Gedanken in der Straßenbahn

Erzählung

von  Seelensprache

Draußen war es dunkel. Der Boden war kalt. Das Holz speicherte die Wärme nicht. Mühsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Zu dieser Zeit schien alles noch so unberührt. Vielleicht war dies einer der Gründe, warum manche es mochten, früh aufzustehen? Das Badzimmerlicht offenbarte die Reste der vorabendlichen Rasur. Die kleinen Stoppeln säumten die Armatur als hätte man einen Igel kräftig über ihr ausgeschüttelt. Es wäre wohl mal wieder an der Zeit sauber zu machen, dachte er bei sich. Wie immer er sich diese Dinge dachte, sobald er sie sah und sie kurz darauf schon wieder vergessen waren. Nachdem er sich aufs Nötigste zurecht gemacht hatte, setzte er sich an den Tisch und aß sein Müsli. Es war ein so einfacher Vorgang und das gefiel ihm. Das unauffällige Zittern seiner Hände ignorierte er.

Draußen empfing ihn die Ungnade einer kalten Februar-Nacht. Das kahle Gestrüpp, das im Frühling so buschig daherprotzte, leuchtete in all seiner Trostlosigkeit hell auf, als er die Hausbeleuchtung anknipste. Er mochte dieses Bild nicht, war aber zu ängstlich sich im Dunkeln zurechtzufinden.

Die Unterführung zur Straßenbahn lockte ihm jedes Mal ein kleines Staunen hervor. Sie führte hinab in steten kreisförmigen Bahnen. Das war interessant. Es war ein breiter Weg, der auch für einen mittelgroßen Elefanten genügend Platz gelassen hätte. Am Ende dann jedoch, wie bei so vielen Dingen, die sich großartig ankündigen, eine Enttäuschung. Das erwartbar banale Bild aus Ticket-Automaten, Fahrplänen, Mülleimern und Rolltreppen, die noch weiter hinab in den Kaninchenbau führten, hießen einen Willkommen. Um diese Zeit war es ein unbelebter Ort. Es wirkte, als wäre etwas viel zu Großes entstanden.

Das Leben in der Stadt hatte für ihn zunehmend etwas Unheimliches. Die Menschen waren ihm ungeheuer geworden. Überhaupt war dieser S-Bahn-Kosmos eine ganz und gar merkwürdige Welt. Es war, als ob die ganze Zeit etwas geschehe, ohne dass wirklich etwas von großer Bedeutung geschah. Ständig lief man aneinander vorbei, blieb nebeneinander stehen, saß nebeneinander. Innerhalb der Bahnen, nach dem Schließen der Türen, verdichtete sich dieser ganze Vorgang des Aneinander-Vorübergehens, Stehenbleiben, Sitzenbleibens. Es schaffte dies Art von künstlicher Intimität, die man nur zulassen konnte, weil man sie eben nicht als eine Art von Nähe empfand.

Die einfahrende Bahn riss ihn aus seinen Gedanken. Die Tür öffnete sich und fünf kleine Verbotsschilder an der gegenüberliegenden Seite begrüßten ihn. Daneben der Hinweis für die Schwarzfahrer, sie mögen dies bitte unterlassen. Die Wagen waren in Viererblöcke unterteilt, in denen sich jeweils zwei Personen gegenübersaßen. Ihm war dieses Konzept verhasst. Wieso konnte man es nicht wie in den meisten Bussen handhaben, wo es immerhin eine Durchmischung zugunsten der Zweierreihen gab. 

Das erste, das er tat, bevor er sich setzte, war seine Jacke an den Haken zu hängen. Er war einer der wenigen, der dies tat und es beschäftigte ihn die Frage, warum dies so war. Hatte es hygienische Gründe? Er war ständig und überall von ganz und gar unwichtigen Gedankengängen durchdrungen. Es war, als ob sein Gehirn, kaum im Wachzustand, beständig eine Beschäftigung suchte. So wie ein Hund einem Stock hinterherjagt, jagte er jedem Gedanken hinterher, der es für einen kurzen Moment in sein Bewusstsein geschafft hatte.  

Er setzte sich, schlug das recht Bein über das Linke und drückte sich mit dem Knie gegen den kleinen Mülleimer, der direkt unter der Fensterkante angebracht war. Das war seine Lieblingsposition. Den Kopf lehnte er an das Innenfutter seiner Jacke und schaute nach draußen. Und weil eben alles voller Tunnel war oder noch dunkel von der Nacht, schaute er selbst in der Spiegelung des Fensters zurück. Sofort schoss ihm ein neuer Gedanke in den Kopf und noch einer und noch einer.



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (16.06.22, 12:48)
Sauber runtererzählt, aber es fehlt was. Warum sollte ich mich für das Innenleben dieses Teenagers interessieren? Da ist kein Dilemma, kein Konflikt, kein Konfrontation, nichts.
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