Sind die Voraussetzungen für Lyrik und Idyllik noch gegeben?

Kurzprosa

von  Quoth

Lyrik und Idyllik setzen eine schicksalhafte, aber letztlich wohlwollende Natur und einen Menschen voraus, der respektvoll und pfleglich mit ihr umgeht. Das Wetter wird von Petrus gemacht – und die Natur will uns, neben aller Wildheit, auch erfreuen mit ihren Licht-, Wetter- und Elementstimmungen, ihren Blüten, Blättern und Früchten und anmutigen, gewaltigen oder putzigen Tieren. Wenn dazu das Bankkonto nicht zu leer ist, kann das lyrisch veranlagte Gemüt sich in gebrochene Zeilen ergießen und seine Gefühle in eine inspirierende Umwelt projizieren. Seit wir jetzt aber in der Pandemie und angesichts der drohenden Klimakatastrophe eine Natur erleben, die es sich nicht länger gefallen lassen will, wie wir sie ausbeuten, wie wir ihre Vielfalt zerstören, wie wir sie vergiften und die Atmosphäre in einen zerstörerischen Brutofen verwandelt haben und weiter verwandeln: Wer mag da noch schwärmen wie Eichendorff: „Es war als hätt‘ der Himmel Die Erde still geküsst“? Der Himmel küsst die Erde nicht, er dörrt sie aus, entfacht riesige Waldbrände oder überschwemmt uns mit mörderischen Flutmassen … Ich glaube, wir sind poetisch an einem Wendepunkt angelangt. Und auch das Idyll hat ausgedient; an die Stelle von Daphnis und Chloe mit ihren Schafen und Lämmern und ihrer Hirtenflöte, an die Stelle kleiner behaglicher Bauernhöfe sind Schweine- und Geflügelhallen getreten, in denen Tausende von Tieren in qualvoller Enge in ihrem eigenen Kot gehalten werden, nur damit wir uns weiter vollfressen und die Erde weiter plündern können. Wir, die Subjekte der Dichtung, sind selbst zu einer Belastung des sterbenden Planeten geworden. Es gilt, Abschied zu nehmen von der Poesie. Und ihr vielleicht doch auch nachzutrauern.



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (16.01.22, 15:58)
Na, ja,
sind Lyrik und Idyllik  so ohne Weiteres vergleichbar?
Sprichst du nicht ausschließlich von romantischer Naturdichtung?
Und inwiefern setzt Lyrik eine wohlwollende Natur voraus?

Hmm.

 Quoth meinte dazu am 16.01.22 um 16:36:
Ich sollte den Titel vielleicht auf Naturlyrik einschränken - auch wenn das für mich das wichtigste Genre der Lyrik ist.
Für meine Begriffe feiert Lyrik immer etwas, auch wenn sie nur mit gebrochenen Zeilen arbeitet - die bedichtete Realität steigt in der Lyrik auf den Kothurn, sogar wenn es nur Gedanken sind. Ich habe auch überlegt, meine Gedanken in gebrochenen Zeilen zu schreiben - aber das wäre mir geschmacklos vorgekommen.
Dank für Kommentar ohne Empfehlung - meist ist es hier umgekehrt! Quoth

 niemand antwortete darauf am 16.01.22 um 18:09:
Ich frage mich allerdings ob man nur als knallharter Realist "leben darf" oder auch als ein nicht solcher. Es gibt verschiedene Menschen und Charaktere und bekanntlich lebt der Mensch nicht nur vom Brot allein, sondern braucht so etwas wie Träumereien, Fantastereien, eine Sehnsucht nach mehr als nach dem was er real erblickt. Wenn es nicht so wäre, könnte man jede schöne Musik verbannen, denn auch diese ist selten nah an der Realität. Abstand zu absoluten Realität kann lebensrettend sein für Träumer zum Beispiel und diese haben auch ein Recht zu existieren. Und wem schadet es denn, wenn man sich an verträumten, fantasievollen Gedichten erfreut. Wenn es nicht so wäre, dass der Mensch Abstand sucht, dann genügte doch alltäglich die Tagesschau anzusehen. Realität genug?
Doch das Gemüt, welches auf Dauer aufgrund einer solchen Beschränkung noch überlebte, das müsste erst geschaffen werden. Im Übrigen flüchten  Realisten auch nicht selten aus der Realität des Seins. Nicht wenige davon saufen, oder bedienen sich anderer Exzesse. Da ist doch ein harmloses Gedicht nicht so Schaden zufügend . LG niemand

 Quoth schrieb daraufhin am 16.01.22 um 22:34:
Ja, Du hast Recht, Niemand, die Flucht in eine von der Wirklichkeit sich abwendende neue Romantik ist wohl das einzige,was uns bleibt. Quoth

 Tula (16.01.22, 19:42)
Hallo Quoth
Keine Sorge, die Schöngeister sind nicht totzukriegen. Solange es Dichter gibt, werden einige von ihnen den Herbst besingen  8-)

LG
Tula

 Quoth äußerte darauf am 16.01.22 um 22:45:
Einen Herbst, den es nicht mehr geben wird und teils schon nicht mehr gibt, Tula. Schöngeister, die sich verzweifelt klammern an Verschwindendes, was für armselige Gestalten! Gruß Quoth

 AlmaMarieSchneider (16.01.22, 20:06)
Die Erde ist das was sie ist auch durch verheerende Katastrophen geworden. Ein wunderbarer Planet. So beatworte ich Deine Frage trotz fürchterlichen menschlichen Verhalten mit JA.
Gerade in der schlimmsten Zeit sehnt sich der Mensch nach Idylle, nach Schönheit, selbst der Steinzeitmensch konnte die Finger nicht vom Zeichnen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass es auch damals schon Gedichte gab.
Die Tierqual, die Du aufzeigst, ist furchtbar und der Raffgier und dem Geld geschuldet. Genauso wie die Urwälder und das verunreinigte Meer. Klagelieder wären hier angebracht und zwar so viele, dass Politik und Lobbyisten daran ersticken.
Ein guter Text.
Liebe Grüße
Alma Marie

 Quoth ergänzte dazu am 16.01.22 um 22:36:
Ja, Klagelieder, das ist eine gute Forderung, AlmaMarieSchneider! Gruß Quoth

 EkkehartMittelberg (16.01.22, 20:31)
Deine Frage zu stellen macht Sinn. Aber die Idylle war zu keiner Zeit Abbild der Realität, sondern eher Utopie. Ohne sie würde die menschliche Psyche verdorren.
LG
Ekki

 Quoth meinte dazu am 16.01.22 um 22:46:
Wo sind die Utopien, die diesem Ansturm von Vernichtung standhalten? Gruß Quoth

 Graeculus meinte dazu am 16.01.22 um 23:21:
Kommen Sappho und Catull nicht ohne Idylle aus?

 Quoth meinte dazu am 17.01.22 um 11:46:
Die Idylle st nur die Zuspitzung der Sehnsucht nach Einbettung in eine Harmonie, die die Naturlyrik beseelt (und dazu zähle ich auch die Liebeslyrik). Behaglichkeit, Heimeligkeit, Geborgenheit sind  Werte, ohne die die Dichtung nicht auskommt, selbst wenn sie sie noch sehr wegrückt (wie Benn in seinem Gedicht "Kleine Aster").  Zu Sappho und Catull weißt Du mehr als ich, lieber Graeculus! Gruß Quoth

 LotharAtzert (17.01.22, 10:36)
Lieber Quoth,
hier ein vom Zen beeinflusstes japanisches Sprichwort zur Anregung, das ich auch gar nicht weiter kommentieren möchte:
Tag für Tag guter Tag.

 Quoth meinte dazu am 17.01.22 um 11:39:
Das ist, wenn ich das richtig deute, die durchaus und zu jeder Zeit beherzigenswerte Regel, aus allem das beste zu machen Aber kann zum Besten auch noch Naturlyrik gehören - da die Natur uns zunehmend nur die Fratze zeigt, in die unsere Ausbeutung sie zunehmend verwandelt? Vielen Dank für Kommentar und Empfehlung, LotharAtzert. Quoth

 Dieter_Rotmund (17.01.22, 12:33)
Ist im hinteren Teil stellenweise zu vulgär formuliert, ich wäre lieber dem zynischen Stil treu geblieben ...

 Quoth meinte dazu am 17.01.22 um 12:36:
Du hat den Text ja leider nicht geschrieben, lieber Dieter_Rotmund! Gruß Quoth

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 17.01.22 um 12:43:
Was ich damit sagen will, ist: Die Vulgarismen desavouieren den Text - ohne sie wäre er weitaus besser!

 Quoth meinte dazu am 17.01.22 um 13:06:
Dann schreib ihn doch mal um, wie er Dir besser gefallen würde!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 17.01.22 um 13:13:
Nein, das ist nun wirklich nicht angemessen. Das ist schließlich Dein Text, ich mache nur Verbesserungsvorschläge.

 Quoth meinte dazu am 17.01.22 um 14:10:
Ich habe jetzt überlegt, den Begriff "vollfressen" durch "sattessen" zu ersetzen. Aber in diesem Vulgarismus steckt auch das Gefühl, dass wir in unserer Brutalität und Profitgier gedankenloser und widerlicher als die Tiere sind, die wir quälen.
Wenn ich über Misstände schreibe, die ich nicht fassen kann, werde ich emotional, und das spiegelt sich in der Wortwahl. So bin ich eben! Mit Dank für kritische Befassung - Quoth

Antwort geändert am 17.01.2022 um 14:11 Uhr
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