Staub

Kurzgeschichte zum Thema Krieg/Krieger

von  Buchstabenkrieger

Ich höre die schrillen, klagenden Rufe der Steppenkiebitze, das Knacken von Ästen im Unterholz, spüre Papas warme Hand, die mich festhält, mich mit nach vorne zieht, zur Seite, an einem Busch vorbei, wieder geradeaus. Fort.
Neben uns strauchelt Mama. Fatima in der Bauchtrage. Fatima schläft.
Vor uns die Hügelkette. Hinter uns fällt etwas vom Himmel, es wird laut, gleißend hell. Papa stolpert, schreit auf, läßt meine Hand los. Mama zieht Papa am Arm. Papa ruft: „Lauf!. Und ich laufe. Immer weiter.


Lärm. Ich zucke zusammen, ziehe das Leinentuch über den Kopf, das ich im Schutt gefunden habe, und taste mit der Hand suchend zur Seite. Mein Mund ist trocken, im Kopf dröhnt es. Der Magen knurrt.
Der Krach hinter der schützenden Mauer wird lauter. Grelle Rufe, Jammern, Heulen. Ich öffne die Augen. Blendendes Licht. Die glänzende Sonne. Ich krieche zum Rand der Backsteinmauer. Wische mir Staub aus dem Gesicht, richte das Kopftuch und blicke vorsichtig um die Ecke.
Viele Menschen stehen auf dem Platz. Im Kreis, um etwas herum. Einige bücken sich, andere tragen etwas fort oder schaffen es heran.

Ich stopfe das Leinentuch in eine Mauerlücke, krauche aus meinem Versteck, trete in Scherben, stoße gegen Steine, spüre keine Schmerzen. Ich eile zum Platz, quetsche mich an Menschen vorbei, krabble zwischen Beinen hindurch.

Es sind Papa und Fatima, die da liegen, im Staub, zwischen den anderen.
Papas Hemd ist rot, Fatima schläft.
Ich lege mich zwischen die beiden, schmiege mich an Papa, greife nach der Hand meiner Schwester.
Papa sagt nichts, hat die Augen geöffnet, guckt in den Himmel. Ein Vogel. Dreifarbiges Flügelmuster, die Brust rosa angehaucht. Das Brutkleid des Steppenkiebitzes. So hat es mir Papa beigebracht.

Ein Fremder hebt mich hoch, zieht mich an der Hand fort. Ich spüre Schmerzen, will mich loszureißen.
Ich muss zurück, Mama finden.


Anmerkung von Buchstabenkrieger:

Inspiriert durch "Ein Moment" von Jaika

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(22.09.19)
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 Buchstabenkrieger meinte dazu am 23.09.19:
Guten Morgen, Sä,

danke für deinen Kommentar und die Empfehlung/Lieblingstext.

Arbeite gerade an Texten zum Thema Krieg bzw. Frieden für eine Friedensveranstaltung im November, zu der ich eingeladen wurde.
Da tut dein Kommentar natürlich gut.

Liebe Grüße,
Buchstabenkrieger
Al-Badri_Sigrun (61)
(25.09.19)
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 Buchstabenkrieger antwortete darauf am 25.09.19:
Hallo Jaika,

danke für deine tollen Worte.
Ohne dich, ohne deinen Text als Inspiration hätte ich diese Geschichte gar nicht geschrieben.

Danke auch für die Empfehlung.

LG, Buchstabenkrieger

 autoralexanderschwarz (25.09.19)
Sehr eindringlich. Vielleicht könnte man statt "zwischen den beiden" besser "zwischen die beiden" schreiben.

Gruß
AlX

 Buchstabenkrieger schrieb daraufhin am 25.09.19:
Hallo AlX,

freut mich, dass du meinen Text "sehr eindringlich" findest.

Danke für deine Zeit, deinen Kommentar, deine Empfehlung und deinen Vorschlag.

Bzgl. deines Vorschlages habe ich erst kürzlich auf Anraten einer mit Grammatik sehr gut vertrauter Person diesen Teil von "die beiden" in "den beiden" geändert.
Hm, was nun? Lasse mich da gerne beraten.

LG, Buchstabenkrieger

 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 26.09.19:
Lustig. Hat das die mit Grammatik sehr gut vertraute Person auch begründet?

 Buchstabenkrieger ergänzte dazu am 26.09.19:
Hallo AlX,

nein, eine Begründung gab es nicht. Habe dem vertraut.

Jetzt würde ich schon gerne wissen, wie es richtig lauten muss und auch warum

Danke dir.

LG, Buchstabenkrieger

 Isaban (25.09.19)
Schwer zu kommentieren. Nimm meine Wortlosigkeit als Kompliment.

LG Isaban

Edit: Lange hält meine Wortlosigkeit selten an.
Wie wäre es, du verbindest Satz 1 und 2 durch ein Komma? Man könnte sogar noch Satz 3 mit einbinden, das würde das "Ziehen" stilistisch noch unterstreichen.

NmG (Noch mehr Grüße)
Sabine

Kommentar geändert am 25.09.2019 um 14:25 Uhr

 Buchstabenkrieger meinte dazu am 25.09.19:
Hallo Isaban,

Schwer zu kommentieren. Nimm meine Wortlosigkeit als Kompliment."
Ein wahrlich tolles Kompliment. Lieben Dank. Auch für Empfehlung und Änderungstipp.

Dein Vorschlag ist super. Gerne übernommen.
Nicht nur das "ziehen" wird unterstrichen, sondern auch das "Fort." das nun alleine als Ein-Wort-Satz dort steht. Als ob der ganze, lange Satz zuvor darauf abzielt, dort endet, beim "Fort."

LG, Buchstabenkrieger

 Paul207 (26.09.19)
Den Text finde ich ergreifend nahe und unbarmherzig. Fantastisch.

 Buchstabenkrieger meinte dazu am 26.09.19:
Hallo Paul,

freut mich sehr, dass dir auch dies, mein anderer Kriegstext gefallen hat.

Gibt mir eine Art Sicherheit für die geplante Lesung im November.

Vielen Dank und

LG, Buchstabenkrieger
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