Berühmt, ohne es zu wissen

Reportage zum Thema Ruhm

von  Graeculus

Ein gewisser Sixto Rodriguez aus Detroit hat im Jahre 1970 ein Album unter dem Titel „Cold Fact“ aufgenommen. Von einigen Fachleuten wurde er hoch geschätzt, weshalb eine Plattenfirma ihn unter Vertrag genommen und dieses Album herausgebracht hat. Der Verkauf in den USA blieb allerdings mehr als mau, und als 1971 ein zweites Album, „Coming from Reality“, sich noch schlechter behauptete, wurde sein Vertrag gekündigt, wonach Rodriguez sich wieder in sein von Armut und harter körperlicher Arbeit – als Abrißhelfer im verkommenden Detroit – geprägtes Leben zurückzog. Eine sehr kurze und sehr eindeutig gescheiterte Künstler-Karriere, wie es schien.

Auf irgendwelchen Wegen hatten jedoch einzelne Exemplare von „Cold Fact“ es nach Südafrika geschafft. Dort lösten sie unter den Jugendlichen des weißen Mittelstandes, mit dem Apartheidsregime hadernd, eine wahre Begeisterungswelle aus. Das war eine Musik für sie, unangepaßt inmitten eines auch durch weltweiten Kulturboykott isolierten Landes! Sixto Rodriguez wurde „bigger than Elvis“, beliebter als die Beatles oder die Rolling Stones.

Über den Künstler selbst war freilich in Südafrika gar nichts bekannt. Man munkelte, er habe sich bei einem letzten Konzert auf offener Bühne selbst verbrannt oder in den Kopf geschossen. Legenden, mehr nicht.

Zwanzig Jahre später machte sich ein südafrikanischer Journalist, zunächst aus einer Laune heraus, an die Aufgabe heran, etwas über die Person und das Leben von Sixto Rodriguez herauszufinden. Es lag nahe, sich zunächst an seine Plattenfirma in den USA zu wenden – die war ja auf dem Album angegeben. Ein Anruf dort ergab die Bitte, am nächsten Tag erneut anzurufen, und als der Journalist dies tat, war die Nummer gelöscht. Das nun traf ihn in seiner Berufsehre, das ließ ihn Blut lecken. Da war etwas faul!

In mühsamer Kleinarbeit eruierte er aus den Liedtexten geographische Angaben, die irgendetwas über die Herkunft von Rodriguez erkennen ließen. Da fand sich ein Hinweis auf eine Frau, die der Sänger in einem Ort getroffen haben wollte, den der Journalist als Vorort von Detroit identifizieren konnte.

Er ermittelte dann unter „Rodriguez“ eine Telephonnummer in Detroit, die er anrief. Eine junge Frau meldete sich. „Kennen Sie einen Sixto Rodriguez?“ – „Ob ich den kenne? Das ist mein Papa!“ – „Sie sind seine Tochter! Und was ist mit ihm? Ist er tot?“ – „Tot? Nein, der lebt, hier in Detroit.“

So kam eine Verbindung zwischen Südafrika und Sixto Rodriguez zustande. Es stellte sich heraus, daß dieser nicht die geringste Ahnung davon hatte, in Südafrika extrem berühmt zu sein. Zwar waren die Tantiemen an die Plattenfirma in den USA überwiesen worden, diese hatte sie jedoch nicht weitergeleitet, weil der Vertrag ja aufgelöst worden war. Wo das Geld geblieben ist, ist bis heute Gegenstand einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Sixto Rodriguez war also berühmt und erfolgreich, ohne etwas davon zu wissen oder davon zu haben.

Er hat dann noch einige umjubelte Tourneen in Südafrika (mit 20000 bis 30000 ekstatischen Besuchern in der Halle) absolviert, an seinem Leben in seiner Detroiter Bruchbude, die er seit 40 Jahren bewohnte, jedoch nichts geändert und das nunmehr verdiente Geld an Familienangehörige und Freunde verschenkt. 2023 ist er gestorben.

Über diesen Fall ist ein Dokumentarfilm unter dem Titel „Searching for Sugarman“ gedreht worden, der 2013 den Oscar als bester Dokumentarfilm gewonnen hat. Der Titel nimmt darauf Bezug, daß einer von Rodriguez‘ beliebtesten Songs in Südafrika „Sugarman“ hieß. Er ist einem Drogendealer gewidmet, über den ein im Film interviewter Freund sagt: „Ja, der spielte bei uns im Viertel eine große Rolle und hieß Volkswagen Frank.“

Man kann den Song vergleichen mit dem etwas älteren, ungleich berühmteren Drogenhändler-Song „Mr. Tambourine Man“ von Bob Dylan bzw. den Byrds. „Sugarman“ hat, so mein Eindruck, nicht die gleiche magische Kraft, die einen ins Nichts zieht, aber es ist kein schlechtes Lied, ganz und gar nicht.

Doch das ist zweitrangig neben dem Umstand, daß das möglich ist: seinen mehr oder weniger frustrierenden Alltagsgeschäften nachzugehen und dabei, ohne davon irgendetwas zu ahnen, in Papua-Neuguinea oder sonstwo „bigger than Elvis“ zu sein.


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Kommentare zu diesem Text


 Pfeiffer (03.07.24, 18:04)
Lieber Graeculus, 
da hast du nicht nur einen packenden Plot aufgespürt, sondern ihn auch sehr einfühlsam und spannend erzählt. Ein großes Lesevergnügen! Danke!
Gruß von Fritz

 Graeculus meinte dazu am 03.07.24 um 23:08:
Es freut mich, daß es Dir gefallen und Dich zugleich informiert hat.

 TassoTuwas (04.07.24, 00:30)
Sachen gibt es, da kann man nur staunen.
Und nachdenklich werden.

Kommentar geändert am 04.07.2024 um 00:31 Uhr

 Graeculus antwortete darauf am 04.07.24 um 16:23:
Es macht nachdenklich, ja. Dem Dokumentarfilm zufolge hat Rodriguez das ohne einen Anschein von Bitterkeit - er war ja mutmaßlich von der Plattenfirma übers Ohr gehauen worden - verkraftet.

 lugarex (04.07.24, 10:00)
super spannend & und ein wenig traurig

 Graeculus schrieb daraufhin am 04.07.24 um 16:24:
Beides, ja. Das empfinde auch ich so.
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