Ein historisches Experiment

Reportage zum Thema Historisches

von  Graeculus

Was es mit diesem Text und dem Experiment auf sich hat, wird am Ende erklärt. Ich bitte um Verständnis für die kv-untypische Länge des Textes - sie ist im Sinne des Experimentes unumgänglich.
„Der Führer wird bald kommen, haben Sie noch etwas Geduld“, sagte Feldmarschall Göring. „Möchten Sie einen Tee, Herr Präsident?“
Emil Hácha, an diesem 14. März des Jahres 1939 nach Berlin zitiert, machte sich über die Freundlichkeit seines Gegenübers keine Illusionen. Er knetete seine Finger und ja, er bat um eine Tasse Tee, Kräutertee nach Möglichkeit. Göring schnippte in die Richtung eines Adjutanten.
Es wurde noch eine zweite und dritte Tasse Tee, die Hácha trank, sodaß er sich schon Gedanken machte, ob er auf die Toilette müßte, gerade wenn Hitler endlich eintraf.

Der Führer hielt es für seiner Würde angemessen, den tschechoslowakischen Präsidenten anderthalb Stunden warten zu lassen. Das gab diesem das richtige Gefühl für die Wichtigkeit des Mannes, mit dem er es zu tun hatte. Endlich aber betrat er doch die weite Halle seines Arbeitszimmers in der Neuen Reichskanzlei. Die SS-Wachen am Eingang salutierten zackig, und der Adjutant brüllte: „Der Führer und Kanzler des Deutschen Reiches, Sieg Heil!“ Göring reckte den Arm zum Deutschen Gruß. Hácha enthielt sich jeder Geste. Er mußte auf die Toilette. Er wagte es nicht, wie ein Schuljunge um die Erlaubnis zu bitten.

Man nahm am Konferenztisch Platz, und Hitler ergriff ohne Einleitungsfloskeln, ohne jede diplomatische Höflichkeit das Wort: „Herr Hácha, Sie wissen, warum wir hier zusammengekommen sind. Die Umstände erfordern es, daß das Deutsche Reich den Schutz der Tschechei übernimmt, nachdem die Slowakei soeben ihre Selbständigkeit erklärt hat. Die Tschechoslowakei, dieses Kunstprodukt des Diktatfriedens von Versailles, St. Germain und Trianon, ist damit Geschichte. Die Rest-Tschechei benötigt einen starken Bündnispartner, der ihre Existenz garantiert. Und diese Garantie kann sie nur bekommen als Protektorat der stärksten Macht in Europa, des Deutschen Reiches. Darüber will ich mich heute mit Ihnen einigen.“

Vorsichtig erwiderte Hácha: „Wir haben gegen das glimpfliche Mittel, einander friedlich und gelassen zu verständigen, nichts einzuwenden. Nur scheinen die kriegerischen Anstalten, die bereits vor der Tür und nicht mehr in weiter Ferne sind, nicht damit übereinzustimmen. Denn wir sehen es deutlich genug, daß Sie als Richter über das, was man hier sagen wird, auftreten, und daß allem Anschein nach der Ausgang der sein wird, daß, wenn wir das Recht auf unserer Seite behalten und demzufolge nicht nachgeben, der Krieg, falls wir aber nachgeben, die Sklaverei auf uns wartet.“

Hitler entgegnete forsch: „Wenn Sie hierhergekommen sind, einen Haufen argwöhnische Mutmaßungen von künftigen Dingen auszuhecken, und nicht in der Absicht, nach Maßgabe der gegenwärtigen Umstände, die Sie vor Augen haben, wegen Ihres Besten einen Beschluß zu fassen, so wollen wir ein kurzes Ende machen; ist das letztere aber Ihre Absicht, so wollen wir weiter reden.“

Hácha antwortete verbindlich: „Es ist ganz natürlich und uns leicht zugute zu halten, daß wir bei so kritischen Umständen in unseren Reden und Gedanken auf einen Haufen Dinge geraten. Indessen geht es freilich bei dieser Zusammenkunft um unsere Rettung. Wir wollen also, wenn es Ihnen so beliebt, in der Weise, die Sie vorschlagen, weiter davon sprechen.“

Darauf Hitler: „Wir wollen also auch mit großen Worten, daß uns durch die Wiederherstellung deutschen Rechts durch deutsche Waffen die Herrschaft von Rechtswegen zukomme, und daß wir als beleidigter Teil, denken Sie nur ans unsere sudetendeutschen Volksgenossen, von Rechtswegen die Waffen gegen die Tschechei ergreifen, kein weitläufiges und eben deswegen verdächtiges Aufheben machen. Wir glauben aber auch nicht, daß Sie sich einbilden, Sie würden uns durch dergleichen Vorspiegelungen, wie daß Sie als Bündnispartner Englands und Frankreichs nicht mit dem Deutschen Reich zu Felde gehen können oder daß Sie uns nichts zu Leide getan haben, überzeugen, sondern daß Sie vielmehr sich zu dem verstehen werden, was nach Maßgabe unserer beider wahren Gesinnungen möglich und tunlich sein wird, mit Rücksicht darauf, daß Sie es mit Leuten zu tun haben, die wohl wissen, daß man das genaueste Recht in menschlichen Angelegenheiten nur unter Personen, die sich in einerlei Umständen befinden, zum Maßstabe seiner Entscheidungen machen kann; wer hingegen überlegene Macht in Händen hat, der geht, so weit er kann, und der Schwächere muß sich darein fügen.“

Standhaft wandte der tschechische Präsident ein: „Unseres Erachtens aber besteht (weil Sie doch in dem, was Sie sagen, mit Beiseitesetzung der Gerechtigkeit, bloß auf das Übergewicht des Vorteils gehen), der wahre Nutzen darin, daß man die allgemeinen Vorteile der menschlichen Gesellschaft nicht aufhebe, sondern gegen einen Bedrängten allemal die Gesetze der natürlichen Billigkeit, sollte es auch nicht eben nach dem strengsten Recht gehen, auf seine Vorstellung hin zu statten kommen lasse. Dies geht Sie vorzüglich an, da Sie sonst, falls es Ihnen einmal mißlingen sollte, durch die nachdrücklichste Rache anderen als Beispiel dienen würden.“

Mit erhobener Stimme rief Hitler, die Warnung spürend: „Wegen der Beendigung unsrer Herrschaft, wenn wir die jemals erleben sollten, machen wir uns keinen Kummer. Wer über andere herrscht wie selbst die Briten, ist deswegen den Überwundenen nicht gleich lästig und furchtbar. Sodann haben wir es nicht mit den Engländern und Franzosen zu tun, sondern es kommt hier darauf an, ob ein schwacher Staat sich gegen seinen Oberherrn auflehnen und damit durchkommen soll. Über diesen Punkt also mögen Sie uns die Sorge nur überlassen. Jetzt will ich Ihnen nur erklären, daß die Absicht unseres Hierseins die ist, die Vorteile unserer Regierung im Auge zu behalten und unsere gegenwärtigen Verhandlungen die Rettung Ihres Staates zum Gegenstande haben. Meine Meinung geht dahin, daß wir ohne großen Ärger über die Tschechei herrschen wollen und Sie auf eine beiden zuträgliche Art Unglück vermeiden mögen.“

Hácha, dessen Anspannung wuchs, erwiderte: „Wie sollte doch das zugehen, daß es unseren Vorteilen ebenso gemäß wäre, dienstbar zu sein, als Ihnen, zu herrschen?“

Dem entgegnete Hitler bestimmt: „Es wird Ihnen doch gewiß zuträglicher sein, daß Sie genau das sich zum Ziel setzen, als daß Sie sich die härtesten Begegnungen zuziehen; und wir werden ebenfalls dabei gewinnen, wenn wir Ihren Staat nicht zu Grunde richten.“

Vorsichtig fragte Hácha: „So werden Sie also nicht damit zufrieden sein, daß wir in Ruhe und Friede statt Feinde eure Freunde sind, ohne es im Falle eines künftigen Krieges mit einem Teil zu halten?“

Darauf Hitler, kühl und arrogant: „Da Ihre Feindschaft uns nicht so nachteilig ist, als Ihre Freundschaft bei anderen Staaten einen Beweis von unserer Schwäche abgeben, euer Haß hingegen unsere Macht zu Tage legen würde, so sind wir es freilich nicht.“

Hácha aber sagte: „So? Schließen Ihre Bündnispartner, wie zum Beispiel die Italiener, so vernünftig, daß sie unter Leuten, die Sie nichts angehen, und unter solchen, die deutschstämmig sind wie die Südtiroler und zum Teil nach geschehenem Abfall von Deutschland annektiert werden sind, keinen Unterschied machen?“

Hitler lachte höhnisch: „Ha! Gründe, sich zu rechtfertigen, das wissen wir wohl alle, sind leicht zur Hand. Allein wenn jene den Platz behalten, werden sie es immer ihrer Macht zuschreiben und es, wenn wir ihnen nicht zu Leibe gehen, als eine Wirkung unserer Furcht ansehen, daß also, außer der Erweiterung unserer Herrschaft, eure Bezwingung selbst zu ihrer Befestigung dienen wird, wenn Sie diesmal nicht durchdringen, zumal in dem Verhältnis, worin die Tschechei als kleiner Nachbarstaat gegen uns als eine Großmacht steht, weil Sie sogar einer von den schwächsten Staaten sind.“

Nun wallte in dem sonst so ängstlichen Hácha der Zorn auf: „So? Dabei glauben Sie Ihre Rechnung nicht zu finden? Denn wir müssen doch wohl, nach Ihrem Beispiel, da Sie uns von den Untersuchung der Gerechtigkeit abbringen und uns nach Ihren Vorteilen zu richten bereden wollen, ebenfalls einen Versuch machen, ob wir so glücklich sein können, Sie zu überzeugen, daß unsere Vorteile auch den Ihrigen gemäß sind. Können Sie sich also wohl vorstellen, daß Sie nicht durch ein solches Verfahren alle die, die sich in einem künftigen Kriege für keine von den beiden Parteien erklärt haben, wider euch zu den Waffen bringen werden, wenn sie aus unserem Beispiele schließen müssen, daß die Reihe sie auch treffen wird? Und was werden Sie dadurch anderes erhalten, als daß Sie Ihre wirklichen Feinde nur mutiger machen und die, die es zu werden nie im Sinn gehabt haben, gegen ihre Neigung dazu reizen?“

Nun schaltete sich Göring mit gewohnter Großspurigkeit in das Gespräch ein: „Ha! Das sind unseres Erachtens nach keine fürchterlichen Feinde, die auf einer Insel wohnen wie die Briten und unter unendlichen Bedenklichkeiten ihre Maßregeln zur Sicherung ihrer Freiheit gegen uns nehmen möchten, wohl aber unsere Nachbarstaaten, die entweder unter keiner Herrschaft stehen wie Ihrer, oder die durch den Zwang, wodurch sie in Unterwürfigkeit erhalten werden, aufgebracht sind. Denn diese handeln gewöhnlich blindlings, wenn es um ihre Unabhängigkeit geht, und würden folglich sich selbst wie auch uns in augenscheinliche Gefahr stürzen.“

„Nun“, entgegnete Hácha, „wenn Sie es sich so sauer werden lassen, Ihre Vormacht nicht zu verlieren, und die, die bereits in Abhängigkeit geraten sind, ein gleiches tun, um sie wieder los zu werden, so müßten wir, die wir noch im Besitz der Freiheit sind, wohl recht feige und verzagte Memmen sein, wenn wir nicht alles in der Welt versuchten, ehe wir uns in das Joch bequemten.“

Darauf Göring: „Nein, wenn Sie vernünftig zu Werke gehen wollen, so werden Sie das nicht tun. Es kommt hier nicht auf den Ruhm der Tapferkeit an, sodaß die Parteien gleich wären und Sie nur darauf zu achten hätten, sich keine Schande zu machen, sondern Sie sollten vielmehr auf Ihre Rettung bedacht sein, daß Sie nicht einem Ihnen weit überlegenen Feinde die Stirn bieten.“

Hácha wiegte seinen Kopf: „Ach, wir wissen, daß im Kriege das Glück sich nicht allemal auf die Seite der überlegenen Macht schlägt. Sodann würden wir, sollten wir uns jetzt unterwerfen, alle Hoffnung auf einmal aufgeben; wagen wir hingegen etwas, so haben wir immer noch Hoffnung, uns aufrechtzuerhalten.“

Nun übernahm wieder Hitler das Wort: „Es ist wahr, die Hoffnung kann einen in Gefahr aufrichten, wenn man dabei genügend Mittel, sich zu helfen, in Händen hat. Wenn sie einem in solchem Fall auch schadet, so richtet sie einen doch nicht völlig zugrunde. Allein wer sein ganzes Glück daran wagt (wie sie denn ihrer Natur nach eine verschwenderische Leidenschaft ist), der lernt sie bei seinem Unfall zu spät kennen und hat nachher keine Zuflucht mehr, wo er sich nach Erlangung dieser Einsicht dagegen schützen könnte. Und dazu lassen Sie es doch, unter Berücksichtigung Ihrer Schwäche, und da alles auf einen Wurf ankommen wird, ja nicht kommen, damit es Ihnen nicht so gehe wie manchen, die sich durch natürliche Mittel noch hätten retten können, dagegen aber bei dringender Gefahr und bei Verlust aller sichtbaren Hoffnung auf allerlei verborgene und dunkle Beruhigungsgründe aufgrund leerer Hilfsversprechen und dergleichen Dingen mehr gründen, die einen trotz der besten Hoffnung ins Verderben stürzen.“

Hácha, der immer unruhiger wurde, entgegnete: „Freilich (und das wissen Sie mehr als gut) kommt es uns sehr hart vor, daß wir es gegen einen so mächtigen Staat, wie der Ihrige ist, aufnehmen und mit so ungleichen Kräften dem Glück Trotz bieten sollen. Indessen haben wir das Zutrauen, Gott werde uns in Ansehung des Glücks nicht unterliegen lassen, da wir einem unbefugten Angreifer die gerechtesten Waffen entgegenzusetzen haben. Und was uns an Macht abgeht, das werden wir uns hoffentlich von dem Beistand der Briten und Franzosen, vermöge unseres Bündnisses mit ihnen, zu versprechen haben, wozu sie sich, wenn sie auch sonst nichts dazu nötigte, durch die die Empfindungen der Ehre gedrängt sehen werden. Unsere Unerschrockenheit ist folglich nicht ganz und gar unbegründet.“

Hitler erwiderte stolz: „Was den Schöpfer anlangt, so glauben wir, daß sein Gnade uns ebenso zuteil werden wird, da unsere Grundsätze und unser ganzes Verfahren weder gegen die von allen Menschen angenommenen Ansichten über ihn noch gegen seine persönlichen Neigungen streiten; denn wir sind der Meinung, daß der Schöpfer selbst nach den allgemeinen Begriffen, die wir uns davon machen, und ebenso die Menschen einer unleugbaren Erfahrung und natürlichen Notwendigkeit zufolge überall über die zu gebieten haben, denen sie an Macht überlegen sind. Nach diesen Gesetzen richten wir uns. Das ist ein Gesetz, das wir weder zuerst aufgebracht noch zum ersten Mal seit dessen Dasein in Übung gebracht haben, sondern das wir bereits vor uns gefunden haben und auch auf unsere spätesten Nachkommen vererben werden. Ja, wir sind fest davon überzeugt, daß Sie selbst und ein jeder andere, der sich in dem Besitz einer gleichen Macht befände, wie wir sie besitzen, ebenso handeln würden. So sind wir, was den Schöpfer angeht, mit gutem Grunde ohne Sorge, daß wir uns auf seinen Beistand weniger verlassen können sollten als Sie. Und was Ihre gute Meinung von den Briten und Franzosen betrifft, weshalb Sie glauben, sie sollen den Tschechen wegen ihrer Ehre zu Hilfe kommen, so schätzen wir Sie in der Tat wegen Ihrer unschuldigen Ehrlichkeit glücklich; allein wegen Ihrer dadurch bewiesenen Einfalt können wir Sie nicht beneiden. Untereinander und wenn es auf ihre Landesgebräuche ankommt, handeln die Briten und Franzosen in der Tat meistenteils nach tugendhaften Grundsätzen. Allein wie sie mit anderen umgehen, davon ließe sich manches sagen; und sollten wir’s mit einem Wort ausdrücken, so messen sie auf die augenscheinlichste Art von der Welt die Tugend nach dem, was ihnen angenehm ist, und die Gerechtigkeit nach ihren Vorteilen ab. Und eine solche Denkungsart verspricht Ihnen in der Tat gegenwärtig keine so übernatürliche Rettung.“

Hácha beharrte: „Ebendiese Betrachtung ihrer Vorteile bestärkt uns am meisten in unserer Hoffnung, daß sie durch Aufgabe der Tschechen, ihres eigenen Bündnispartners, nicht an einem gegen sie so wohlgesinnten Staat so treulos und ihren Feinden zum Vorteil handeln werden.“

Hitler erwiderte listig: „Also würden doch nach eurer Ansicht der vorteilhafteste Weg der sicherste, gerechte und ehrenhafte Taten hingegen mit vielen Gefahren verknüpft sein. Allein sich hierin zu wagen, ist gewöhnlich der Briten Sache nicht.“

Hácha blieb hartnäckig: „Wir sind davon überzeugt, sie werden unseretwegen am wenigsten die Gefahr scheuen, sondern daß sie fest daran glauben, an uns vor anderen zuverlässige Freunde zu haben, da wir in Ansehung wirklich zu erwartender Dienstleistungen den Westeuropäern so nahe liegen, und, was unsere Überzeugungen betrifft, sie vermöge unserer freundschaftlichen Gesinnung auf unsere Treue mehr als die anderer bauen können.“

Hitler gab sich selbstsicher: „Ganz gut; allein wer sich jemandem zu Gefallen so anstrengt, der setzt diesen Grund seines Vertrauens nicht sowohl auf die noch so guten Gesinnungen derer, die ihn um Hilfe ansprechen, als auf die wirkliche Überlegenheit ihrer Macht. Und darauf sehen die Briten mehr als irgend jemand; eben das Mißtrauen, das sie in ihre eigenen militärischen Rüstungen setzen, ist die Ursache, daß sie ihren Feinden mit möglichst zahlreichen Bundesgenossen zu Leibe gehen. Es ist folglich wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie von ihrer Insel übersetzen werden, da wir die Herren zu Lande sind.“

Hácha gab nicht auf: „Sie werden schon sonst jemanden zu schicken haben. Und dann sind Deutschlands Grenzen von großem Umfange, so daß es selbst denen, die über ein großes Heer verfügen, schwerer fällt, aller Feinde Herr zu werden, als denen, die dem Gegner aus dem Wege gehen wollen, zu entkommen. Wenn ihnen aber auch das fehlschlagen sollte, so werden sie Sie in Ihrem eigenen Lande und in dem Gebiet der übrigen Bundesgenossen heimsuchen, so daß Sie also in Ihrem eigenen Lande und bei Ihren Bundesgenossen genug zu tun finden werden, ohne daß Sie sich um ein Land, das Sie nichts angeht, zu bekümmern brauchen.“

Nun schaltete sich wieder Göring ein, der hierin auch die Andeutung eines gerade ihn betreffenden Luftkrieges verstand: „Wie dieses laufen würde, können Sie wohl schon aus Erfahrung wissen, da Ihnen nicht unbekannt sein kann, daß die Deutschen noch nie aus Furcht vor anderen einen Krieg aufgegeben haben. Dazu war schon Verrat notwendig.“

Hitler, der zunehmend ungeduldig wurde, hielt es jetzt für an der Zeit, ein Schlußwort zu sprechen: „Es erscheint mir doch bedenklich, daß Sie in einer Zusammenkunft, worin Sie angeblich über die Mittel, Ihnen zu helfen, beraten wollen, nach so vielem Reden noch nicht das Geringste davon erwähnt haben, wovon sich irgendein Mensch in Ihrer akuten Lage tatsächlich seine Rettung versprechen könnte, sondern Ihre stärksten Stützen beruhen auf künftigen Hoffnungen in weiter Zukunft, dagegen sieht es um Ihre gegenwärtige Lage gegenüber der Ihnen wirklich drohenden Gefahr sehr schlecht aus. Und Sie werden sehr unvernünftig zu Werke gehen, wenn Sie uns nicht durch einen gescheiteren Entschluß als der bisherige es ist, noch auf andere Gedanken zu bringen suchen. Denn Sie werden Sich doch niemals durch eine unpassende Scham bestimmen lassen, die schon so viele Menschen bei derartigen schimpflichen und plötzlichen Gefahren unglücklich gemacht hat. In der Tat, so geht es machen, daß sie bei dem sichtlichen Anblick des Unglücks, in das sie rennen, sich trotzdem durch ihre Begriffe von sogenannter Schande und die Macht eines verführerischen Namens, der sie nicht widerstehen können, hinreißen lassen, daß sie mit Wissen und Willen sich die schrecklichsten Unfälle über den Hals ziehen, so daß ihnen ihre Torheit noch weit mehr zur Schande gereicht als ihr Unglück. Dies werden Sie also, wenn Sie vernünftig vorgehen wollen, zu verhüten suchen und es sich nicht zur Schande anrechnen, daß Sie einem der mächtigsten Staaten seine maßvollen Forderungen bewilligen, die darin bestehen, daß Sie unter seinem Protektorat und unter Zahlung eines finanziellen und materiellen Beitrags ruhig im Besitz des Ihrigen bleiben. Selbst Präsident können Sie bleiben, Herr Hácha. Sie haben die Wahl zwischen Krieg und einem sicheren Frieden; lassen Sie sich durch den Kitzel zum Kriege nicht zum schlimmsten verleiten. Der kommt am besten zurecht, der seines Gleichen die Stirn bietet, Mächtigeren als er gut entgegenkommt, und Geringeren schließlich maßvoll begegnet. Besinnen Sie sich also wohl, was Sie tun, auch nach dem Ende unseres Gespräch, und bedenken Sie, daß Ihr Vaterland von Ihrer Entscheidung abhängt, daß Sie nur eines daran zu wagen haben, und daß ein einziger Beschluß, je nachdem er glücklich oder mißlich ausfällt, das Schicksal Ihres Landes bestimmen wird.“

Am folgenden Tage, dem 15. März 1939, stimmte der tschechische Präsident Emil Hácha den deutschen Forderungen zu, unterstellte sein Land dem deutschen Protektorat und gestattete der Deutschen Wehrmacht dessen militärische Besetzung. Hácha selbst blieb Präsident, wenn auch unter der Aufsicht eines deutschen Reichsprotektors.
Zur Erläuterung:
Am 14. März 1939 hatte Hitler mit dem nach Berlin zitierten tschechoslowakischen Präsidenten Emil Hácha ein 'Gespräch', in dem er diesen unter Druck setzte, nach dem Abfall der Slowakei einer Besetzung der "Rest-Tschechei" durch Deutschland und der Errichtung eines deutschen Protektorates zuzustimmen.
Die Details dieser Unterhaltung sind nicht überliefert.

Im Jahre 416 v.u.Z. wollte Athen, das sich im Peloponnesischen Krieg mit den Spartanern befand, die Bewohner der Insel Melos, die Athen im Delisch-Attischen Seebund verbunden waren, dazu bringen, an dem Krieg gegen Sparta teilzunehmen. Melos wehrte sich gegen diese Zumutung. Erstens sei der Seebund zur Verteidigung gegen Persien gedacht, zweitens seien sie Freunde der Spartaner, denn deren Vorfahren hatten einst die Siedlung auf Melos gegründet.
Daraufhin zeigten die Athener den Meliern, wo der Hammer hängt. Melos wurde erobert, die Stadt zerstört, ihre Bewohner wurden getötet oder versklavt.

Dieses 'Gespräch' zwischen den Athenern und den Meliern ist bei dem griechischen Historiker Thukydides als "Melier-Dialog" überliefert.

Mir kam der Einfall, daß man diesen Dialog beinahe wortwörtlich, nämlich nur unter Änderung der Orte und Namen, auf die Kontroverse zwischen Hitler und Hácha übertragen kann.
Ich habe es erprobt, und siehe da, es funktioniert! Und zwar vollständig, d.h. ich brauchte an dem überlieferten Text nichts wegzukürzen.

Was können wir daraus lernen? Demokratien - und Athen war die Mutter aller Demokratien! - gehen mit anderen Ländern, mit Verbündeten sogar, genau so um wie der Diktator Hitler mit Tschechien. Demokratien sind nicht (wie man angenommen hat, weil in einer Demokratie diejenigen über Krieg entscheiden, die ihn führen müssen) unbedingt friedlicher als Dikaturen, wenn es um ihre fundamentalen Interessen  geht.

Den Hinweis auf aktuelle Belegfälle kann ich mir wohl ersparen. Manche Phänomene sind zeitlos.

Hinweis: Der Verfasser wünscht generell keine Kommentare von Mondscheinsonate.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (10.01.20)
Aus einen philosophischen Perspektive scheint das Experiment vertretbar.

Historisch betrachtet ist es unwahrscheinlich. Hitler hat nicht diskutiert. Er hat es gehasst, wenn andere ihre Meinung sagten. Zu einem Dialog war er kaum fähig. Auch formulierte er sprachlich eher unbeholfen. Sein Reden und seine Reden sind von grammatikalischen Fehlern gekennzeichnet.



Ob sich die Außenpolitik von Diktaturen und Demokratien unterscheiden ist sicherlich eine interessante Frage. So spielen z.B. historische Traditionen immer eine große Rolle. Das sieht man an den Beispielen Frankreich und besonders dem UK. Gerade letzteres gebärdet sich ja bis heute noch gerne wie eine Weltmacht.

Auf der anderen Seite stehen moderne Demokratien unter dem Druck der pluralistischen Öffentlichkeit, die dafür sorgt, dass bestimmte Dinge, die früher möglich waren, heute von den Regierungen den Regierten gegenüber kaum noch vermittelbar sind.

So betrugen die Verluste der US Armee während des gesamten Vietnamkonfliktes (1964 -1975) ca. 500.000 Verwundete und 50.000 Tote. Am sogenannten "erstem Tag an der Somme" verloren die britische Truppen 40.000 Mann, davon ca. 8.000 Tote. Und das war ein Tag (in Wirklichkeit handelte es sich sogar um nur wenige Stunden).

In Vorbereitung der Siegesparade der Briten nach dem Falklandkrieg kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Veteranenenverbänden und der Regierung Thatcher, weil die Verbände durchsetzen wollten, dass auch Verwundete und Invaliden des Krieges mit marschieren durften. Die britische Premierministerin wollte dies unbedingt verhindern, musste jedoch nachgeben. Und es sind bis heute gerade die Veteranenverbände im UK die den Falklandkrieg höchst kritisch sehen und ihn so auch immer wieder in die öffentliche Wahrnehmung bringen.

Ich bringe diese Beispiele an, weil das antike Athen bestimmt keine pluralistische Gesellschaft beherbergte. Die Demokratie wurde eher als Abwehr gegen die Tyrannis verstanden. Ich kenne mich da weitaus weniger aus als du,doch ich würde meinen, dass die inhaltliche Ausgestaltung einer modernen Demokratie weit über die eher "formaljuristsische" Form der antiken Demokratie hinaus geht. Auch wenn in den letzten Jahren im Westen rechtspopulistische Bewegungen die Inhalte der Demokratie auflösen und einer rein formaljuristischen Form das Wort reden.

 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Daß Hitler in Wahrheit dem Herrn Hácha eher mit einem Monolog zugesetzt haben dürfte, ist richtig; diese Kritik muß ich annehmen. Ist das für Diktatoren typisch? Bei Stalin bin ich mir da nicht so sicher - er konnte auch charmant überreden.

Vielleicht hätte ich das Telephonat Donald Trumps mit Selenskyj wählen sollen, dessen Verlauf im Internet stehen soll.
Allerdings weicht der Druck, Ermittlungen gegen Biden jr. einzuleiten, weiter ab von dem Fall der Athener und Melier, d.h. ich wäre nicht mit dem kompletten Text durchgekommen.

Was Du über den innenpolitischen Druck in Demokratien schreibst, so ist es genau das, was die Verteidiger der These, Demokratien seien weniger zum Krieg geneigt, ins Feld führen können.

Die attische Demokratie basierte allerdings nicht auf einer homogenen Gesellschaft von Bürgern. Es gab neben der demokratischen immer einer starke oligarchische 'Partei'; der Sieger von Salamis, Themistokles, ist dem Scherbengericht zum Opfer gefallen; und legendär sind die Auseinandersetzungen in Athen um die beste Politik gegenüber Philipp von Makedonien: nachgeben oder standhalten? (Vgl. die philippischen Reden des Demosthenes.)

 Graeculus antwortete darauf am 10.01.20:
Ein echter Dialog ist es natürlich nicht, was die athenischen Gesadten da mit den Meliern durchziehen; aber es ist kein Monolog à la Hitler.

 TrekanBelluvitsh schrieb daraufhin am 10.01.20:
Ich habe ihn auch nicht als Dialog aufgefasst. Da die Machtverhältnisse ja klar sind, habe ich ihn eher als rhetorisch-philosophischen Wettkampf gelesen,in dem die eine Seite unter Beweis stellen will, dass sie zwar militärisch unterlegen, geistig jedoch überlegen ist und die andere aufzeigen will, dass ihre militärische Überlegenheit letztlich nur die Folge ihrer geistigen Führungsrolle ist.

 Graeculus äußerte darauf am 10.01.20:
Genau so ist es sicherlich von Thukydides gemeint. Die antiken Historiker haben - unabhängig von der Tatsächlichkeit - Reden und Dialoge gerne mit fiktiven Elementen angereichert, um eine bestimmte Botschaft rüberzubringen. Thukydides läßt hier zwei Prinzipien aufeinandertreffen.

 TrekanBelluvitsh ergänzte dazu am 10.01.20:
Ich hätte auch noch ein Beispiel/eine Deutung im Zusammenhang von pluralistische Gesellschaft und Krieg. Ein Beispiel aus der jüngsten Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Die Aussetzung der Wehrpflicht.

Offtopic:
Tatsächlich ist die Wehrpflicht in Deutschland nicht, wie viele fälschlicherweise meinen abgeschafft, sondern nur ausgesetzt worden. Dies geschah darum auch nicht durch die Legislative (Parlament), sondern durch die Exekutive (Regierung) mit Kabinettsbeschluss. Ergo liegt es auch im Ermessen des Kabinetts, diese Aussetzung jederzeit zu beenden.

Meiner Ansicht nach lag dahinter nicht die Annahme, dass die Welt nach der Wende 1989/90 konfliktfreier geworden sei und schon gar nicht wollte die Regierung der jungen Bevölkerung etwas Gutes tun*. Stattdessen sollte durch die Umstellung der Bundeswehr auf eine Berufsarmee, die Truppe emotional von der Bevölkerung entfernt werden**. Nun waren es ja nicht mehr "unsere Jungs", sondern alle bei der Bundeswehr waren es selbst Schuld. So wollte man größere Diskussionen im Vorfeld von Auslandseinsätzen vermeiden, d.h. mehr Auslandseinsätze möglich machen, bzw.deren Durchsetzung erleichtern. Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Schlupfloch/ein Versuch, die nach 1945 tradiert defensive Außenpolitik langsam in die Offensive zu führen.

Tatsächlich denke ich, dass das gelungen ist. Hätte man es bei einer Wehrpflichtarmee belassen, wären sicherlich auch Wehrpflichtige in Auslandseinsätzen gelandet. Wären diese dabei verwundet oder getötet worden, hätte sich die Regierung in großer Erklärungsnot befunden.

Werden hingegen Berufssoldaten verwundet oder getötet, zucken die meisten Zivilisten, auch jene, die von sich denken, dass sie progressiv sind, nur mit den Schultern und denken/sagen: "Selbst schuld." So ist das deutsche Volk, wieder einmal, nur an den eigenen kurzfristigen Vorteil denkend, den Mächtigen auf den Leim gegangen.



* Ein weiterer Grund für die Aussetzung der der Wehrpflicht war wohl, dass die Regierung und letztlich alle politische Handelnden - auch in der Opposition - sich so um die Frage herumdrücken konnten, ob die Wehrpflicht nicht auch auf die Frauen ausgedehnt werden sollte.



** Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass heutzutage gerade die Union, diese emotionale Distanz bemängelt.

 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Oder wollte man (vielleicht) durch die Aussetzung der Wehrpflicht Wählerstimmen bei der jüngeren Generation ergattern? Es können natürlich mehrere Motive eine Rolle gespielt haben.

Ausgesetzt worden ist natürlich auch die ersatzweise Pflicht zum Zivildienst, was für meine Vermutung spricht.
Seitdem ist alles freiwillig: der Wehrdienst und das Freiwillige soziale Jahr.
Cora (29)
(10.01.20)
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 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Notabene: Dies ist kein Text über Diktaturen, sondern einer über Demokratien! Ich hoffe, das mit meinen Nachbemerkungen deutlich gemacht zu haben.
Ich mußte also den Melier-Dialog zum Ausgangspunkt nehmen und testen, ob er bestimmten Verhaltensweisen imperialistischer Diktatoren strukturgleich ist.
Da habe ich mich für Hitler und Hácha entschieden, gerade weil Hitler ein so bekanntes Phänomen ist - wenn auch nicht gerade seine Umgehensweise mit Hácha.

Mein Hinweis auf moderne Parallelen bezog sich demgemäß nicht auf moderen Diktaturen, sondern auf moderne Demokratien! Aber nun ist ja Donald Trump (sein Telephonat mit Selenskyj etwa) - momentan zumindest - nicht weniger bekannt, die ganze Kritik an Trump nicht weniger durchgenudelt als der Fall Hitler.

Daß Hitler nicht diskutierte, sondern monologisierte (wie Trekan schreibt), ist eine berechtigte Kritik. Da paßt etwas nicht 100prozentig.
Cora (29) meinte dazu am 11.01.20:
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 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Die hier relevante Grenze zwischen Diktatur und Demokratie ist die von mir erwähnte: Kann das Volk, das den Krieg führen (an der Front den Arsch riskieren) muß, darüber entscheiden, ob ein Krieg geführt wird?
In Athen, einer direkten Demokratie, war das so. Und da spielt es auch keine Rolle, daß die attischen Bürger Sklavenhalter waren, denn sie - die Bürger - haben selbst gekämpft, während Sklaven nicht wehrfähig waren.

Bei uns wird diese Grenze in der Tat verwischt, und zwar durch die indirekte/repräsentative Demokratie: Weder der gewählte Oberbefehlshaber noch die gewählten Abgeordneten sind diejenigen, denen man später im Fronteinsatz begegnet.
Putin setzt mit seiner "gelenkten Demokratie" noch einen drauf; für mich ist das nurmehr eine Diktatur mit demokratischem Feigenblatt.

Du hast recht, das Telephonat Trump - Selenskyj paßt als Alternative nicht, denn in dem ging es nicht um die Besetzung eines Staates, sondern um eine Erpressung in einem anderen Sinn.

Insgesamt bewerte ich mein Experiment jetzt als: auf lehrreiche Weise gescheitert.

Daß Demokratien eben nicht - wie es die Ideologie von Woodrow Wilson war - immer friedfertiger, weniger imperialistisch sind als Diktaturen oder Monarchien, steht auf einem anderen Blatt und bleibt m.E. gültig.
Cora (29) meinte dazu am 11.01.20:
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 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Danke. Man darf z.B. nicht zu sehr darauf bestehen, daß Hitler einen anderen Gesprächsstil hatte. Und man kann überlegen, worauf dieses Prinzip noch anwendbar ist.

Gerlernt habe ich eine Menge aus all der Kritik - schon deshalb war der Versuch nicht sinnlos.

 Dieter_Rotmund (10.01.20)
Ja, Hitler erscheint auch mir hier zu diskussionsfreudig, fast verständig. Der Melier-Dialog war mir vorher unbekannt. Interessantes Experiment.

 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Ist ne Schwachstelle, zugegeben. Es ist zwar kein Musterdialog, was die athenischen Gesandten mit den Meliern betreiben, aber nicht monologisierend genug, um auf Hitler zu passen.

Das legendäre Telephonat Donald Trumps mit Selenksyj wäre eine bedenkenswerte Alternative. Auch keine ideale, fürchte ich.

 GastIltis (10.01.20)
Hallo Graecu,
am Anfang des Textes hat man das Gefühl von Authentizität. Die Wartezeit und auch die ersten Sätze Hitlers, die einem fast das Gefühl vermitteln, ihn direkt reden zu hören, verlieren sich aber bald hinter den Gedanken, die Trekan und auch Dieter_Rotmund geäußert haben, nämlich,
dass Hitler als Machtmensch keinerlei Diskussionen zugelassen haben dürfte. Allein die Tatsache, dass Hácha bereits einen Tag später, also ohne jegliche Bedenkzeit, seine Zustimmung gegeben hat, spricht für den außerordentlichen Druck, den Hitler ausgeübt haben muss, um Hácha dazu zu bewegen. Aber interessant ist dein Experiment schon, zeigt es doch, wie „leicht umgänglich“ manchmal Politiker sein können. Was die Fragen des Demokratieverständnisses betrifft, interessieren mich brennend die nächsten Aktivitäten eines Herrn Maaßen im eroberten Land Thüringen. (Oder zurück zu erobernden Land?). Das aber nebenher. LG von Gil.

 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Ich sehe, wie oben schon geäußert, die Kritik ein.
Im Nachhinein habe ich an das Telephonat Trump - Selenskyj gedacht. Dabei ging es allerdings nicht um die Besetzung eines anderen Landes, d.h. es wäre weiter weg von dem historischen Vorbild, und ich wäre nicht mehr - wie bei Hitler - mit dem kompletten Original (der bei Thukydides überlieferten Rede) durchgekommen.

 Lluviagata (10.01.20)
Lieber Master Graeculus,

nimm es mir bitte nicht übel- aber ich habe beizeiten aufgehört zu lesen und dachte - meine Fresse, soll Hitler seine Reden wirklich so geschwollen formuliert haben? Hat er wirklich so gelehrt daher gelabert? Klar, Deine Anmerkung hat mich dann aufgeklärt, aber hmm, ich könnte sowas nicht den ganzen Tag lesen, ich hab schon nach dem ersten Drittel einen Müdigkeitsanfall bekommen bekommen. Insofern bin ich hin- und hergerissen, wie ich das denn hier werten soll, ein Text, der Dich ganz sicher ein erkleckliches Stückchen Lebenszeit gekostet hat. Mühe hast Du Dir gegeben, das ist unumstritten ... ;)
Fazit - Politik, und wenn sie auch auf die ollen Griechen zu schieben ist, ist noch immer nicht so meins!

Liebe Grüße
Llu ♥

 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Auch richtig, ja. Die Sprache ist bildungsbürgerlich geschwollen. Die Thukydides-Übersetzungen stammen von Altphilologen, und bildungsbürgerlicher geht es kaum. Die antiken Griechen haben natürlich nicht so gesprochen wie ein Griechischprofessor aus dem 20. oder gar 19. Jahrhundert.
Um das zu umgehen, hätte ich den kompletten Dialog neu übersetzen müssen - was mich gewiß noch wesentlich mehr Lebenszeit gekostet hätte.

Und wie ich angesichts der Kritik von Trekan & Co. zugeben muß, wäre es dann immer noch kein 'echter Hitler' geworden, denn der monologisierte stundenlang.

Zum Lesen ist auch das nicht spannender.

So bleibt denn nur die Idee: Demokratien können mit anderen Ländern, sogar mit ihren eigenen Bündnispartnern, genauso brutal umgehen wie Diktaturen.

Ich hätte das Telephonat hören mögen, das Trump mit Selenskyj geführt hat.

Herzlichen Gruß
Wolfgang

 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
P.S.: Ich nutze kV gerne, um neue Texte/Einfälle zu testen. Wie wirken sie? Wie reagiert man darauf?
Insofern hat es sich für mich doch gelohnt, auch in diesem Falle.
Dieter Wal (58)
(10.01.20)
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 Graeculus meinte dazu am 10.01.20:
Es ist nicht gut lesbar, das gebe ich zu. Aber nach Kürzungen zu behaupten, es seien nur Namen ausgetauscht worden, wäre eine [i)Lüge[/i]. Das hätte ich Dir nicht zugetraut. Für mich ist es unmöglich.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 11.01.20:
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 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Immer stimmt an einer Stelle etwas nicht: Entweder kürze ich den Text, dann kann ich nicht mehr testen, ob wirklich alles paßt (außer Namen und Orten), oder ich kürze den Text nicht, dann ist er nicht gut lesbar.
Eine kleine Verbesserung wäre es, den Thukydides-Text neu (und fern von der altertümelnden Sprache der mir vorliegenden Version) zu übersetzen - eine ziemliche Arbeit.

Selbst wenn ich mir damit helfe, daß ich das Ganze nicht als literarischen Text, sondern als historisches Experiment (Titel!) ansehe, bleibt der mehrfach geäußerte Einwand gültig, daß Hitler keine Dialoge geführt, sondern monologisiert hat.

Es ist einfach nicht befriedigend. Allerdings haben Experimente es ja so an sich, daß man auch aus ihrem Scheitern etwas lernen kann.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 11.01.20:
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 Graeculus meinte dazu am 12.01.20:
Das ist ja auch ein interessanter Versuch. Ich werde ihn lesen.

 EkkehartMittelberg (10.01.20)
Hallo Graeculus, ich bin verblüfft über die Stimmigkeit deines Versuchs und meine, dass du auch die richtige Schlussfolgerung daraus ziehst. Wenn Demokratien gegenüber autokratisch geführten Staaten bestehen wollen, müssen sie lernen, selbstkritischer zu sein. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass sie ebenso wie jene durch Machtgelüste verführt werden können.

 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Ja, danke. Insofern ist das Experiment gelungen; allerdings hätte ich zu diesem Zweck nur auf den Melier-Dialog und den Umgang Athens mit einem Bundesgenossen hinweisen müssen.

Die Übertragung des antiken Falls auf die Erpressung von Emil Hácha durch Adolft Hitler hingegen halte ich für literarisch mißlungen. Trekan hat es schon gesagt: Hitler führte keine Dialoge.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.01.20:
Da bist du zu selbstkritisch und weißt in diesem Punkte zu wenig von Literaturtheorie. Literatur darf auch Gegenentwürfe gegen historische Fakten gestalten. Wenn Hitler Dialoge geführt hätte, hätte er sicher genau so wichtig schwadroniert. Insofern aus meiner Sicht auch literarisch gelungen.

 Graeculus meinte dazu am 12.01.20:
Von Literaturtheorie weiß ich in der Tag wenig, kann mir freilich vorstellen, daß man bei einem fiktiven Text ziemlich freie Hand hat.
Schwieriger wird es - wie hier - bei semifiktionalen Texten.
Und ab einem bestimmten Punkt, wenn Hitler z.B. als Philosemit dargestellt wird, ist es eben nicht mehr Hitler.

Nun, ich bin diesem meinem Text nicht böse, aber für rundum gelungen halte ich ihn nicht. Jedenfalls war es ein interessantes Experiment.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 12.01.20:
Das ist richtig. Auch bei der fiktiven Umgestaltung einer Persönlichkeit gibt es Grenzen, denn es muss noch erkennbar sein, wer umgestaltet wurde. Hitler als Philosemit wäre die Überschreitung einer solchen Grenze.

 Graeculus meinte dazu am 13.01.20:
Ich danke Dir für Dein geduldiges Erklären und Urteilen.

 Momo (11.01.20)
Ich muss gestehen, ich habe den sehr langen Text nur angelesen. Aber durch deine Erläuterung weiß ich, um was es dir geht.
„Demokratien sind nicht … unbedingt friedlicher als Diktaturen, wenn es um ihre fundamentalen Interessen geht.“
Sie wenden auch bisweilen die gleichen Strategien an, um ihre Herrschaft zu sichern. Gestern hörte ich in einem Radiobeitrag, dass Indien (ist es nicht die größte Demokratie der Welt?) ihrer Bevölkerung schon seit einiger Zeit das Internet gesperrt hat. Man sollte es nicht glauben!

LG Momo

 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Indien ist ein sehr gutes Beispiel, an das ich noch gar nicht gedacht habe. Man kann neben der Internet-Sperrung an den Umgang mit des muslimischen Minderheit, mit dem Nachbarstaat Pakistan und speziell an die Politik in Kaschmir denken.
Es wird auch deutlich, daß es zumindest einen hindu-nationalistischen Teil der Bevölkerung gibt, der aggressiven Akten nicht abgeneigt ist.
Völker sind nicht eo ipso friedfertig!

 FrankReich (11.01.20)
Hi Graeculus,

das, was mich an Deinem Experiment ziemlich irritiert, ist der Titel, denn müsste es nicht heißen: "Ein Experiment mit der Geschichte", o. s. ä.?
Historische Experimente sind doch eigentlich solche, die in der Vergangenheit bereits stattgefunden haben, und evtl. aktuell nachvollzogen werden, wenn ich Deine Erläuterung jedoch richtig interpretiere, hat außer Dir noch niemand obiges Experiment durchgeführt, also bitteschön, dann stell Dein Licht mal nicht so unter den Scheffel!

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 11.01.20:
Das deutsche Wort "Geschichte" ist doppeldeutig: es kann die res gestae oder die historia rerum gestarum bedeuten, also die Ereignisse wie die Erzählung dieser Ereignisse. Das Wort Historie bzw. historisch hingegen ist eigentlich, aus dem Griechischen stammend, eindeutig.
Ich weiß nicht, ob man das im Sprachgebrauch noch sauber auseinanderhält.
Gemeint ist hier jedenfalls ein Experiment mit der Geschichtsschreibung.

Falls es sowas in dieser Art schon gibt, ist es mir nicht bekannt. Insoweit ist mir die Originalität schon bewußt.

Herzlichen Gruß
Wolfgang
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