Treibjagd

Sonett zum Thema Mobbing

von  Irma

Sie steht ganz vorn um acht,
und alles tuschelt, schwätzt.
Man buht und johlt und lacht
sie aus. Sie ist verletzt.

Der Metzger hat die Macht,
er stichelt und zerfetzt.
Die Beutegier erwacht,
die Meute folgt ihr, setzt

gleich noch eins drauf. Sie hetzt
die dumme Petze jetzt
in Chats. Die kommt nicht raus

aus diesem Netz. Zuletzt
nimmt sie die Klinge, wetzt
sie selbst und blutet.

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Kommentare zu diesem Text

Trainee (71)
(14.02.19)
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 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Liebe Trainee, vielen Dank für das Lob!

Ich habe versucht, dem (immer gleichen) Ablauf solch eines Mobbing-Geschehens zu folgen. Es beginnt immer mit scheinbar harmlosen Sticheleien Einzelner, auf die die Masse anhüpft. Man schaut weg oder schlägt sich auf die Seite des vermeintlich Stärkeren, vielleicht auch aus Angst, sonst selbst zum Opfer zu werden. Das Bloßstellen, Demütigen, geht schnell über in körperliche Angriffe. Die Spitze bildet das subtile Mobbing in der Anonymität des Netzes, wo das Opfer kaum noch Möglichkeiten hat, sich konkret gegen einen Angriff zu wehren.

Ich freue mich, dass du auch meine formalen Mittel herausgestellt hast, mit denen ich in meinem Schmalspursonett rasant auf das Ende hinzusteuern suchte. Ganz lieben Dank für deinen Kommentar und die Doppelbesternung, Irma.
Cora (29)
(14.02.19)
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 Irma antwortete darauf am 22.02.19:
Liebe Cora, ja, ich denke, ein einzelner Metzger hätte wenig Macht. Erst wenn die Meute sich anschließt, kommt es zum wahren Gemetzel. Der Metzger treibt seine Bluthunde an, die beißen dann die Wunden.

Warum schlagen sich soviele auf die Seite des Anführers? Genau, sie haben Angst, sonst selbst zu den Opfern zu zählen. Wichtig finde ich, dass, wie du sagst, stillschweigendes Hinwegschauen auch keine Lösung ist. Es braucht ein konsequentes Eintreten.

Hier hat sich das Mobbing-Opfer anscheinend hilfesuchend an Dritte gewendet, die es aber alleingelassen haben. Damit hat sich die Situation für "die Petze" nur noch verschlimmert. Wenn man jedoch keinerlei wahre Hilfe erfährt, alleingelasssen wird, muss man ja verzweifeln.

Lieben Dank fürs Einfühlen. LG Irma

 Isaban (14.02.19)
Hallo Irmchen,

sehr gelungen, wie hier die Ätz-Reime sich durch den gesamten Text ziehen. In den Quartetten alternieren sie mit Acht-Reimen in den Terzetten haben sie die Macht vollkommen übernommen und werden nur durch einen winzigen raus-Bruch und das Blut gebrochen.

Spannend finde ich, dass (S1, V3) die Angreifer, die Mobber nicht benennt, sie werden verallgemeinert, "man", also gefühlt jeder, die ganze Welt ist gegen das LI.

Auch der Metzger in S2 ist gesichtslos, ist einfach einer aus dem "man-Clan", ein Ungesicht, dass den Mob anführt und den Blutrausch anfacht.

Das Mobbingopfer weiß sich nicht anders zu helfen, weiß nicht anders zurückzuschlagen, als (S3) ebenso ungesichtig, anonym im WWW, betreibt Cyber-Mobbing, weil diese Cyberangriffe für es selbst gefahrlos sind, weil sie so keine neue Angriffsfläche bietet, weil es sich so aus dem Hinterhalt leichter rächt., weil so "die dumme Petze" nicht entkommen kann: Alle können mitlesen, was dort veröffentlicht wird, die Online-Blamage/Erniedrigung ist genauso wirksam, wie die direkten Angriffe vor der Klasse.

Schmerzlich ist beides für das LI, das unerträgliche Schulleben und der Verlust der Selbstachtung durch die hinterfotzigen Cyber-Mobbing-Attacken. Wie soll man sich nach sowas noch im Spiegel anschauen, wenn man genau weiß, wie es sich anfühlt, derartig gedemütigt zu werden, wie soll man mit seiner Schwäche weiterleben?

Das geht nur, wenn Blut fließt. In diesem Fall nicht das der Gegner, sondern das eigene. Ein Überlebensventil, eine Möglichkeit, sich selbst zu spüren, wenn man sich verloren hat. Keine gute, aber eine, die man selbst in der Hand hat.

Ein Sonett über ein schreckliches Thema, über ein fast unerträgliches Thema. Und ein gutes Sonett.

Liebe Grüße,
Isaban

 Irma schrieb daraufhin am 22.02.19:
Liebe Isaban, ich freue mich, dass du mein Reimschema so herrlich seziert hast. Ja, die Täter bleiben "gesichtslos". Sie agieren größtenteils verdeckt, subtil, anonym, bieten kaum Angriffsfläche. Nur das Opfer steht bloßgestellt da, ihm kann man eins in die Fresse schlagen. Direkt oder indirekt.

Deine Aussagen zum Zurückschlagen durch das Mobbingopfer haben mich etwas überrascht. Eigentlich hat es keine Cyber- oder sonstigen Angriffe zu seiner Verteidigung gestartet, sondern sich lediglich hilfesuchend an Dritte gewendet, was zur Verschlimmerung der Situation für "die Petze" führte. Vielleicht liegt das an dem "ihr" in V.8? Ich hatte überlegt zwischen "die Meute folgt ihm (dem Metzger), setzt" und "die Meute folgt ihr (der Beutegier), setzt", mich dann aber für das "ihr" entschieden, weil damit auch der eigene Antrieb der Masse deutlich wird, die Verselbstständigung. (Abgesehen davon, dass man das "folgt ihr" auch so lesen könnte, dass die Masse das Opfer verfolgt.

Das stillschweigende Erdulden der Attacken ist zermürbend. Das ertragen der eigenen Schwäche und Verletzlichkeit, der Gesichtsverlust, lassen, wie du so schön beschreibst, den Blick in den Spiegel unerträglich werden. Die äußeren und inneren Verletzungen schmerzen am Ende so sehr, dass am Schluss nur noch einschneidende Maßnahmen bleiben: Bluten bzw. Ausbluten. An einer benachbarten Grundschule hat sich kürzlich (vor den Winterferien) eine Elfjährige (!) aufgrund von Mobbing suizidiert.

Ich danke dir herzlich für deinen Kommentar und die Auszeichnung meines Sonettes. Liebe Grüße zurück, Irma

 Didi.Costaire (14.02.19)
Hallo Irma,
du hast die sehr grausamen Inhalte formal messerscharf verdichtet - mit Netz und doppeltem Boden. Um letzteren besser zur Geltung zu bringen, würde ich den Punkt am Ende weglassen.
Liebe Grüße, Dirk

 Irma äußerte darauf am 22.02.19:
Lieber Dirk, du hast das Messer nicht nur sacht ritzen lassen, sondern das grausige Geschehen in seiner ganzen, einschneidenden Tiefe erfasst.

Ich hatte tatsächlich überlegt, ob ich auf den Schlusspunkt verzichten soll. Andererseits denke ich, dass die fehlende Hebung ausreicht, den traurigen Schlussreim hervorzurufen. So ist es am Ende der Leser, der das Messer führt und den entscheidenden Schnitt setzt. Und es bleibt offen, ob das Opfer dieser "Treibjagd" zur Selbstverletzung oder in den Selbstmord getrieben wird.

Freue mich jedenfalls sehr über dein messerscharfes Auge und deine Empfehlung. LG Irma

 EkkehartMittelberg (14.02.19)
Hallo Irma, von Matthias Claudius gibt es einen ergreifenden Text "Schreiben eines parforcegejagten Hirschen an seinen durchlauchtigten Herrn". Das waren noch Zeiten, als sich Treibjagden auf das Wild beschränkten.. Die heutigen Treibjagden heißen Mobbing und eindrucksvoller, als du es getan hast, kann man ihre Erbärmlichkeit nicht schildern.
Liebe Grüße
Ekki
Agneta (62) ergänzte dazu am 15.02.19:
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 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Lieber Ekki, liebe Agneta,
der Hirsch hat keine Chance gegen das Gewehr des Jägers. Und das Mobbingopfer ist chancenlos gegenüber der Mobbing-Meute. Was bleibt ist das Hirschgeweih über der Tür und die Bilder im Netz - Trophäen der blutrünstigen Hetzjagd.
Ich bedanke mich auch bei euch beiden für die Würdigung meines Sonettes. Liebe Grüße, Irma.
Sätzer (77)
(14.02.19)
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 Irma meinte dazu am 22.02.19:
Es freut mich, dass diese Strophe in deinen Augen hervorsticht, lieber Uwe. Lieben Dank für Kommentar und Empfehlung, Irma.

 Jorge (13.03.19)
Eine wunderbare Dramaturgie der Eskalation von Mobbing.
LG
Jorge

 Irma meinte dazu am 14.03.19:
Ein doppeltes Dankeschön, lieber Jorge! Ganz liebe Grüße, Irma.
Kreuzberch† (66)
(29.07.19)
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 Irma meinte dazu am 20.08.19:
Ein verspätetes, aber herzliches Dankeschön, lieber Stefan. Freue mich sehr, dass du wieder hier bist! Liebe Grüße zurück, Irma.
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