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Erzählung zum Thema Ende

von  RainerMScholz

Durchnächtigte Tiefen starren knöchernbleich aus leeren Augenhöhlen in eine sich verwirrende Traumatawelt. Stroboskopkrieg spielt sich in seinem Kopf ab, der alle Fakten, Vorkommnisse, zufällige Begebenheiten, alle schizoiden Visionen, Theorien, Beweise und Belege, die Tatsachen, die Vermutungen, die wahren und die erfundenen Geschichten, die Lügen, Halbwahrheiten und Philosophien, das Jetzt, das Kommende, das Vergangene zu einem eisigen schwarzen Blitz hinter den fragilen Gazefenster seiner Augen verdichtet.
Der dreißigste Todestag Ernesto Guevaras fällt in eins mit der Kirche des Heiligen Franz von Assisi. El Nino straft den Raub an der Mutter mit der Pest des pazifischen Raums. Die blitzvergelichterte Prinzessin der Herzen stirbt mit der Nonne der Armut, ... - und die letzten guten Menschen sind von der Bildfläche verschwunden; man traut sich kaum über die Schulter zu blicken, aus Angst, zur Salzsäule zu erstarren. Wir warten auf das Jüngste Gericht und reden über Lohnnebenkosten, BSE, H5N1 und Abschiebung von ‚Wirtschaftsflüchtlingen’ in total sichere Bürger­kriegsgebiete. Der Dreh ist, denkt Thermonuklear, alle Reichen zu li­quidieren, wenn sie nicht bereit sind, ihr zu Unrecht erworbenes un­mäßiges Vermögen zu teilen, alle Politiker zu (ver-)feuern, die nicht in der Lage sind oder nicht willens, zumindest ein ökonomisches Gleichgewicht herzustellen, das alle am Kuchen teilhaben lässt, alle ihre Kapos und überbezahlten Lakaien entweder zur Vernunft zu bringen oder allesamt zu erschießen, bevor das bankrotte Raubrittersystem alle verseucht, korrumpiert und prostituiert. Wir rufen auf zum Dritten Weltkrieg! Third World War!
T.Kid bemerkte Seveso nicht, der gerade durch die Eingangstür des Easy getreten war und misslaunig ein Bier an der Theke bestellte. Er saß alleine im äußersten Winkel ihrer angestammten Sitzecke und brütete scheinbar die Psychosen der Welt aus mit seiner eigenen Innenqual. Die Zigarette zwischen seinen Fingern war bedrohlich heruntergebrannt. Seveso schaute gequält zu Veit, verdrehte die Augen und ging ruhig zu der zusammengesunkenen Ge­stalt, die dort wie ein unheimlicher, schwarzledern zerknautschter Eremit seinen Untergang zelebrierte.

Und wenn Klaus Kinski als Nosferatu Wirtschaftsminister wäre, dann ... - da war Seveso, T.Kid wischte seinen Rausch wie ein klebriges Spinnennetz mit der Hand aus dem Gesicht, lächelte das markante schiefe Grinsen, das seine Mimik gelähmt erscheinen ließ, ohne besonderen Grund.
„Hey T., wieder abgedriftet?“
„Wo ist Bone?“
„Kommt bestimmt gleich. Veit sieht schon seltsam herüber, alles in Ordnung?“
„Ja klar, hab´ nur nachgedacht. Ich brauch´ noch `was zu trinken, du auch?“
Seveso schüttelte den Kopf und deutete auf sein volles Glas, Thermonuklear machte Clarissa, die jetzt hinter der Theke stand, das Daumen­zeichen und wandte sich wieder ab.
„Was hat sie jetzt wieder an. Das hält kein Laufsteg aus. Alles Handarbeit, würde ich sagen.“
„Mir egal, die ist mir eh’ zu schräg. Nicht mein Typ. Geschenkt, T..“
„Sie studiert Grafik und Design oder sowas. Jedenfalls macht sie die bunten Lappen selbst, hat sie mir erzählt. Streckenweise sehr beein­druckend, sehr körperbetont.“
„Wasbetont?!“
Clarissa kam mit einem Bier hinter dem Tresen hervor und schwenkte, mit den Hüften zu einem alten Motörhead-Lied - Funny Farm? - vibrie­rend, an ihren Tisch ein, stellte das angesplitterte Glas vor Thermonuklear-Kid ab.
„Ich schreib`s an.“
„Danke.“
„Juh!“
Da war es wieder. Sie stieß immer diese kurzlebigen, leise gehauchten, unterdrückten „Juh!“ aus. Ihre Art, auf ein mehr oder weniger freundliches Danke adäquat zu reagieren, auf Äußerungen, die auf ihre Funktion als Mädchen-für-alles und Bedienung des Speak Easy rekapitulieren. Haste mal - kannste mal - mach mal: Juh! Wie ein Stoßseufzer, ein Amen, das Ende eines Kicherns oder der Beginn eines angetäuschten Orgasmus’.
Dann hüpfte ihr kleiner fester Hintern in der engen grünen Leggins vor ihm davon und T.Kid blinzelte verstohlen hinterher.
„Unmöglich, dieses fransige Gehänge um ihr mageres Skelett. Keine Titten, kein Arsch, kein Dankeschön.“, stieß Seveso hervor.
„Mais oui, Senor Armani. An dir sähe das auch gleich viel besser aus.“
„Sag’ ich doch.“
Sie stießen die Gläser aneinander, als B-Bop-Bone zu ihnen trat, Clarissa winkte und auf dem freien Platz geradezu niedersank, die zerkratzten mexikanischen Cowboystiefel über den Tisch drapierte, tief durchatmete. Irgendwie wurde das Licht schwächer.
„Siehst gut aus, Bone.“, begrüßte ihn Thermonuklear. Seveso sah nur teilnahmslos auf und schlug mit den Augen ein.
„Ja.“
„Ja? Hast `ne lange Nacht gehabt, oder wie?“
„Ich hab’ die beschissene Fortbildung vom Amt.“
Er hustet angestrengt, reibt sich die Augen und zündet eine Zigarette an. Schwarzgefärbte Haare hängen strähnig in die Stirn.
„Was ist es denn?“
„Wieder ein stumpfer Krieg in irgendeiner Bank oder so, Investment, was weiß ich. Ich hab’s irgendwo aufgeschrieben. Ich kann dir gar nicht sagen, T., wie die mir alle auf den Sack gehen mit ihrem Dreck.“
Er sah an die Decke, in den wirbelnd rotierenden Ventilator.
„Stütze gibt’s eben nicht mehr für`s Nixtun.“
Seveso stellte das leere Glas ab.
„Nichts ist umsonst in Kaltland. Ich weiß es, ich hab’ nämlich einen Job, du Knochen. Und da hab’ ich auch nicht unbedingt ‚Hier!’ geschrieen, als der vergeben wurde. Der ist auch richtig real, verfickter Kot sozusagen.“
B-Bop-Bone setzte gerade zu einer Erwiderung an, als Thermonuklear glaubte, involvieren zu müssen. Um das Ungesagte ungesagt zu lassen: dass alles Lüge ist und Hypokrisie und Betrug, groteske Scharlatanerie, brutaler Schwindel.
„Also, was geht heute Abend?“

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