Zwei Tauben

Erzählung

von  Seelensprache

Jacques schaute aus dem Fenster. Vor dem üppigen juni-grün der Bäume im Hintergrund, hatten sich zwei Tauben auf seinem Balkon niedergelassen. Er war überrascht. Tauben hier waren ungewöhnlich. Für ihn gehörten sie auf die Plätze und Gassen und in die riesigen Bahnhofshallen der Großstädte. Sie tapsten dort zwischen den Füßen der Passanten umher, immer etwas unelegant, leicht vornüber geneigt und pickten, was ihnen als bekömmlich erschien von den gepflasterten Wegen. Hier auf seinem Balkon wirkten sie wie Fremde. Als sie aber dort so selbstvergessen standen und vor sich hin gurrten, stellte sich so etwas wie ein intimer Moment ein. Sein Blick verengte sich. Ihre dunkelgrauen Köpfe und Hälse waren farblich abgetrennt vom unförmigen Unterbau, der sich darunter hervorwölbte. Ihr schuppiger Hals funkelte grünlich schimmernd durchzogen. Es war, als hätten sie ihre Köpfe in einen Farbeimer gesteckt und das Grau des Restkörpers darunter verborgen. In der Nahbetrachtung, versteckt hinter den Zimmerpflanzen auf dem Sims, war es, als ob da draußen auf seinem Balkon etwas Privates vonstattenging, dessen er nun Zeuge wurde. Er bekam eine Idee davon, wie sich ein Spanner fühlen könnte. Er spürte etwas von dieser Aufregung und Neugier und diesem Kick, dabei ertappt  zu werden. Er fragte sich, ob sie ihn wohl ebenfalls wahrnahmen, hinter seiner Scheibe, ob auch sie so etwas wie eine Neugier empfanden. Es schien ihm wenig wahrscheinlich. Sie schienen sich nicht darum zu scheren. Sie tapselten ein wenig umher, flogen von der einen Seite des Balkongeländers zur anderen. Ihr Gebahren erschien ihm als äußerst unruhig und es erinnerte ihn an Menschen, die davon berichteten, niemals still sein zu können, ständig etwas tun zu müssen. Mit diesen Tauben schien es das Gleiche. Es war, als ob eine Kraft sie dazu veranlasste, ständig von einer Position zur nächsten zu wechseln. Sie taten dies, ohne dass darin ein tieferer Sinn verborgen wäre. Je intensiver seine Wahrnehmung auf das Geschehen gerichtet war, desto lauter erschien ihm nun das Gurren, desto näher drangen die immer gleichen Vibrationen ihres Stimmapparats an seine Ohren und desto unerträglicher wurde es ihm. Er empfand es zunehmend  als eine absichtliche Provokation und Belästigung und spürte den Drang sich abzuwenden. Er hatte genug. Er stand auf und öffnete energisch die Balkontür. Aufgeregt flatterten sie davon. Erleichtert trat er in die Sonne und schaute ihnen nach. Nun war wieder alles in Ruhe.  


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (31.05.22, 14:39)
Tauben, die "Ratten der Lüfte". 

P.S.:
juni-grün -> Juni-Grün
wa Bash (47)
(31.05.22, 18:38)
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