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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

„Irrationaler Stoizismus ist das Elixier jeder funktionierenden Gesell­schaftsform, die den Anspruch erhebt, die Äonen zu überdauern. Gleich­mut der Massen gegenüber dem überwältigenden ökonomischen Faltenwurf einer dünnhäutigen Oligarchie. In den USA besitzen zehn Männer Dreiviertel des Bruttosozialprodukts: zehn Billionen Dollar. In Zahlen: zehnmal Null, Null, Null, Null, was weiß ich wieviele Nullen. Ne Menge Geld. Ich gewinne nicht `mal fünf Euro im Samstagslotto! Der Kapita­listische Gott ist ein impertinenter Bastard. Aber Castro wird auch immer fetter. Und Ariel wäscht weißer! Weißer als alle Weißen. Wäscht quasi die Weißen weiß.
Und die Atomraketenfinger deuten in einen profanen leergefegten Himmel: wie Snake Blisken - nenn’ mich S N A K E!“.
Thermonuklear-Kid war im Fieber, der Bildschirm brannte Rauschen, blaue Schwaden waberten die Fensterschlitze hinaus. Seveso und B-Bop-Bone brüteten sich mit aus­drucksloser Miene an. Wer hörte schon darauf. Was sollte man sonst tun.
„Meinst du, es fängt an zu schneien, Bone?“
„Was?“
„Schnee. Das weiße nasse kalte Zeug. Glaubst du, dass es Schnee gibt?“
Seveso warf seine leere Dose hinter den Sessel und versuchte ein Pro­gramm in den Fernseher zu bekommen, dessen Zimmerantenne abgebrochen war; und der Videorekorder war ebenfalls hinüber.
„Keine Ahnung, es wär’ kalt genug, dass es gleich hier drin anfängt. Wieso geht`n die Heizung nicht? Hey, Thermo, wieso ist es so kalt hier?“
„Nenn’ mich nicht Thermo, der Heizungsmensch sitzt da drüben.“
„Sehr witzig, Arschloch.“
Mit einer unwirschen Bewegung stößt Seveso den übervollen Aschenbecher unbeabsichtigt vom Tisch.
„Pass doch auf, Idiot.
Also pass auf: Weil die Sonne abkühlt, Bone, weil Sperma ranzig wird, weil alle Vaginas der Welt allmählich zufrieren, weil Frost ist; und hehre Endlichkeit anstelle des Universums. Weil die Reichen sich alle auf ihre Raumstationen verpissen werden und der Abschaum – nämlich wir - hier zurückgelassen wird, auf diesem verseuchten Haufen Gonorrhöe.“
„Halt doch `mal die Fresse!“
„Weil solche Klempnergesellen wie du dafür sorgen, dass alles so weiter geht, dass das System funktioniert und schon immer funktioniert hat. Sklavengesichter wie du, Seveso, die preußisch beflissen mit Disziplin und Muskelschmalz sich fünf Tage die Woche ficken lassen und auch noch stolz darauf sind. Und dafür bezahlen, den harten Staatsknüppel im Anus zu spüren, weil: ist so geil, und ist so doitsch; weil’s blutet wie bei `nem scheiß Abort; und weil: ein Mann tut was ein Mann müssen tut was ein Mann tut! Alles verfickte schwanzgeile Männer, die jede Tunte zusammenschlagen würden, die ihnen nachguckt, aber selber schon `mal gern so ein riesiges Phallusding würden lutschen wollen.“
„Mir langt`s, ich hau ab.“.
Seveso stellt sein Bier ab und steht auf. Thermonuklear schaut ihn an.
„Was? Wieso denn?“
„Weil du ein Spinner bist, ein beknacktes Arschloch. Unmöglich, ein vernünftiges Wort aus dir `rauszubekommen. Ich hör’ mir das nicht mehr an. Du bist ein irrer Drecksack und du kannst mich `mal am Arsch lecken, Vollspast.“, brüllt Seveso ihn zornesglühend an, Adern auf der Stirn jetzt.
„Was regst du dich so auf. Wird schon alles nicht so ernst gemeint gewesen sein. Hab’s sozusagen nicht persönlich gemeint, Seveso.“, kichert T., erst ein kehliges Gluckern, ein Bierrülpser, dann das Grinsen, das breite Froschlächeln, um dann unkontrolliert auszuprusten. Der Aschenbecher fliegt wieder vom Tisch, die Dosen wackeln bedenklich zer­beult, die Musik heult ein Stakkato dissonanter Gitarrenriffs, das Lachen echot von den Wänden, tropft in den Teppich. B-Bop-Bone windet sich neben seinem braunabgesetzten Sessel, kann sich nicht mehr halten, Laurel-und-Hardy-Effekt, Tränen strömen seine Wangen hinab, sein Gesicht eine teuflische Grimasse. Alles scheint weit entfernt so nah. Und ist deshalb so irreal wirklich und schön. Wie im toten Winkel eines Rück­spiegels. Seveso steht unentschlossen. Seine halbgeleerte Dose, ostentativ provokant an der Tischkante, kippt und sickert den Inhalt in den grauen Teppich: oder war es ein Anthrazitblau? War einmal gewesen. Er muss kichern, hilflos dem tosenden Sturm um ihn herum ausgesetzt, erst ganz leise, wie ein Schluchzen, dann bricht es aus ihm hervor, ver­zweifelt, wild, unbeherrscht wie der Anbruch der Letzten Tage. Alles ist wahr und nichts.
Sie liegen sich in den Armen und kreischen gegen die Wände, die Musik, die Stadt, die Welt. Motörhead, Exploited, Nine Inch Nails. Wölfisches Knurren denaturierter Dunkelheit. Das Schlagen der schnarrenden Trommel.

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