Auf dem Land ist Laissez Faire

Beschreibung zum Thema Lebenseinstellung

von  eiskimo

Ob es auf dem Dorf  in Deutschland genauso ist? Ich weiß es nicht.
Im französischen Bonnard, Burgund, ist es jedenfalls so. Dort, in diesem 500-Seelen-Nest, könnte ich als Gelb-Weste, als roter Sozi oder mit grün gefärbten Haaren und Totenkopf-Tatoo Punker-mäßig durch die Grande Rue laufen, es gäbe keine Reaktion. Null Reaktion gäbe es auch meinen Hygiene-Standard betreffend. Würde ich unrasiert und ungewaschen sein, schon die dritte Woche in denselben Klamotten herum trotten – et alors?
Ich könnte mit einem Monster-Quad ohne Schalldämpfer und Nummernschild samstags um die zwei Marktstände fahren, immer im Kreis, und keiner zuckte mit den Achseln. Mit ähnlich lauten Motorrädern, die auch weder zugelassen noch versichert sind, über die Waldwege zu heizen – welcher Mann hat das dort nicht gemacht? Und macht es nicht noch, um danach in der Trial-Montur vor der Dorfkneipe lässig herumzubalzen?  C´est la vie! Die Zahl der dann geschlürften Apéritifs – keiner hält sie nach. Alle setzen sich aber noch ans Steuer oder hinter den Lenker – denn der Hof ist weit weg und Bonnard … unendlich tolerant!
Sonntag morgens die Motorsense anwerfen, um sein Unkraut zu pulverisieren, just wo ein paar alte Mütterchen zu Kirche humpeln – völlig normal.  Völlig normal auch, vor dem Tabac oder der Bäckerei oder der Pharmacie seinen Quatre-Quatre-Boliden quer zu parken und den Diesel ein Viertelstündchen röhren zu lassen.
Ein Dutzend Katzen zu halten, die den gerade neu angelegten Platz vor der Kirche mit ihren kleinen Häufchen verschönern – das ist halt so, und es ist nicht schlimmer, als die vielen Hunde, mit deren Exkrementen man zu leben gewohnt ist.
Dass einige Häuser, selbst an stark frequentierten Plätzen, seit Jahren  leer stehen und verfallen – kein Thema. Dass da auch dick der Putz abbröckelt, sich schon einmal Dachziegel lösen oder tatsächlich die eine oder andere Ratte gesichtet wird – kein Thema.
Kinder auf dem Heuwagen herum turnend, auf der Deichsel stehend, im Fahrerhaus beim Bauern  mit lenkend, all das bei flottem Tempo – juppieh!
Juppieh auch, wenn dieselben Kinder ein paar Jahre später am Badesee abends ziemlich ungehemmt abfeiern und dabei keine Laster auslassen – es passiert ja sonst nix in Bonnard.
Gar nicht juppieh freilich ist in diesem schönen Reigen der Relaxtheit - nach wie vor – ein öffentliches Bekenntnis zum Schwul- oder Lesbisch sein. Da ist das Dorf  plötzlich  hochgradig borniert, und diese Art Freiheit akzeptierte man höchstens im Fernsehen. 
Schlimmer noch als jene Abweichung vom „sexuellen Standard“ aber  wäre es, sich als „anti-chasse“ zu outen. Oha! Denn damit würde man kund tun, dass man tatsächlich gegen die Jagd ist. Und wenn man dann noch die Unverfrorenheit hätte, den „écolo“ zu machen, sich also zu den „Grünen“ zu bekennen – mit Verzicht auf Fleisch und Agrochemie -,  dann hätte man in Bonnard ganz verloren. Dann wäre man hier, wo die Rinderzucht zu Hause ist und statt Wald Weihnachtsbaum-Plantagen wachsen,  definitiv eine Person des öffentlichen Ärgernisses, fast so schlecht angesehen wie … der Flic.
Die nächsten Flics sind 20 Kilometer weit weg stationiert. Ihre Streifenwagen werden nur selten in Bonnard gesichtet. Warum? Das Dorf legt die Gesetze sehr großzügig aus. Den Rest erledigen die Jäger.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (26.10.20)
Na ja, wer sich dort wohlfühlt. Warum nicht? LG

 eiskimo meinte dazu am 27.10.20:
Es ist super hier. Der Missbrauch der Freiheiten ist doch geringer als die Vorteile, die man damit hat (als heimlicher écolo und heimlicher Gegner der Jagd)
LG
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