrieb im Wald einen Halbbogen um den Baumstamm.
„Thanks, fine!“, erwiderte ich im selben britisch-geschliffenem Englisch.
Die graue, eigenartige Karawane wurde vom Düstern des Abends verschluckt und war bald völlig untergetaucht.
Ich war allein.
Ein Meer von Tönen umbranntete mich. Zikadengleich.
Ich zündete mir wieder die Zigarette an.
Ich genoss die Geräuschkulisse zwiespältig und zweifelnd im Zwielicht: das traurige, jämmerlich Bild eines süchtigen Touristen gab ich ab.
Ich schaffte es, zu meinem am Eingang des Nationalparks abgelegtem, verpacktem Zelt zu kommen. Es war verschwunden. Ich ging zum Haus, in dem ich beim letzten Besuch schwarze, von Lepra-Krankheit gezeichnete Menschen getroffen hatte. Die Frau erkannte mich wieder. Sie verwies auf ein anderes Haus und eine andere Frau. Diese hatte dort meine Sachen zu sich genommen.
Sie zeigte mir die Lodges und Cottages, als ich darum bat. Ich konnte einen geringeren Preis aushandeln. Die Häuser waren im kolonialen Stiel gehalten. Sowohl Paare als auch Einzelne konnten darin nächtigen. Über meinem Bett spann sich ein Moskitonetz gleich einem Store über einem Himmelbett.
Aber erst einmal Abendessen.
Draußen vorm Haus saß ich vor einer Bank und vor einem Tisch. Plötzlich klingelte das Telefon.
„Was immer, immer Du brauchst, kannst Du haben.“ Andrew, dies würde schwierig werden, wenn Du zig Kilometer mit Deiner nicht funktionierenden Batterie nach mir suchen wolltest.
„Danke, Andrew. Ich weiß es zu schätzen.“
Überraschend und abrupt bin ich zu meiner Reise aufgebrochen. Joanita hatte mich genervt. Sie konnte nicht aufhören, über ihre Lebensumstände zu klagen.
„Werner, ich kann Dir sagen, ich gehe noch kaputt, dieses Umfeld hier, dauernd muss ich mich darin aufhalten, niemals komme ich heraus... Mir reicht das Geld nicht!“
Ich verstand. Ich gab ihr Geld. Das beruhigte sie. Vorübergehend.
„Mir fehlt Geld, Geld, Geld...“
So war ich aufgebrochen in den tropischen Regenwald und in diesem Cottage gelandet.
Die Dusche spendete kein Wasser. Jetzt zur hübschen Vermieterin hinüberzugehen, des Nachts in der Dunkelheit über wer-weiß-für-welche-Tierchen bevölkerten Rasen zu stampfen?
Morgens rauschte fließend warmes und kaltes Wasser aus den Leitungen.
Ich erschrak darüber, dass die Zahnbürste in einen Wasserkanister neben dem Becken torkelte und darin verschwand.
Ich versuchte das Ding aus der Kiste herauszufischen.
Neben stinkender Wäsche jetzt noch Mundgeruch. Dies die nächsten Tage. Das war zu viel!
Ich drehte und wandte die Box vergeblich. Ich würde mit braunen Zähnen zurückkehren.
Ich bat die Pächterin um Hilfe. Nach der Drehung des Behälters und einer Handreichung überreichte sie mir sofort das abspenstige Ding von Zahnbürste.
Danach ergriff ich die Flucht und Rettung Richtung Nationalpark.
13 Uhr 30
Richtung Masaka, Südwesten Ugandas und schließlich am Lake Mburo Nationalpark angekommen – nach einer langen Busfahrt nach Masaka-Sanga und weiter mit einer Boda-Boda-Fahrt zum Nationalpark gekommen.
Ich streite mit dem Boda-Boda-Fahrer, mit dem ich vor den Wärtern das Missverständnis auszuräumen versuche. Er verlangt statt 4000, wie ich verstanden habe, 14000.
Die Uniformträger am Eingang mussten auch bezahlt werden, wobei einem nur ein 24stündiges Aufenthaltsrecht gewährt wird. Der horrende Eintrittspreis überrascht mich. Mit diesen Brüdern und Schwestern lässt sich leider nicht streiten und verhandeln. Die Einheimischen können sich unter diesen Umständen nicht einmal ihren eigenen Nationalpark leisten.
Ich habe im Park ein Paar getroffen, dem ich mich anschließen werde. Aber es springt doch ab. Sie sei enttäuscht, meinte die Frau, wie hier alles organisiert sei. Später treffe ich einen anderen, der mir erzählt, warum. Sie seien mittags auf den Vogel-Boottrip gewesen und da hielten natürlich alle Vogel Siesta.
Schön dumm! Noch dümmer, andere dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben.
28.08.2015 Freitag
9 Uhr 30
Bunamwaya/Kampala
Zu den Hippos im Nationalpark, die nachts zwischen den Zelten grasen.
Beruhigend war die Behauptung: „Afrikanische wilde Tiere akzeptieren Zelte“.
Die wilden Tiere Afrikas und da es sich also um richtig wilde Tiere handelte, nehmen durchaus Rücksicht gegenüber des Menschen Eigentum, damit verbunden seine Nachtruhe.
Bewundernswert wie diese Tiere erzogen worden sind!
Ausnahme, wie konnte es auch anders sein, bildete die dem Menschen artverwandteste Spezies hier. Die grauen Affen sahen das weniger eng. Ehe ich mich umgedreht hatte, war schon mein Brot stibitzt. Ich würde ihnen auch zugetraut haben, in mein Zelt hineingeguckt zu haben. So gut waren die wohl nicht erzogen. Mit einem sogar stritt ich wie in einem Slap-Stick-Film-Sketch um meinen Brotbeutel, in dem jeder an einem Ende hin und her zog. Die scharfen Kraller im Gebiss wiesen auf keine gute Kinderstube hin. Die Folgen einer leichtsinnigen Vernachlässigung der Vorkehrung, regelmäßig mindestens alle zwei Jahre den Zahnarzt aufzusuchen, sprang eindringlich ins Auge. Aber wenn die einheimischen Menschen schon keine gesetzliche Gesundheitskrankenkasse besaßen und kennen, wie sollte es sich dann schließlich bei den Affen hier verhalten?
Sie kratzten einem nicht die Augen aus. Sie überrannten einem nicht wie das gefährlichste Tier Afrikas, der Buffalo. Sie stampften einem nicht in Grund und Boden wie der Elefant und...
Womit wir wieder beim Hippo wären.
Genau, lass ihn niemals aus dem Auge, denn wie mein ugandischer Freund Andrew mir schon gesagt hatte, sie sind sehr, sehr gefährlich.
„How was the Hippo?“
„Wussten Sie, dass Nilpferde mehr Menschen töten als Löwen?“
Dabei war der Löwe bekanntlich das gefährlichste Tier.
„Vorsicht vor Hippos des Nachts! Achten sie bei ihrem nächtlichen Toilettengang auf herumgrasende Nilpferde auf dem Zeltplatz!“ Mein Touristenbuch war sehr hilfreich.
Konnte ich nachts nicht aufstehen, um zu fäkalieren, würde ich das Zelt nass machen. Andererseits lief ich Gefahr, über so ein Monstertier zu stolpern. Jeder weiß von Bildern, wie weit sie ihre Mäuler aufreißen können. Zwar stand sein Pflanzenfressertum im Widerspruch dazu, wer weiß aber? Und versperrte man einem Nilpferd den Weg zum See, gerieten sie in Panik. Unter deren Bäuche mochte ich jedenfalls nicht geraten. Ich einen Stoß versetzt bekommen, dass ich durch die Luft flog und auf diesem harten, kantigen Boden hier zerschellte wie ein Ei und plattgetreten werden wie Pfannkuchen.
„Haben Sie ein Lampe?“
„Ja, habe ich. Eine Stirnlampe!“ Der diensthabende Offizier des Nationalparks rümpfte die Nase.
Ein erfahrender Safarireisender hatte mich dagegen doch gewarnt. „Nur nicht die Hippos anleuchten!“
Dies entgegnete ich dem Einheimischen.
Dieser lachte hellauf und alle anderen um ihn stimmten ein Lied an, schien es mir: „Der Hippo kommt des Nachts!“„The Lion sleeps tonight!“/“Der Löwe schläft des Nachts!” Ich weiß nicht mehr, ob ich träumte oder wachte, jedenfalls musste ich im Zelt hier inmitten um mich äsender Flusspferd-Hypermonster schlafen und es gelang mir!
Wie?
Ich mag zwar ängstlich sein, aber diese meine Angst hatte mir nicht den Verstand geraubt.
Was?
Ich traf Vorbereitungen.
Wirklich?
Zunächst erkundete ich die Verhaltensweisen des Flusspferdes, dieses Riesenungeheuers von einem schnaubenden Tierchen. Stundenlang saß ich auf der Bank am Ufer, Auge in Auge mit ihm. Selbst als er seinen schnaubenden Kampflaut ausstieß und lostrompetete, blieb ich cool. Nur einmal sprang ich auf und versteckte mich hinter dem Baum, als ich einen nackten Hintern mit einem langen Schwanz sah, der dem eines Löwen glich. Nur ein Warzenschwein.
Zweitens errichtete ich mein Zelt unmittelbar neben der Toilette, zwar mit einigen leicht vorstellbare Nachteilen verbunden, aber Nummer eins war Sicherheit. Je kürzer der Weg bis zur Toilette, desto besser.
Völlig beruhigt war ich, als ich beim letzten Toilettengang auf einen Soldaten mit Maschinengewehr stieß. Ich freundete mich mit ihm an. Er versicherte mir, auf mein Zelt ein besonderes Augen zu werfen.
Am nächsten Morgen lebte ich noch. Tatsächlich, meine Glieder waren alle noch dran, keine Schürfwunden schmerzten, keine Beule verunzierte meinen Körper. Ich rieb mir den Schädel, um mich zu erinnern. Warst Du nicht nachts einmal auf der Toilette und doch ist Dir nichts passiert? Erstaunlich.
Ich kroch freudestrahlend aus meinem Zelt und daneben stand der Soldat und fragte schmunzelnd: „How was the Hippo?“/“Wie war der Hippo?“
„Well, ich habe überlegt. Und warum? Ha, weil ich den Hippo in die Flucht schlug!“
Der Soldat lachte. „Wie hast Du das geschafft?“
„Weißt Du mein Freund, ich ging aufs Klo. Ich rannte, weil ich Durchfall hatte. Vorher schon ließ ich die Hosen runter. Als ich mich auf die Schüssel setzen wollte, kam ich auf dem Rücken eines Hippos zu sitzen. Er wurde wild. Er lief rückwärts aus der Toilette, ich obenauf. Wie ein Pferd, ist ja auch ein Pferd, lenkte ich ihn dort- und hierhin. Es war wunderbar! Ich liebe Pferde!“
Der Soldat schaute konsterniert. Ha, natürlich nur deshalb, weil ich Deutsch gesprochen hatte. Ansonsten hätte er vor Bewunderung die Augen nicht mehr zugekriegt und mir auf den Rücken geklopft.
Ich machte mich erst einmal frisch und sauber auf der nahen Toilette. Sowie ich aus dieser trat, stand der nächste Einheimische da, um sich seinen ausgeliehenen Schlafsack und Matratze übergeben zu lassen.
„How was the Hippo?“
Seine blenden weißen Zähne funkelten im Morgenlicht.
„Well, ich schlug ihn in die Flucht. Als er auf mich zurannte, da sprang ich in die Luft, drehte mich ein paar Mal um mich selbst und kam mit meinen Beinen auf seinem Hals hernieder und riet mit ihm durch den Busch. Erst als er mir versprochen hatte, mich in Ruhe zu lassen, ließ ich ihn los.“ Was auch immer ich ihm in Deutsch verklickern wollte, er sah in mir bestimmt einen dummen Westler, dessen Gehirn zu unterentwickelt war, um sich in afrikanisches Tier hineinversetzen zu können.
Diesmal war ich vor anderen Biestern auf der Flucht. Ich musste von hier weg. Schleunigst.
Ich hatte zwanzig Kilometer bis zum Grenzzaun zu überwinden.
Derjenige am Tor zum Nationalpark rief mir nach: „How was the Hippo?“
copyright werner pentz