In neuem Licht: „Seelenfischer“ (1614) von Adriaen Pietersz van de Venne

Essay zum Thema Seelenkälte

von  eiskimo

Auf den ersten Blick ist es eine Idylle am Fluss. Die Sonne scheint, es ist Sommer. Dann sieht man die vielen Menschen an den beiden Ufern, dichtgedrängt. Sie tragen lange kirchliche Gewänder, sie starren auf die Flussmitte. Und dort erkennt man noch mehr Menschen: Nackte, die um ihr Leben kämpfen.Männer und Frauen, dem Ertrinken nahe.
Gott sei Dank sind in ihrer Nähe aber Boote, die mit ihren Besatzungen alles tun, diese Unglücklichen aus dem Wasser zu retten.
Was einen hierbei stutzig macht: Die Retter sind keine Fischer oder Seefahrer, sondern wieder Männer in diesen langen kirchlichen Gewändern. Offenbar kirchliche Würdenträger und Pfarrer – sie tragen Ornat und Bischofsmützen, Talare und Bäffchen. Trotz dieser Montur ziehen sie einen um den anderen Schiffbrüchigen ins Boot.
Sie sind wunderbar detailgetreu gemalt, wirken faszinierend echt. Darum kann man sehr genau zuordnen, welcher Religion sie angehören. Und spätestens an dieser Stelle wird dem Betrachter klar, dass Adriaen Pietersz van de Vennes mit seinem Gemälde keine konkrete historische Katastrophe nachzeichnen wollte, sondern ein Sinnbild erschuf für das Ringen der beiden großen Konfessionen in den damaligen Niederlanden: Protestanten gegen Katholiken. Und die Vertreter beider Lager retten nicht etwa, wie man vordergründig denken musste, Menschen aus Seenot, sondern sie fechten einen fanatischen Wettbewerb aus, nämlich den, die größere Zahl  Seelen für seine Seite zu ergattern.
Interessant: Der Fang der Protestanten ist mengenmäßig deutlich größer. Und auf ihr Ufer, das linke im Bild, scheint nicht nur die Sonne; dort stehen auch die Bäume in schönster Blüte. Das ist natürlich eine eindeutige Parteinahme des Künstlers, und er spielt mit diesen Details auf den Psalm an, in es so schön heißt: Wahre Gefolgschaft ist wie ein Baum, der Früchte trägt und dessen Blätter nie verdorren.
Ich hatte das Gemälde vor ein paar Jahren in Amsterdam im Reichsmuseum gesehen und „ohne Verstand“ in seinen Details abfotografiert, damals nur aus Lust an seiner künstlerischen  Präzision und menschlichen Dramatik. Jetzt habe ich die Fotos durch Zufall wieder gefunden und darin ganz andere Aspekte entdeckt. Spannende Aspekte!
Vor allem die kritische Dimension darin. Dass ein Künstler sich damals, vier Jahre vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, religionspolitisch so positionierte – da spürt man schon den Wind der umwerfenden Reformation.
Vier Hundert Jahre später welch ein Wandel:  Hierzulande sind die Kirchen leer und Menschen in religiösen Gewändern aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Seelenheil ist in unserer Wohlstandsgesellschaft kein Thema mehr. Aber es werden  immer noch Menschen aus dem Wasser gefischt, aus dem mörderischen Mittelmeer. Sie wollten ins Paradies Europa, in dem aber kein Platz für sie ist. Unsere Würdenträger schicken sie zurück in die oft unbewohnbar gewordenen Herkunftsländer. Viele lässt man auch ertrinken.
Wenn Van de Venne heute diese Not in ein Bild packen müsste, vielleicht würde er auf der einen Seite die Rechtspopulisten auftreten lassen, wie sie ihre Festung Europa immer perfekter abschotten und auf der linken Seite die verlorene Schar der Gutmenschen, die da traurig ihre vergilbten Welcome-Refugees-Plakate hochhalten. Dazwischen miserable Schlauchboote....
Schwierig wäre es freilich, einen passenden Psalmtext für diese schwer zu ertragende Situation zu finden. Wer kennt und versteht im christlichen Abendland schon noch Psalmen....


Anmerkung von eiskimo:

Ich finde es sehr reizvoll, alte Gemälde neu zu übersetzen. Es kann die Augen öffnen

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(27.10.20)
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 eiskimo meinte dazu am 27.10.20:
Super schön, Deine Rückmeldung. Da lacht mein Herz. Danke!
Das Gemäldehat es mir angetan, Da kann man wie ein Kind vor dem Wimmelbild hocken und Detail für Detail herauslesen...
lG
Eiskimo
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