Die Pussy, mein BMW und die Bullen

Kurzgeschichte zum Thema Sucht

von  Buchstabenkrieger

Sie hieß Mandy, hatte grüne Augen und war rasiert, wie ich später herausfand. Ein absoluter Hingucker im illustren Kreis der Nachtschwärmer in der Bar – zwischen den Tussis, die für diese Jahreszeit überraschend leicht bekleidet waren und den anderen aufgetakelten Frauen.
Rote Haare, volle, reife Lippen, die an einem Glas Cola klebten. Unter dem enganliegenden Spaghettishirt zeichneten sich ihre Titten ab. In meiner Hose spürte ich eine Schwellung.
Ich durchwühlte meine Taschen nach letztem Geld und kippte das Hasseröder hinunter. Striegelte meine verbliebenen Haare, steckte das Hemd in die Hose und zog die Krawatte enger. So gerüstet kämpfte ich mich durch die Meute ausgelassener Kerle, die – teilweise in blau-weißen Schals eingehüllt – umhertorkelten.
Für Fußball interessierte ich mich kaum, hatte aber kapiert, dass der FC Magdeburg die Bayern aus dem Pokal geworfen hatte. Auf dem Fernseher an der Wand lief nichts anderes.
Bevor ich mich neben der Schönheit aufbaute, schubste ich noch einen der blau-weißen Kerle beiseite, der dieselbe Idee hatte. Dann legte ich meinen BMW-Schlüssel auf die Theke. „Hallo, darf ich dir was ausgeben?“, sprach ich im akzentfreien Hochdeutsch, um keinen Zweifel ob meiner Herkunft aufkommen zu lassen.
„Gerne“, hauchte sie. Alles richtig gemacht, dachte ich.
Die Musik wurde lauter. Ein Song von Karat — das einzige Stück, das ich kannte, weil sie es von Peter Maffay gecovert hatten – und ich verstand nicht, was die Rote dem Barkeeper ins Ohr säuselte.
Kurz darauf hielt sie ein großes Glas mit einer grünen Flüssigkeit, einem Berg Eiswürfeln und einem Trinkhalm in der Hand.
Ich bestellte mir das gleiche. Ein muffiger, fauler Geruch stieg in meine Nase, den selbst die Zitronenscheibe nicht kompensieren konnte, die der Wirt mit seiner groben Flosse ans Glas gepappt hatte.
Mit einem „Prost!“ schepperte sie ihr Glas gegen meins, und wir tauschten unsere Namen aus.
Mandy soff wie ein Kamel, schüttelte sich und grinste mich aus einem üppig-frechen Mund an, als sei sie untervögelt. Mein Blick blieb an dem hochgerutschten Minirock haften, einem Nichts aus rotem Polyester, das an ihren bloßen Schenkeln klebte. Mir ging auf, dass der Rock nicht zufällig hochgerutscht war und ich nicht viel Zeit mit Reden vergeuden sollte – bei der Lautstärke eh für die Katz.
Ich legte eine Hand um ihre Hüfte und kam näher, ganz nah. Erst zögerte sie ein wenig, dann bekriegten sich unsere Zungen. Ein nach Hubs Bubba-Erdbeere und Alkohol riechender Atem strömte mir entgegen und ich griff ihr unter dem Rock. Ich hörte ein gieriges, tiefes Aufstöhnen und machte Bekanntschaft mit einer feuchten Pussy und kurz darauf mit einem Halbstarken, der zu uns herübergestolpert war und mich unsanft an der Schulter fasste.
Ich wich seinem Fausthieb aus, roch an meinem Finger und leckte ihn genüsslich ab. Der Knilch rappelte sich wieder auf und unternahm einen weiteren Versuch, während Mandy ihren Rock hochzog.

„Hab ich Verständnis für. Schwamm drüber, Kevin“, sagte ich ihm später auf der Toilette, wo ich einen Papierlappen aus dem Automaten abriss, um die Blutung an seiner Lippe zu stillen. „Ich hätte auch noch die andere Wange hingehalten, wenn es meine Pussy wäre.“
Völlig humorlos lispelte er, er hieße Justin und seine Schwester wäre siebzehn und er würde die Polizei holen, wenn ich Besserwessi nicht meine Flossen von ihr ließe. Er zitterte noch immer, holte sein Handy hervor und ich glaubte ihm jedes Wort.
Mir war die Lust vergangen, hatte ich doch oft genug gehört, wie es Typen im Knast erging, die sich an Blagen vergriffen. Also steckte ich Justin einen Schein fürs Taxi zu. „Ab zu Mami in die Heia, ihr beiden.“
Und dabei hatte ich mich schon darauf eingestellt, einen wegzustecken. Nicht auf dieser verhunzten Toilette, sondern in meinem frisch gewaschenen und ausgesaugtem BMW, mit Sitzheizung und Ledersitzen, in dem immer genügend Jim Beam Cola, Kondome, Kleenex, Parfüm mit Blütenduft sowie zwei flauschige Wolldecken samt passenden Plüschkissen bereitlagen.

Ich bezahlte meinen Deckel und verließ die Kaschemme.
Ein kalter Wind wehte und ich hatte keine Kippen mehr. Um einen klaren Kopf zu kriegen, nuckelte ich etwas an meinem Flachmann.
„Wo steckst du eigentlich, Matze?“, zischte ich ins Handy, während ich im Handschuhfach nach Kippen kramte. „In der Eule ist nichts los. Wir können uns woanders treffen.“
Matze klang völlig außer Atem, wie auf Speed. „Es wurde eingebrochen!“
„Bei dir zuhause?“
„Im Büro.“
„Ach, du Scheiße. Aber … wieso bist du um diese Uhrzeit im Büro?“
„Hab mein Tütchen liegen lassen. Wollte mich dann auf dem Weg machen.“
„Was fehlt denn?“
„Die Tür wurde ausgehebelt, … unser Bier ist futsch. Telefone und Fax wurden mit ‘nem Hammer zerschlagen. Branchenbücher zerfleddert, Schubladen herausgerissen.“
Gerd, dachte ich. „Was ist mit der Garage?“
„Alles in Ordnung, trage meinen Schlüssel bei mir. Und wenn schon. Woher sollten sie wissen, in welcher Garage die Ware ist.“
„Was ist mit meinem Schnaps? Unsere Bong?“
„Soll ich die Polizei rufen?“
„Ich hab heute keinen Bock auf die Bullen! Das regeln wir selber!“ Dann sprach ich ruhig weiter. „Entspann dich, dreh uns beiden ‘nen Joint. Bin gleich da.“
Wütend schlug ich aufs Lenkrad. Das hatte mir noch gefehlt. Erst so ‘n Rotzbengel, der seine kleine, geile Schwester nicht im Griff hatte, und dann noch Gerd. Der Abend war endgültig versaut.
Ich gab Vollgas und dachte über Gerds Anruf vor ein paar Wochen nach.
„Hab gehört, du bist nun auch hier“, hatte er genuschelt, ohne Guten Tag zu sagen. „Du wusstest doch, dass ich in Dresden sitze und von dort alles beliefere.“
„Gerd, mein Freund. Schon Jahre nichts mehr von dir gehört. Dunkeldeutschland ist doch groß ge…“
„Laber nicht! Pack deine scheiß Dübel und verpiss dich.“
Dann hatte er aufgelegt. Ich hätte das fette Nuscheltier besser ernst nehmen sollen.

Auf der Landstraße war nichts los. Ich beschleunigte; Felder und Bauernhöfe schossen nur so an mir vorbei.
Gerd hatte in Essen sieben Leute; später, als es boomte, noch weitere Niederlassungen im gesamten Ruhrgebiet aufgemacht, alles für sich beansprucht.
Wir waren zu zweit.
Vielleicht sollten wir Magdeburg verlassen, dachte ich. Der Vermieter würde sich sowieso nie um die kaputte Klospülung im Büro kümmern, und in Aschersleben oder Quedlinburg soll es ganz nett sein. Kleine Kaffs, wo wir schalten und walten könnten, wie wir wollten, wo uns niemand vermutete. Oder Halle an der Saale. Da war auch ein Spielkasino, das würde Matze gefallen.
Ich dachte wieder an die Kneipe zurück, an den jungen Jammerossi, der seine Schwester vor bösen Männern beschützen wollte. Ging mir kaum bis zur Schulter, der Kleine, hatte bloß Pudding in den Armen. Aber mutig war er.
Mein Luftgewehr fiel mir ein, das ich zusammen mit dem Blasrohr hinter meinem Schlafzimmerschrank versteckt hatte. Eine Gaspistole. Eine Fletsche. Einige Fahrtenmesser. Irgendwo musste ich noch einen Schlagring haben.
Außerdem waren da noch René und die anderen Skins vom Bahnhof! Wie konnte ich die nur vergessen haben! Plötzlich war ich nüchtern, malte mir im Kopf alles aus.

Ich hatte gerade das Ortsschild von Magdeburg hinter mir gelassen, als ich am Straßenrand eine rotleuchtende Kelle sah. Ortschaft — Tempo 50 nicht eingehalten. Mehr als dreißig Mark dürfte es nicht kosten. Scheiß drauf! Das würde ich noch verkraften.
„Guten Morgen, allgemeine Verkehrskontrolle“, oder so ähnlich brummte der Bulle und schaute dabei griesgrämig drein. Ich führte seine schlechte Laune darauf zurück, dass die arme Ossi-Sau das Fußballspiel nicht hatte sehen können.
„Hallo“, erwiderte ich und kramte Portemonnaie und Papiere heraus.
Ob ich was getrunken hätte, aussteigen könnte, fragte er doch tatsächlich.
Alkoholtest. Verdammtes Blasröhrchen. Das Teil hatte mich schon mal verraten.
„Bitte lassen Sie Ihren Wagen hier stehen. Wir setzen Sie gerne zuhause ab“, sagten meine so genannten Freunde und Helfer.
„Nett von Ihnen, das Stück gehe ich zu Fuß. Die frische Luft wird mir gut tun.“ Freiwillig würde ich nicht auf der Rückbank einer Bullenkutsche Platz nehmen.
Demonstrativ setzte ich meine Kapuze auf und zog die Jacke enger. Dabei war das Wetter so traurig wie die Aussicht, meinen Wagen da alleine zu lassen. Gegenüber eine stillgelegte Fabrik, neben mir ein Bauernhof mit Kuhweide und Ställen, aus denen bald Hühner herausgetrieben kämen, um an meinem Auto zu picken. Zu allem Überfluss musste ich nach den großen Bieren auch noch wie besessen pissen.

Als die Bullen endlich außer Sichtweite waren, kehrte ich um und sprang in meinen BMW. Wer garantierte mir, dass in der alten Fabrikhalle nicht elendige Penner hockten, Opfer der freien Marktwirtschaft, die bloß darauf warteten, das nagelneue Achtzigtausend-Mark-Gefährt noch vor den Hühnern zu begrabschen.
Jetzt galt es, kühlen Kopf zu bewahren, langsam und bedächtig die letzten Meter nach Hause zu rollen.

Ich hatte noch nicht mal die halbe Strecke geschafft, da sah ich die Bullenkutsche wieder. Die Möchtegern-Sheriffs standen vor meinem Lieblingsbäcker, in dessen Stube hinten schon Licht brannte.
Als sie die Kelle erneut zückten, wurde mir klar, dass sie dort nicht auf frische Schrippen gewartet hatten. Ich konnte nicht mehr ausweichen, war außerdem zu müde für Ärger, ergab mich meinem Schicksal und bremste.
„Matze“, sprach ich ins Handy, bevor ich ausstieg. „Dauert bei mir etwas länger. Bin aufgehalten worden.“

Der Geruch aus der Backstube machte mich hungrig, die kalte Luft spülte meinen Kopf frei. Ich schaute die Bullen an, die akribisch Formulare ausfüllten, überlegte, wem ich mehr vertrauen konnte, mir Gerd und seine Schläger vom Hals zu halten. Mies gelaunten, unterbezahlten Bullen, die unbescholtene Bürger aus dem Verkehr zogen oder Glatzen, die in kurzen Hosen und mit bloßen Fäusten das taten, was ihnen sogar noch Spaß brachte?
Unser Vermieter würde sowieso die Bullen rufen, wenn er von dem Einbruch Wind bekäme. Und ich bräuchte jetzt nur einen Satz zu sagen und die Sheriffs würden sofort andere Bullen zum Büro schicken.
Oder doch die Glatzen? Was stand auf Anstiftung zu einer Straftat? Wie würde sich das mit meiner Bewährung vertragen? Und was, wenn es gar nicht Gerd war, sondern bloß irgendwelche Junkies, die was versilbern wollten?
Ich flüsterte ins Handy. „Pack den ganzen Schnaps und Dope weg, Matze. Am besten in die Garage. Alles muss clean sein. Und lüfte durch.“


Anmerkung von Buchstabenkrieger:

Ein weiteres Erlebnis des kleinkriminellen Träumers in Dunkeldeutschland.
Bisher erschienen:
Spiritus Rector

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (17.09.19)
Gerne gelesen, ist aber zu dialoglastig, ich würde da einiges streichen bzw. ersetzen, vor allem die banaleren Sachen.

 Buchstabenkrieger meinte dazu am 19.09.19:
Hallo Dieter,

freut mich, dass du den Text gerne gelesen hast.

Ich habe den Text ein wenig gekürzt. Danke für die Anregung.

Dialoge find ich persönlich nicht zu viel. Oder meinst du gar nicht die wörtlichen Reden, sondern den "inneren Monolog" / die Gedanken des Protas?

Danke und LG,
Buchstabenkrieger

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 24.09.19:
Nein, der konkreten direkten Rede ist zuviel. Das ist übrigens auch ein untrügliches Zeichen schlechter Trivialliteratur, dieses typische Geplapper um nichts.

Statt
„Hallo“, erwiderte ich und kramte Portemonnaie und Papiere heraus.

kann man

Ich grüßte zurück und kramte Portemonnaie und Papiere heraus.

schreiben,
Dies nur als Beispiel!

 Isaban schrieb daraufhin am 24.09.19:
Das wäre allerdings stimmungstechnisch nicht zwingend eine Bereicherung, lieber Dieter. In einem Text, der sich durchgehend der Umgangssprache befleißigt, würde ein Satz, wie der von dir hier angeregte, eher unangenehm auffallen. Und dass Texte in Umgangs - oder gar Gossensprache Erfolg haben können, bewiesen - nur um ein paar Beispiele zu nennen - bereits vor einigen Jahrzehnten Bukowski und etwas neuzeitlicher jene Dame, die vor wenigen Jahren so anrührend über Analfissuren schrieb.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 24.09.19:
Dies nur als Beispiel!

Isaban führt hier vor, weshalb auf kV ungern konkrete Stellen aufgezeigt und mögl. Verbesserungen gezeigt werden: Es kommt dann immer jemand hinter dem Busch vorgesprungen und erklärt haarklein, warum das ausgerechnet an dieser Stelle dies ganz unmöglich sei.

Mal abgesehen davon, dass "Hallo" keine Gossensprache ist, nicht einmal schnoddrig.

 Isaban ergänzte dazu am 24.09.19:
Ok, dann nochmal deutlicher, lieber Dieter:
Die von dir angeregte Verbesserung wäre meiner Meinung nach keine. Der von dir konstruierte Satz wäre ungeheuer langweilig und würde im Kontext, wenn überhaupt, eher unangenehm auffallen. Die wörtliche Rede, in diesem Falle dieses von dir monierte halb sarkastische, halb verärgerte und durchaus flappsige "Hallo", lockert den Text in angemessener Weise auf. Hier wird ja nicht einfach nur ein trockener Bericht abgegeben, hier wird auch eine Stimmung widergespiegelt, eine Art Film-noir-Kater-Stimmung, die durch die eingeschobene wörtliche Rede des Protagonisten stilistisch unterstrichen wird.

Antwort geändert am 24.09.2019 um 15:15 Uhr

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 24.09.19:
Auch von mir nochmals: Dies nur als Beispiel.

Ich hätte auch eine beliebige andere Stelle umformen können.

 Buchstabenkrieger meinte dazu am 25.09.19:
Hallo Isaban und Dieter,

ich danke euch für eure Kommentare.

Ich kann mich deiner Anmerkung nur anschließen, Isban:
"Hier wird ja nicht einfach nur ein trockener Bericht abgegeben, hier wird auch eine Stimmung widergespiegelt, eine Art Film-noir-Kater-Stimmung, die durch die eingeschobene wörtliche Rede des Protagonisten stilistisch unterstrichen wird."

Sehe es allerdings vielmehr als eine Art "Hard Boiled" anstatt "Film Noir", ist aber auch sehr ähnlich.

Was ich sagen will:
Dein Bespiel, Dieter:
"Statt
„Hallo“, erwiderte ich und kramte Portemonnaie und Papiere heraus.

kann man

Ich grüßte zurück und kramte Portemonnaie und Papiere heraus.

schreiben,"
finde ich persönlich nicht so gut zum Text passend.
Das Geplapper des Protas, die Grundstimmung soll so bleiben, wie es derzeit ist. Da passen m.E. die wörtlichen Reden ganz gut.

Danke nochmals und
LG, Buchstabenkrieger

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 27.11.19:
Keine Ahnung, warum ich hier überhaupt noch Verbesserungsvorschläge mache.
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