Klingelstreich bei einem Alt-Nazi

Kurzgeschichte zum Thema Zivilcourage

von  Koreapeitsche

Gegenüber vom Haus meiner Eltern wohnte ein Alt-Nazi zusammen mit seiner Frau in einem Reihenhaus. Wir konnten von unserer Einfahrt direkt in dessen Garten auf der anderen Straßenseite blicken. Der Garten hatte einen Dornenhecke und war dicht bewachsen, sodass niemand auf die kleine Terrasse schauen konnte.

Das Ehepaar hatte keine Bekannten und unterhielt sich auch nicht mit Nachbarn, als seien sie dort im Reihenhaus untergetaucht. Wir gingen vom Schlimmsten aus. Einige munkelten, dass er bei der Gestapo war. Von seiner Zackigkeit und Herzlosigkeit passte es.

      Der Mann hatte ein blasses, fast asch-fahles Gesicht, graue Haare und trug stets dunkle Kleidung ohne bunte Farben. Er sah aus, wie der leibhaftige Tod und hätte in jedem Horrorfilm auftreten und in jeder Geisterbahn stehen können. Wir spekulierten wieder und wieder darüber, was er im Krieg alles angestellt haben könnte. Er wirkte wie ein kaltblütiger Mörder, als hätte er unzählige Menschen eigenhändig abgemurkst. Die Kinder hatten Angst vor ihm. Und das machte den Thrill aus. Wir wollten diesen Killer herausfordern. Wir, die Kinder des Stadtteils, wollten ihn für seine Untaten bestrafen. Doch wir hatten nicht mit seiner Zähigkeit und seiner Hartnäckigkeit gerechnet. Es war ein Spiel mit dem Feuer.

Da brauchte ihm nur jemand in die Hecke zu greifen oder Bonbonpapier in den Garten zu werfen, dass sein Hass aktiviert wurde und er anfing zu drohen. Doch er wagte es bisher nicht, sich an uns zu vergreifen.

      Es sprach sich herum, dass der Alt-Nazi regelrecht ausflippte, wenn bei ihm jemand einen Klingelstreich machte. Das erhöhte den Reiz umso mehr. Es war eine Mutprobe, beim Alt-Nazi Herr Freu zu klingeln, denn er konnte direkt hinter der Tür im verdunkelten Hausflur stehen.

Wäre er beim ersten Mal nicht hinterhergelaufen, hätten die Kinder wahrscheinlich nie wieder geklingelt. Doch er wollte uns erwischen und abstrafen. So war er aus der Nazi-Zeit programmiert.

      Sein Reihenhaus befand sich genau in der Mitte einer Reihenhauszeile, sodass wir in beide Richtungen fliehen konnten. Im Dunkeln schlichen wir zur Haustür, klingelten und sprinteten davon. Da ging schon das Licht an und er sprintete hinterher. Er fluchte währenddessen:

      „Stehenbleiben! ... Stehenbleiben, ich krieg euch!“

Er schrie und pöbelte ununterbrochen und forderte uns auf stehenzubleiben. Der Alt-Nazi jagte uns durch den halben Stadtteil, doch wir hatten mehr Puste und konnten ihn immer wieder abhängen.

Tagsüber trug er einen Hut und einen dunklen Mantel. Die Hutkrempe war leicht runtergezogen und der Mantelkragen hochgeklappt. Seine Frau trug ebenfalls eine Art Tirolerhut ohne Anstecker und einen dunkelgrünen Mantel. Da war die alte Kriegsgeneration recht uniform in ihrem Aussehen. Es sei denn, dass es einfache Arbeiter waren.

      Dem ehemaligen Nazi-Schergen war schon klar, wer hinter den Klingelstreichen steckte. Er durchbohrte uns mit seinen hasserfüllten Blicken auf offener Straße. Er hatte dabei ein versteinertes, toternstes Gesicht. Wir sahen den Mann nie lachen. Er war schon tot im Gesicht, auch sein Blick schien tot zu sein. Wir wiederholten die Klingelstreiche immer wieder. Knapp wurde es, wenn er abends direkt hinter der Tür stand und wir nur zwei, drei Meter Vorsprung hatten. Wir hängten ihn zwar ab, doch er gab nicht auf. Wir kicherten beim Weglaufen, doch irgendwann war aus die Maus.

      Eines Abends erwischte er uns nach einem Klingelstreich am Spielplatz Händelweg. Wir liefen ihm direkt in die Arme, als wir einmal um den Spielplatz liefen. Er packte mich und ließ mich nicht mehr los. Er war so giftig und aufgebracht, dass er zischte wie eine Schlange. Ich konnte mich aus seinem Griff nicht mehr lösen, so hart packte er mich an. Da er mich erkannte und wusste, wo ich wohne, zerrte er mich zu meinen Eltern, klingelte und drohte mit der Polizei. Das war das Ende unserer Klingelstreichserie. Sein versteinertes Gesicht blieb in meinem Gedächtnis, ebenso die fehlenden Regungen und der starre, fast tote Blick. Wir hatten es übertrieben. Trotzdem war das unsere Rache an der Alt-Nazigeneration. Nie wieder Faschismus.

 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (06.01.23, 10:20)
Hat was, sehr guter sarkastischer Abschluss!

 Aron Manfeld meinte dazu am 06.01.23 um 12:23:
Ist dieser fanatische Hass nicht auch wieder Faschismus?

 Koreapeitsche antwortete darauf am 06.01.23 um 12:31:
Du meinst den fanatischen Hass der Alt-Nazis?

 Aron Manfeld schrieb daraufhin am 06.01.23 um 16:24:
Kennst Du den Unterschied zwischen mir und einem Vulkan?

 Koreapeitsche äußerte darauf am 06.01.23 um 18:40:
Beantwortest Du Fragen immer mit wirren Gegenfragen?
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