Kapitel 4 Ein fataler Fehler

Kurzgeschichte zum Thema Kampf

von  Der_Rattenripper

Die Frauen hatten den Furnace Creek hinter sich gelassen und schleppten sich mit gesenkten Köp­fen über die California State Route 127. Es war die erste richtige Straße, die die Frauen, seit drei Tagen sahen. Die Straße ließ sie hoffen. Bestimmt werden wir auf dieser Straße Hilfe finden. Irgendwer war garantiert auf der Durchreise, den sie anhalten und um Hilfe bitten konnten. Die Frage war nur wann? An ihren Füßen hatten sich pochende Blasen gebildet. Schweiß brannte in ihren Augen, und ließ die Umgebung um sie herum verschwimmen. Die Straße war verlassen, kein Fahrzeug weit und breit nicht mal ein alter Chrysler oder eine verrostete Harley Davidson standen am Straßenrand.


„Weiß jemand von Euch, wo wir hier sind oder wohin die Straße führt?“, fragte Ann.


„Keine Ahnung, aber wir müssen Hilfe finden. Sie muss irgendwo hinführen. Eine Ortschaft oder eine kleine Stadt. Wenn wir so etwas finden, sind wir gerettet.“, sagte Sally.


„Eine Stadt hier? Niemals, sieh dich doch mal um hier gibt es nichts außer Sand, Geröll und Kak­teen.“, erwiderte Ann.


Sally und Grace sagten nichts, sie hatten keine Lust auf Anns ständiges Gejammere und den Ver­suchen sie aufzumuntern. Es war besser, wenn sie es einfach überhörten. Die Sonne stand hoch am Himmel und warf ihre Strahlen gnadenlos auf die Frauen herab. Grace griff nach dem Wasserbeutel, zog die Hand jedoch wieder zurück. Der Beutel war fast leer, nur ein kümmerlicher Rest war noch übrig. Ihre Zunge klebte an ihrem Gaumen. Sie fühlte sich an wie Schmirgelpapier. Warum war niemand hier? Das hier war eine Straße, aber wieso kam kein Auto vorbei? Sonst waren doch auch immer Leute unterwegs wieso nicht jetzt? Eine Schar Geier kreiste über ihren Köpfen, sie begleiteten die Frauen, seit sie den Furnace Creek verlassen hatten. Sie warten darauf, dass eine von uns zusammenbricht und sobald das geschieht, werden sie sich auf sie stürzen, um derjenigen bei lebendigem Leib das Fleisch aus dem Körper zu reißen. Vielleicht ist es besser, wenn wir uns gegenseitig erschießen, immer noch besser als wie Vieh durch die Wüste getrieben zu werden. Konnte sie Grace oder Sally eine Waffe abluchsen? Mit List wäre es möglich.


Ann beschleunigte, sodass sie mit Sally auf gleicher Höhe war. Sie warf ihr einen verstohlenen Blick zu.


„Hey Sally ...“, sagte Ann.


Sally drehte den Kopf und erwiderte: “Was gibt es Ann?“


„Kann ich mal die MP sehen?“


Sally sah sie überrascht an. Was sollte das? Seit sie in diese Sache geschlittert waren, war sie nichts weiter als eine Nervensäge gewesen, die sie alle mehr tot als lebendig gesehen hatte, und jetzt wollte sie eine Waffe haben? Das passt nicht zusammen, ertönte ein innerer Alarm in ihrem Kopf.


„Was willst du damit? Ich denke, du kannst damit nicht umgehen oder irre ich mich?“, entgegnete Sally.


„Du könntest es mir vielleicht zeigen.“, sagte Ann.


„Kann ich gerne machen, aber nicht jetzt, vielleicht heute Abend, wenn es ruhig ist.“, sagte Sally.


„Du kannst sie mir doch auch jetzt zeigen, bitte ich möchte sie nur mal kurz in der Hand halten und einen Blick drauf werfen.“


Sally zögerte ein paar Sekunden, ehe sie Ann die Waffe überreichte, wobei sie darauf achtete, dass der Lauf zu Boden gerichtet war. In Sekundenbruchteilen hatte Ann die Waffe erhoben und richtete sie auf Sally. Ihre Augen schienen vor Angst und Verzweiflung zu glühen. Drei ohrenbetäubende Schüsse zerschnitten die Stille. Die Kugeln durchschlugen ihren Oberkörper. Die erste Kugel durchschlug ihren Brustkorb. Die zweite Kugel traf sie an der linken Schulter. Sally fasste sich mit der rechten Hand an die Brust, unter ihren Fingern sickerte Blut hervor. Sämtlich Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen. Die Augen weit aufgerissen spiegelten blankes Entsetzen wieder.


„Ann.“, krächzte Sally, ehe sie zusammenbrach.


„Ann was machst du?...“, schrie Grace.


Grace verstummte mit kreidebleichen Gesicht sah sie, wie Ann das gesamte Magazin auf Sally abfeuerte. Anns Arme zitterten, ihre Augen waren blutunterlaufen und der Geruch von Schießpulver erfüllte die Luft doch Ann registrierte es kaum.


„Nein tu das nicht!“, brüllte Grace, während sie die Uzi aus dem Hosenbund zog. Ann wirbelte herum, noch in der Drehung zog sie das leere Magazin heraus und ließ es zu Boden fallen. Grace gab zwei Schüsse ab. Der erste Schuss verfehlte Ann um Haaresbreite, während die zweite Kugel Ann in die Brust traf. Ann taumelte nach hinten, während sich unter ihrer Bluse ein roter Fleck ausbreitete. Die Arme wurden ihr schwer, die Waffe in ihrer Hand schien 100 Kilo zu wiegen. Sie versuchte, auf Grace zu zielen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Ihre Finger lösten sich von der MP, die mit einem leisen Scheppern zu Boden fiel. Ann versuchte sich, mit der rechten Hand abzustützen, um wieder auf die Beine zu kommen. Ein brennender Schmerz fraß sich bei jedem Atemzug durch ihre Brust. Sie versuchte, die Schmerzen zu ignorieren doch es gelang ihr nicht. Sie versuchte, die MP zu packen, aber sie war zu schwer. Ann hob den Kopf, ein höhnisches Lachen lag auf ihrem Gesicht, als sie Grace ansah. Ein kurzes Zittern fuhr durch ihren Körper, ihr Kopf sackte herab. Sie war tot.


Regungslos starrte Grace auf Ann und Sally herab. Eine Trane rann ihre Wange hinab. Wieso? Wieso hatte Ann das getan? Sie hatten doch alle im selben Boot gesessen. Grace sank auf die Knie, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Kein Mensch aus ihrem Umfeld, Freunde, Verwandte oder auch Bekannte hatten ihr je so nahe gestanden wie Ann, Arlett und Sally. Sie hatten sich gegenseitig nachts am Lagerfeuer gewärmt und sie hatten Speisen zu sich genommen, bei denen sich früher ihr Magen umgedreht hätte. Grace hatte immer geglaubt, zu wissen, was Hunger ist. Doch in den vergangenen drei Tagen hatte sie feststellen müssen, dass sie sich geirrt hatte. Im Gegensatz zu dem Hungergefühl, welches sie überkam, seit sich an diesem verfluchten Ort befand, war der Hunger, den sie gespürt hatte, wenn sie sich in der Zivilisation befand gerade mal Appetit gewesen. Heute Abend würde sie keinen Bissen runterkriegen. Zwei ihrer besten Freundinnen waren tot. Jetzt war sie allein, Mutterseelen allein an einem fremden Ort, ohne Handy oder sonstigen Luxusgegenständen. Sollten die Männer sie doch erschießen, was spielte das schon für eine Rolle? Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Sie hatten ihr alles genommen, ihre Freiheit, ihr Leben, ihre Freunde. Was war ihr Leben denn noch wert? Grace Blick fiel auf die Mini Uzi in ihrem Hosenbund. Langsam zog sie die Waffe heraus und hielt sie sich an die Schläfe. Ihre Hand zitterte. Sie schloss die Augen, zog die Luft ein und ließ sie in ihre Lunge gleiten. Für wenige Sekunden hielt sie den Atem an und stieß sie langsam wieder aus. Eine weitere Träne lief ihre Wange hinab und ein Schluchzen entwich ihrer Kehle. Vorsichtig verstärkte sie den Druck auf den Abzug. Hätten Arlett und Sally gewollt, dass du dich umbringst? Hätten sie sich umgebracht, wenn du an ihrer Stelle gewesen wärst? Hättest du gewollt, dass sie sich deinetwegen aufgeben? Die Stimme kam so unverhofft aus ihrem Innerem, dass sie zusammen fuhr.


Nein sie hätten sich nicht aufgegeben. Sie hätten sich nicht umgebracht und du hättest auch nicht gewollt, dass sie sich deinetwegen umbringen.


“Nein!“, schrie Grace, während sie die Uzi nach oben hielt und drauf los feuerte. Ihre Arme zitterten und heiße Tränen liefen über ihre Wangen. Als sie das Magazin leer geschossen hatte, ließ sie die Uzi zu Boden fallen. Grace sank auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Vor ihrem inneren Auge tauchten Erinnerungen auf. Sie sah, wie sie mit Arlett, Sally und Ann auf die Jagd nach Tieren gegangen war. Sie sah sich mit ihnen am Lagerfeuer sitzen, während sie ein Stück Eidechse an einem Holzspieß aufgespießt über die Flammen hielt. Eidechsenfleisch schmeckte gar nicht so schlecht, fast wie Hühnchen. Besonders mit Arlett hatte Grace lange und intensive Gespräche geführt, die teilweise die ganze Nacht gedauert hatten. Sally und Ann waren dagegen immer sehr früh schlafen gegangen. Grace faltete die Hände und schluchzte: „Herr du hast Ann und Sally zu dir gerufen. Mögen ihre Körper zu Staub zerfallen, ihre Seelen aber sollen auffahren in dein Himmelreich das erbitte ich durch Christus unseren Herrn. Amen.“


Grace erhob sich und ging fort, gerne hätte sie ihre Freunde begraben, aber sie konnte es nicht tun, sie hatte kein Werkzeug, und sie besaß auch nicht die körperliche Kraft, beide eine weite Strecke zu transportieren. Sollten sich die Tiere um die Bestattung ihrer Freunde kümmern. Mit gesenktem Kopf schritt Grace vorwärts. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesem Moment. Sie hätte es ahnen müssen. Sie hätte es sich doch denken können, dass Ann die Kontrolle verliert. Von Anfang an war Ann ein Risikofaktor gewesen. Warum hatten sie die Frau nicht zurückgelassen? Dann wäre wenigstens Sally am Leben geblieben. Wie lange dauerte es wohl, bis der Colonel sie fand? Ein paar Stunden oder ein paar Tage. Mit einem Hubschrauber war das nur eine Frage der Zeit. Aber inzwischen, war es ihr fast schon egal, ob er sie fand oder nicht. Ob er sie durchlöcherte oder nicht. Was spielte das schon für eine Rolle? Grace griff nach dem Wasserbeutel und trank einen kräftigen Schluck. Sie hatte jetzt mehr als genug Wasser, warum noch kleinlich sein? Ihr Rücken war krebsrot, der Sonnenbrand war so heftig, dass sie ganzen Lappen Haut mit der Hand abziehen konnte. Eine Schar Geier flog über ihren Kopf hinweg, doch Grace registrierte es kaum. Seit einigen Tagen mussten Geier sich hier wie im Paradies vorkommen bei den Leichen, mit denen sie ihren Weg gepflastert hatte. Ihre alten Freunde würden sie nie wieder sehen. Sie hatte nicht vor in die Zivilisation zurückzukehren. Hier war es schöner, als irgendwo sonst. Die Stille, die Verbundenheit zur Natur, die sie jetzt empfand, das alles hatte in ihrem alten Leben keine Rolle gespielt. Dort hatten nur Leistung, Geld und gesellschaftlicher Druck ihr Leben bestimmt. Trotz all der Grausamkeiten, die diese Kerle ihr angetan hatten, war sie ihnen auch dankbar. Wäre sie nicht entführt worden, hätte sie bemerkt wie schön das Leben in der Natur war. Wie lebendig selbst jene Gegenden waren, die die Menschen allgemein als tot bezeichneten. Diese Wüste war ein gutes Beispiel dafür. Geier, Klapperschlangen, Vogelspinnen, Skorpione, Schakale, Kojoten, sogar Schildkröten und Eidechsen lebten hier in völliger Freiheit. Man konnte sie in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten und sehen, wie unterschiedlich sie sich an die widrigen Lebensumstände der Wüste angepasst hatten. Es war erstaunlich, dass sie in so einer Gegend überleben konnten. Seit Ann und Sallys Tod hatte sie kein Interesse, mehr daran Hilfe zu holen. Sie wollte weder die Theachpy Mountains noch den Freydoner Pass erreichen. Sie wollte nicht in ihr altes Leben zurückkehren, sie wollte hierbleiben, wenn die Sache beendet war. Keine gesellschaftlichen Zwänge, keinen Zeit oder Termindruck, keine Hetzerei. Alles, was sie zum Leben brauchte, hatte sie hier. Sie hatte zu essen, irgendwo gab es garantiert einen Fluss oder eine Ortschaft, wo man Lebensmittel kaufen konnte. Wenn sie eine Siedlung ausfindig machen konnte, wäre sie ihrem Ziel ein Stück näher gekommen. Das Geräusch eines Hubschraubers riss Grace aus ihren Gedanken. Grace wirbelte herum. Ein alter Helikopter an dem zwei Mgs angebracht waren, flog auf sie zu. Er verlor langsam an Höhe. Das ist der Colonel, meldete sich eine innere Stimme in ihrem Kopf. Grace riss die M60 empor und gab vier Salven auf den Hubschrauber ab. Der Helikopter zog eine schwarze Rauchwolke hinter sich her, als eine Kugel den Motor beschädigte. Der Helikopter verlor an Höhe, hielt seinen Kurs jedoch bei. Der Pilot gab mehrere Schüsse auf Grace ab, die sich geistesgegenwärtig zu Boden warf. Mehrere Kugeln schlugen neben Grace in den Boden und wirbelten Staub auf. Grace hustete, als sie ein paar Körnchen Sand einatmete. Der Hubschrauber flog über sie hinweg, machte eine 180° Drehung und kam erneut auf sie zu. Grace erhob sich, die M60 im Anschlag richtete sie sich auf und deckte den Heli wie wahnsinnig mit Kugeln ein. Der Pilot erwiderte das Feuer, eine Kugel durchschlug Graces linke Schulter. Der Motor des Helikopters stotterte. Grace konnte deutlich erkennen, dass der Pilot Mühe hatte, die Maschine oben zu halten. Blut sickerte Grace aus der Schulter, doch sie bemerkte es nicht. Eine weitere Kugel sauste an ihrem linken Ohr vorbei. Grace gab weitere Schüsse auf den Heli ab. Eine Kugel durchschlug die Frontscheibe und Glasscherben flogen ins Cockpit. Die Kugel traf die Innenwand, wo sie stecken blieb. Trethmann neigte die Bell AH – 1 nach rechts und flog eine Schleife.


Dieses verdammte Weibsbild, dachte Trethmann, als er den Steuerknüppel nach rechts neigte. Sie hatten die Frauen unterschätzt, aber ihn würden sie nicht überlisten. Er wollte ihren Körper mit Kugeln vollpumpen, solange bis die gesamte MG leer geschossen war. Sie und er waren die letzten Überlebenden einer langen und gefährlichen Jagd. Dafür hatte die Frau seinen Respekt verdient. Sie hatte nicht aufgegeben, sondern bis zum Ende durchgehalten. Daraus schloss er, dass er es mit einer gefährlichen, wenn nicht sogar ebenbürtigen Gegnerin zu tun hatte. Er musste sich seinen nächsten Zug genau überlegen und er durfte nicht zögern, nicht eine Sekunde. Ein dumpfer Schlag drückte den Colonel in den Sitz. Er hustete, während sich in seiner Lunge lodernde Flammen ausbreiteten. Trethmann schaute an sich herab und sah, dass sich seine Armeeuniform in der Mitte der Brust rot färbte. Ich wurde getroffen, dieses Weibsstück hat mir in die Brust geschossen, dachte Trethmann, als er die Felsen auf sich zukommen sah. Der Colonel hielt sich eine Hand vors Gesicht, während er mit der anderen den Steuerknüppel ergriff.


Eine gigantische Feuerwalze war am Himmel zu sehen, als sich Grace erhob. Langsam ging sie weiter, vor den Überresten des Hubschraubers blieb sie stehen. Jetzt hast du Schwein doch noch deine gerechte Strafe bekommen. Eigentlich war dieser Tod noch viel zu gut für dich., dachte Grace.




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