Gerade noch mal gut gegangen!

Anekdote zum Thema Leben

von  Bluebird


Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? (Lukas 15,4)
Es mag im Jahre 1994 gewesen sein, als in Bremen in den Sommerferien für eine Woche ein Evangeliumsbus am Hauptbahnhof stand. Die genauen Zusammenhänge weiß ich nicht mehr, jedenfalls beteiligte ich mich an dieser Aktion. Was für mich in erster Linie Flyer verteilen und Glaubensgespräche, so weit es sich ergab, bedeutete.
  So ganz nebenbei lernte ich da einen jungen Christen namens Dieter kennen, der leicht körperlich behindert war und  ein wenig mithalf. Man wechselte so das eine oder andere Wort und ich merkte recht schnell, dass er nicht wirklich zufrieden mit seinem Leben war. Durchaus auch erkennbare psychische Probleme hatte und auch thematisierte.,dass er sich einsam fühlte.
  Ich persönlich finde es immer schwierig, dazu etwas zu sagen. Wirklich helfen kann man da meist nicht und ging ich ihm, so weit das möglich war, auch ein wenig aus dem Wege.

Eines Abends aber, die Tagesevangelisation war schon beendet, ging ich durch den Tunnel Richtung Hinterausgang, als ich plötzlich Dieter die Treppe zu einem Bahnsteig hochgehen sah. Überrascht sprach ich ihn an: "Hallo Dieter, was machst du denn noch so spät hier am Bahnhof?" Er blickte mich ebenso überrascht an und sagte dann: "Ach, mein Bus ist weg ... ich fahr mit der Bahn nach Hause!" "Ach so, " sagte ich, " na dann gute Heimfahrt und bis morgen!"
  Gerade als mich wegdrehte, kam mir auf einmal klar und deutlich das Wort Selbstmord in den Sinn. Geschockt blieb ich stehen und schaute wieder Richtung Dieter, der gerade den Bahnsteig betrat. Ist das möglich, dass er Selbstmord begehen will?, fragte ich mich erschrocken. Ist das vielleicht ein göttlicher Hinweis, dass ich ihm nachgehen soll?
  Vier fünf Sekunden stand ich unentschlossen da, dann entschied ich mich ihm nicht nachzugehen. Ich war mir nicht sicher, aber irgendwie erschien es mir unwahrscheinlich, dass er wirklich dort hochgegangen war, um Selbstmord zu begehen. Wahrscheinlich ist der Gedanke nur aus meinem Unterbewusstsein hochgekommen, weil ich seinen problematischen Hintergrund kenne, beruhigte ich mich.
      Vielleicht war es aber nur die Scheu, mich mit einer schwierigen und unangenehmen Situation auseinanderzusetzen. Da findet man dann natürlich auch Vernunftgründe, um der Sache dann aus dem Wege zu gehen.
    Auf jeden Fall setze ich meinen Gang in die Nacht fort und hatte Dieter auch schnell wieder vergessen.

Am nächsten Tag kam ich etwa gegen Mittag wieder Bahnhof an und sah Dieter ziemlich bleich und müde im Bus sitzen. Ich sprach ihn an: "Na, Dieter, alles okay?" Er sagte leise: "Nein, es ist nicht alles okay!" und blickte weg. Ich setzte mich neben ihn und sagte: "Was ist denn los?"
    Was er mir dann erzählte, ging mir durch Mark und Bein. Er hatte die ganze Nacht bis in die Morgenstunden auf dem Bahnsteig zugebracht, in der Absicht sich vor einen einfahrenden Zug zu werfen. Mehrfach stand er kurz davor, aber dann hat ihn, wie er sagte, jedes Mal eine unsichtbare Kraft zurückgehalten. Nicht so, dass er es nicht hätte tun können, aber doch so stark, um ihn in seinem Entschluß wankend zu machen: "Gott hat mich zurückgehalten!" sagte er mit Tränen in den Augen.  "Komm, Dieter" sagte ich, "lass uns beten!"

Als ich später alleine war, ging ich mit mir selber ins Gericht. Wie um alles in der Welt hatte ich diesen klaren Impuls verdrängen können? Was wäre, wenn er wirklich Selbstmord begangen hätte? Wie hätte ich jemals mit dieser Schuld klar kommen sollen? ( Ich weiß, auch eine solche Sünde kann Gott vergeben, aber trotzdem) Eine absolute Horrorvorstellung!
  Es ist noch mal gut gegangen, dachte ich erleichtert. Aber viel hatte nicht gefehlt und ich hätte schwere Schuld auf mich geladen gehabt.

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