Woher kommt der Glaube an Sanktionen?

Text

von  Fridolin

Dieser Text ist Teil der Serie  Politisches


„Was verboten ist, das macht uns grade scharf“ sang einst Wolf Biermann und widerlegte damit für mich überzeugend alle Bestrebungen, die Welt mit Strafen ordnen zu wollen. Später wurde der Satz von Erkenntnissen der Sozialpsychologie untermauert; auch die anhaltend hohen Rückfallquoten bei Strafgefangenen wiesen in die gleiche Richtung. Watzlawick analysierte die fatalen Wirkungen des Prinzips „mehr desselben“, auch symmetrische Eskalation benannt. Nichts davon hat verhindert, dass Politiker nach wie vor mit der Forderung nach Sanktionen erfolgreich auf Stimmenfang sind.
In der Regel geht es um Drohungen, denn niemand spricht von den sogenannten „positiven Sanktionen“, die, etwa durch die Verleihung von Preisen für erwünschtes Verhalten, nicht nur der Theorie nach durchaus möglich und auch um ein vielfaches effektiver wären.

Nein, populär sind negative Sanktionen, und sie sind das keineswegs nur bei Politikern,  denn diese könnten damit nicht hantieren, wen es keine Wähler dafür gäbe. Bevorzugt werden Sanktionen gegen Schwache oder jedenfalls Schwächere verhängt; so gut wie nie werden sie ökonomisch Erfolgreichen zugemutet. (ein Hoeness macht noch keinen Sommer, lässt höchstens ungläubig staunen, und was juckte schon ein Hunni den Millionär?). Sie enthalten immer auch die Abwertung der geistigen Fähigkeiten des Adressaten („Du bist zu dumm, um zu kapieren“), sind Abkehr davon, vor der eigenen Haustür zu kehren, sprich, als Problem wird niemals die eigene unzureichende Erklärung oder Vermittlung des Erwünschten angesehen. Mithin also eine einseitige und meist auch monokausale Schuldzuweisung.

Kluge Sanktionierte sind gelegentlich in der Lage, ungeachtet solcher Umstände ihr Verhalten in der gewünschten Richtung zu verändern, unterm Strich produzieren Sanktionen jedoch hauptsächlich unerwünschte Ergebnisse.

Seltsam und rätselhaft also, warum der Glaube an die heilig gesprochene Strafe so verbreitet ist. Was kann sie wohl wünschenswert erscheinen lassen?
                                       




As times go by - nach drei Monaten Intensivtraining mit dem Thema Sanktionen
Muss ich irgendetwas korrigieren an diesem Text?
Die viel effektiveren „positiven Sanktionen“ sind weiter Fehlanzeige. Nirgends wurde irgendein erfolgversprechender Vorschlag zur Beilegung der Krise in irgendeiner Art und Weise honoriert; es gab schlichtweg keinen, alle Ansätze, die irgendwie in die Richtung Interessenausgleich gingen, wurden abgebügelt.
Die negativen Auswirkungen der negativen Sanktionen dagegen werden immer spürbarer. Alle werden offenbar ärmer, ausgenommen natürlich die Rüstungsindustrie und sonstige Kriegsgewinnler. Dass die Ziele erreicht worden seien, kann man aber nicht gerade behaupten. Trotzdem scheint der Glaube ungebrochen.






Anmerkung von Fridolin:

Eine etwas ausführliche Bilanz bietet "Lost in Europe"
 https://lostineu.eu/kein-ziel-erreicht-viele-nebenwirkungen-eine-zwischenbilanz-des-wirtschaftskriegs/
Als alles losging, hieß es in Brüssel, man wolle den Krieg in der Ukraine mit “massiven” Sanktionen beantworten, um den “Preis für Putin” hochzutreiben und den Kremlchef so zu einem schnellen Ende zu bewegen. Damit werde auch der Ukraine geholfen, hieß es. Der Wirtschaftskrieg sollte eine zweite Front aufmachen und Russland isolieren.
Doch das ist nicht gelungen – eine Zwischenbilanz in 10 Punkten:

  1. Die Sanktionen haben den Krieg nicht beendet und Russlands Militäreinsatz bisher nicht behindert – also der Ukraine nicht geholfen
  2. Die meisten Staaten dieser Welt haben sich den Strafmaßnahmen nicht angeschlossen, selbst EU-Partner wie Indien oder Südafrika sträuben sich
  3. Die russische Wirtschaft wurde zwar getroffen – doch nicht so stark, wie erwartet. Der Rubel hat sich erholt, die Inflation ist niedriger als im Baltikum, die Rezession dürfte relativ milde ausfallen
  4. Putin kann von den Sanktionen teilweise sogar profitieren, weil sie die Preise für Gas und Öl treiben – in Moskau klingelt die Kasse!
  5. Umso härter haben die Sanktionen Europa und die Entwicklungsländer getroffen – vor allem höhere Preise für Energie und Nahrungsmittel werden nun weltweit zum Problem
  6. Die EU hat viel von ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt, wie Kanzler Scholz in Senegal und in Südafrika aus erster Hand erfahren durfte – er trat fast wie ein Bittsteller auf
  7. Zugleich steigt die Abhängigkeit Europas von den USA und autoritären Regimes wie Katar, Saudi-Arabien oder Iran; sogar Venezuela wird nun wieder hoffähig
  8. Das ständige Drehen an der Sanktionsschraube spaltet nun sogar die EU und die USA, wie der Streit um das Ölembargo zeigt
  9. Wenn die EU nicht aufpasst, zerstört sie mit ihren Sanktionen die “internationale regelbasierte Ordnung”, die sie fördern will – dies zeigen die Pläne zur Enteignung russischer Vermögenswerte
  10. Gleichzeitig treibt sie Russland in die Arme Chinas; die neue Blockbildung schneidet die EU womöglich auch noch vom Wachstumsmotor Eurasien ab.
Fazit: Der Wirtschaftskrieg ist ein Flop. Keines der angestrebten Ziele wurde erreicht, die Nebenwirkungen treffen die EU und münden sogar in einer Art “Kriegs-Müdigkeit”, wie Außenministerin Baerbock beklagt. Dennoch zeichnet sich immer noch kein Umdenken ab, jedenfalls nicht in Berlin oder Brüssel.
Demgegenüber steht Washington mit Blick auf die Wahlen im Herbst auf der Bremse. Die USA haben den Wirtschaftskrieg gegen Russland von langer Hand geplant – schon Monate vor Kriegsbeginn, wie Kanzler Scholz ausplauderte. Nun könnten sie ihn wieder abblasen, jedenfalls bis zu den Midterms…

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Kommentare zu diesem Text

Terminator (41)
(19.01.22, 21:03)
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 Graeculus (19.01.22, 23:32)
Stellen wir uns eine Gesellschaft vor, in der es keine Strafen gibt. Was passiert dann?

 Fridolin meinte dazu am 20.01.22 um 01:40:
Da wäre doch erst mal zu klären, wie es zu einer solchen Paradies-Gesellschaft kommen könnte. Das hieße doch wohl, dass zumindest die Mehrheit überzeugt sein müsste, dass man Konflikte anders besser lösen kann, und davon sind wir noch ziemlich weit entfernt.
Eine wahre Herkulesaufgabe, würde ich sagen, wenn man bedenkt, wie verbreitet das Strafen gegenwärtig noch ist.  Das sind so etwa tausend Einzelbaustellen.
Andererseits bin ich aufgewachsen in einer Zeit, als die Prügelstrafe noch tägliches Brot in der Schule war. Heute weiß man, dass es auch anders, und sogar besser geht.
Und wenn man bessere Lösungsmöglichkeiten gefunden hat, was sollte dann passieren?

 Graeculus antwortete darauf am 20.01.22 um 10:37:
Die Frage ist, wie man die Leute davon überzeugen will,. wenn man gesamtgesellschaftlich keine Alternative zum Weg des Strafens angeben kann. Die meisten Menschen kommen ja schon privat nicht im Guten miteinander aus.

Übrigens ist die Prügelstrafe in der Tat aus deutschen Schulen verschwunden; das bedeutet selbstverständlich nicht, daß das Strafen dort verschwunden wäre, obwohl diese Bezeichnung gerne vermieden wird.
Auch wenn man jemanden mit Liebesentzug bestraft, ist das eine Strafe! Und keine geringe.

Wenn ich recht informiert bin, kamen selbst anarchische (Stammes-)Gesellschaften nicht ohne Strafen aus - nur daß sie das kollektiv, also ohne höhere Autoritäten durchgeführt haben.

Nicht zuletzt entstammt der Mensch evolutionär einer Natur, die jeden Fehler unerbittlich bestraft. Einen Moment nicht aufgepaßt, und schwupps! bsit du gefressen.

Vielleicht wäre weniger strafen kein schlechtes Ziel.

 Graeculus schrieb daraufhin am 20.01.22 um 10:40:
Das Lernprizip lautet doch "trial and error"; und die Strafe übernimmt oft den Part des errors. Das tut sie in vielen Fällen sehr wirksam, wenn auch nicht immer.

 Fridolin äußerte darauf am 20.01.22 um 19:19:
"Vielleicht wäre weniger strafen kein schlechtes Ziel."
Das fände ich jedenfalls schon mal ganz gut. Rom soll ja auch nicht an einem Tag erbaut worden sein ...

 monalisa (20.01.22, 08:46)
Hallo Fridolin,
ein sehr interessanter Text, der eine Frage stellt, die wohl nicht so einfach zu beantworten ist. Woher dieser Glaube kommt, müssten Historiker, Soziologen, Psychologen ... klären. Aber wesentlicher als diese Frage, erscheint mir die nach der Wirkung von Strafsanktionen zu sein, die auf Flucht und Vermeidungsverhalten aufbauen, also Wohlverhalten, um Strafen zu veremeiden? Eher läuft es, meiner Meinung nach, auf ein "sich nicht erwischen lassen" als Reaktion auf diese Erziehungsmaßnahme hinaus.. Wodurch sich kluge Köpfe mit versierten Rechtsanwälten angehalten sehen, Schlupflöcher zu suchen und es als Erfolg verbuchen, "durchgerutscht" zu sein.
Aus der Lernpsychologie wissen wir, dass erwünschtes Verhalten zu belohnen, wesentlich effektiver ist, als unerwünschtes zu bestrafen. Am wirksamsten scheint es, wenn die Belohnung dann eher zufällig und nicht bei jedem "Wohlverhalten" erfolgt. Das weiß man schon lange, aber diese Erkenntnisse haben kaum in unsre Gesllschaft Einzug gehalten, weder in der häuslichen Erziehung und den Schulen, noch im Strafvollzug, gescheige denn in diplomatischen Kreisen zur Völkerverständigung. "Zuckerbrot und Peitsche" scheint konkurrenzlos.
Noch eine Abgrenzung zwischen Strafen und "logischen Konsquenzen" erscheint mir noch wichtig. Eine logische Konsequenz wäre etwa die Wiedergutmachung eines angerichteten Schadens oder Schmerzensgeld, wenn jemand verletzt wird, auch ein Antiaggressiontrainig würde ich hier einordnen ...

Ich finde es sehr gut, dass und wie du dieses Thema aufgegriffen hast.

Liebe Grüße
mona

Kommentar geändert am 20.01.2022 um 08:48 Uhr

 Fridolin ergänzte dazu am 20.01.22 um 15:24:
Liebe Mona
Herzlichen Dank für Deine Unterstützung. Was Du zu "Wohlverhalten, um Strafen zu vermeiden" schreibst, sehe ich auch als Kernproblem aller (negativen) Sanktionen. Im Unterschied zu den Positiven Sanktionen führen sie nie direkt zu erwünschtem Verhalten. Es mag seltene Ausnahmen geben, wo vorgetäuschtes Wohlverhalten über die Zeit zu der Erkenntnis führt, dass es sich so tatsächlich besser leben lässt, aber bauen kann man darauf sicherlich nicht. Vielleicht befördert es aber tatsächlich bei vielen den Glauben, es sei durch die Strafen etwas positives erreicht worden.
Positive Sanktionen sind übrigens nochmal verstärkt wirksam, wenn sie "spontan" erfolgen.
Und was Du im Sinne alternativer Wege unter Konsequenzen beschreibst, so sind das Dinge, die  schon mal deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren haben, um die es leider ziemlich still geworden ist. Ja, gerne mehr davon!
Liebe Grüße
Fridolin

 eiskimo (20.01.22, 13:50)
Den Begriff hört man ja jetzt oft im Zusammenhang mit dem Konflikt Russland-Ukraine.
Wenn die Diplomatie diesen Konflikt nicht lösen kann, andererseits kein Krieg vom Zaun gebrochen werden soll, was bleibt als da noch als  "Argument" ?  Kopf in den Sand?

vG
Eiskimo

 Fridolin meinte dazu am 20.01.22 um 15:58:
Wenn die Diplomatie diesen Konflikt nicht lösen kann
woran wird das dann wohl liegen? Im Augenblick besteht sie doch im wesentlichen aus dem gegenseitigen Androhen von Sanktionen, leicht gebremst durch die Erkenntnis, dass man sich damit womöglich ins eigene Bein schießt. Wie wäre es denn mit einer anderen Diplomatie? Es gab mal die Leitlinie "Wandel durch Annäherung", lange vergessen. Es gab mal die Idee, Russland in die NATO einzubinden, damals der Preis für die russische Zustimmung zum 2+4-Vertrag. Frieden entsteht durch gemeinsame Aktivitäten zum gegenseitigen Nutzen, nicht durch Drohungen.

 eiskimo meinte dazu am 20.01.22 um 17:59:
Dass es schöner wäre, wenn beide Seiten einander vertrauten, die Drohungen und das Säbelrasseln sein ließen und wieder gemeinsame Aktivitäten anstrebten;  das ist doch völlig klar. Aber die Realitäten sind andere.

 Fridolin meinte dazu am 20.01.22 um 21:04:
Insoweit wären wir uns dann ja einig? Wobei ich vielleicht in Deinen letzten Satz gern ein "noch" einfügen würde.

 eiskimo meinte dazu am 21.01.22 um 07:54:
Dieses "noch" könnte man auch zynisch verstehen.
Lies mal bei Zeit.online vom 14.1.  den offenen Brief, den 70 Sicherheitsexperten an die Bundesregierung verfasst haben. Tenor: Nicht weiter auf naive Symbolpolitik setzen, bei diem inzwischen installierten  Drohpotential ....

 Fridolin meinte dazu am 21.01.22 um 12:06:
ich weiß nicht, was Du diesem offenen Brief entnimmst. Er enthält jedenfalls keinen einzigen konkreten Vorschlag. Man schließt mit der pauschalen Forderung nach mehr "Eindämmung und Sanktionierung Russlands". Das heißt doch wohl, das eigene Drohpotential erhöhen. = mehr desselben auf der anderen Seite.
In der naiven Hoffnung, dass Putin dann den Schwanz einzieht, dem man gerade noch, am Anfang des Briefes, eine ach so mächtige Position zugeschrieben hat, dass er um seine Sicherheit nicht im geringsten Furcht haben müsse. Es liegt auf der Hand, dass eins von beidem falsch sein muss. (NB: Russland gab 2020 ca 61 Milliarden Dollar für Rüstung aus, die NATO dagegen über 1000, also ca. 17x soviel. Quelle SIPRI)
Nach wie vor frage ich mich also, worauf der Glaube an positive Wirkungen von Sanktionen sich wohl stützt.

Antwort geändert am 22.01.2022 um 17:55 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 24.01.22 um 09:53:
Frag mal die Menschen in der Ukraine, was sie von diesen Zahlenspielen halten.....
Und noch etwas Lesenswertes: Der Mythos vom falschen Versprechen

Eine Kolumne von  Michael Thumann    bei Zeit.de

 Fridolin meinte dazu am 24.01.22 um 13:50:
Deinem link entnehme ich, dass Bush I. die etwas andere Diplomatie dieser Jahre, die einen Abbau des Drohpotentials anvisierte, "zurückgepfiffen" hat. Das mag natürlich viele gut bezahlte Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie erhalten haben ...

Und die Menschen in der Ukraine frage ich im übrigen dasselbe, was hier in der Überschrift steht. Die Zahlen werden sie vermutlich nicht kennen, man liest sie ja auch bei uns nur selten. Vermutlich würde leider auch eine Mehrheit einverstanden sein, das Risiko eines Bürgerkriegs weiter zu erhöhen, sie wollen ja mehr Waffen. Aber genau das ist ja das Problem; darum ist mir die Frage ja so wichtig.

Antwort geändert am 24.01.2022 um 13:52 Uhr
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