Die Unze Wahrheit

Interpretation zum Thema Wahrheit

von  HerzDenker

DIE UNZE WAHRHEIT tief im Wahn

 

an ihr

kommen die Teller der Waage

vorübergerollt,

beide zugleich, im Gespräch,

 

das kämpfend in Herz-

höhe gestemmte Gesetz,

Sohn, siegt.

 

 

 


Meine Deutung

 

Es handelt sich um eines der rätselhaftesten der kurzen Gedichte von Paul Celan. Das schwierige Gelände der ethymologischen Nähe von Wahrheit und Wahn deutet an, wie schillernd auch die Metaphern dieses Gedichts ins Spiel gebracht werden: Tiefe Wahrheiten – und um solche sollte es einem Priesterdichter wie Celan gehen- müssen tief vergraben sein und zwar- so heißt es- eben auch tief im Wahn. Die Wahrheit dort unten wird offenbar mit der Gerechtigkeit in Verbindung gebracht, für die man die Waage wohl als Symbol sehen muss. ….die Teller der Waage kommen an ihr vorübergerollt, … Die Tat und deren Beurteilung (und mögliche Bestrafung) sind im Gespräch, sodass „unter den Augen“ der Unze Wahrheit nebendran vielleicht ein Urteil zustande kommen kann, dass einen gerechten Ausgleich schafft, das Geschehene wieder in die Balance der Waage bringt.

   Das „Gespräch“ der beiden Waage-Schalen (bzw. -Teller) geht nun in ein Ringen über, in einen Kampf. Dieser soll nun nicht allein mit den Argumenten, die der Kopf finden mag, geführt werden, sondern in Herzhöhe, worauf das Gesetz in Herzhöhe gestemmt wird. Wo sich nach Meinung auch der chassidischen Mystik das Zentrum des seelenbewussten Menschen befindet, dort soll letztlich der „Sieg“ in Fragen der Gerechtigkeit errungen werden, soll der Weisheit letzter Schluss gezogen werden. Die Botschaft des Gedichts findet in der letzten Zeile einen Adressaten: Den Sohn. Dem leiblichen Nachwuchs soll dies mitgeteilt werden, damit er in Zukunft diese Grundsätze im Leben beachte. Interessant auch, dass das Herz hier als etwas positioniert wird, zu dem das Gesetz hochgestemmt werden muss. Rein körperlich befindet es sich ja unterhalb des Kopfes, dessen Rationalität ja im vorhergehenden Diskurs Hauptakteur war. Celan dreht also die Wertigkeiten um, was an die Vorgänge erinnert, in denen er sich zum Reiter eines göttlichen Etwas gemacht hat. Man könnte nietzscheanisch von einer gewissen Umwertung aller Werte sprechen, die aber möglicherweise nicht in letzter Konsequenz durchgeführt wird. Es mag auch als eine mit Polemik vermengte Provokation des dichterischen Denkspiels zu sehen sein. (Celan)

 

(FN,22;2, 128)              

 

 



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