Große einsame Adler

Liebesbrief zum Thema Alleinsein

von  Xenia

Dieser Text ist Teil der Serie  Herr U. und ich
Ich habe einen Adler gesehen. Er flog ganz allein über mir und kreiste in seinen Bahnen. Seine Schwingen waren weit und majestätisch ausgebreitet. Ich hab an dich gedacht und fühlte mich ein wenig einsam und doch nicht unglücklich. Nur ein wenig Wehmut befiel mich.

Ich bin gerne alleine. Das war schon immer so. Allein zu sein, bedeutet nicht dasselbe wie einsam zu sein. Einsam ist man, wenn einem etwas oder jemand fehlt. Einsamkeit ist kein schönes Gefühl. Allein sein kann dagegen sehr schön sein. Man kann kompromisslos genau das tun, was man will, ohne dabei egoistisch zu sein.

Ich habe die letzten Tage mit einem wunderschönen Menschen verbracht.  Das war schön und viel zu schnell vorbei und doch bin ich dankbar für diese Zeit, die du mir geschenkt hast. Ich vermisse oft Menschen, die mir am Herzen liegen. Das hat die Sehnsucht nach Alleinsein und mein Nomadenherz in sich. Es ist ein Teil von mir und damit ist es auch ein Teil aller Menschen, denen ich etwas bedeute und die mir etwas bedeuten. Ich habe die Gabe, Menschen sehr glücklich zu machen, aber auch sehr traurig. Es ist eine Frage dessen, ob mein Gegenüber in der Lage ist, loszulassen, und ob ich ihn lassen kann, wie er oder sie ist.

Adler fliegen allein. Sind sie dabei einsam? Fragt sich das Adlerweibchen, wo das Männchen bleibt, wenn es ein paar Tage nur die Schwingen schlagend unterwegs sein will oder ist es einfach nur froh, wenn das Männchen mit Beute zurück kommt? Vielleicht denken Adler über so etwas gar nicht nach. Vielleicht ist das nur metaphorisch gemeint. Vielleicht sollten wir Menschen aber auch einfach nicht zu sehr über den Abschied nachdenken, sondern viel mehr über die gemeinsame Zeit und das Wiedersehen, wenn es eines gibt. Vielleicht gibt es immer ein Wiedersehen, selbst wenn jemand tot ist. Wer weiß das schon?

Wer weiß schon, was morgen ist oder in einer anderen Dimension. Vielleicht gibt es unendlich viele Dimensionen oder Paralleluniversen mit unendlich vielen Optionen und vielleicht bist du in genau diesem Moment in irgendeinem Paralleluniverum bei mir und streichelst sanft meinen Rücken so wie du es gestern Abend getan hast. Vielleicht ist in irgendeinem Paralleluniverum die Uhr gestern wirklich stehen geblieben und es ist für immer 23.10 Uhr.  Vielleicht ist das aber auch alles einfach überhaupt nicht wichtig.

Wichtig ist wahrscheinlich nur eins: Alleinsein ist nicht zwingend einsam sein.

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Kommentare zu diesem Text


 IngeWrobel (29.05.18)
Ein schöner, ruhiger, guter Text!
Gefällt mir sehr!
LG, Inge

 Xenia meinte dazu am 29.05.18:
Danke

 Wolla15 (29.05.18)
Interessante Sichtweise und Gedanken. Gerne gelesen.
Gruss, Wolfgang

 autoralexanderschwarz (20.03.19)
Ich bezweifle, dass für den Einsamen ein potentielles Paralleluniversum ein Trost ist.
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