Holle deckt auf

Erzählung

von  Quoth

Weil wir zu mehreren Parteien im Haus wohnten (vor dem Krieg waren es zwei, jetzt waren es sechs) gab es im Keller oft Streit. Die zwei Räume dort mussten die Mietparteien unter sich aufteilen: Wem gehörten welche Kohlen? Wem welches Holz? Wem welche Kartoffeln? Also wurden Lattengitter eingezogen, die Vorräte in gebührendem Abstand davon aufgehäuft, und die Türen mit Vorhängeschlössern gesichert. Um die Latten sicher zu befestigen, musste der Zementboden teilweise aufgebrochen werden, und da kam Holle etwas spanisch vor. Sein Vater verbot ihm nämlich, den Boden da aufzubrechen, wo die Latten hinsollten. Er sollte das Gitter um einen Meter nach innen verschieben, wodurch der benutzbare Stauraum verkleinert wurde. Das passte nicht zu seinem Vater, der immer so viel wie möglich wollte. „Da schau ich mal nach,“ sagte Holle, als der Alte weg war. „Was willst du finden? Lass es lieber, du weißt, wie er dich verwamst, wenn er es merkt.“ Herr Bartels verdrosch Holle in leichten Fällen mit einer Wietscher genannten Gerte, in schweren mit dem Fahrradschlauch. „Der Alte versteckt was, weil er Angst vorm Finanzamt hat, und das, was er da versteckt, werde ich doch wenigstens kennen dürfen. Siehst du nicht, dass der Boden hier eine ganz andere Farbe hat? Holzauge, sei wachsam!“ Und schon hieb er mit der Spitzhacke in den Zement und hebelte einen großen Brocken heraus, unter dem dunkle Erde sichtbar wurde. Ein Geruch quoll hervor, von dem mir schlecht wurde, süßlich faul, wie man ihn kennt, wenn im Keller eine tote Ratte liegt. Ich war froh, als ich im Hof stand, wo Karin gerade an der Teppichstange turnte. „Na, Kleiner, was frisst Holle im Keller gerade mal wieder aus?“ Sie machte drei Kniewellen und sprang herunter, zog ihr T-Shirt hoch, weil sie schwitzte, doch ich wandte mich ab, weil ich ihre Brüste nicht sehen wollte. „Er befestigt nur die Latten für das Gitter,“ sagte ich. „Hol mir mal eine Portion Mörtel!“, rief Holle dumpf aus dem Keller, „ich muss den Brocken wieder festkleben.“ „So, einen Brocken habt ihr locker gemacht. Wenn das man gut geht!“

Tags darauf merkte Herr Bartels, dass Holle an der verbotenen Stelle den Boden aufgebrochen hatte. Er holte den Fahrradschlauch und befahl Holle, seinen Hintern zu entblößen. Aber Holle grinste nur sein frechstes Grinsen, schief wie eh und je, und sagte: „Du wirst mich nie mehr schlagen, Herr Bartels, nie mehr! Ich hab nämlich was herausgefunden.“ „Was hast du Vollidiot wohl herausgefunden?“ „Wo die Zone ist.“ „Toll, das hab ich noch gar nicht gewusst.“ „Die Zone ist unterm Kellerboden.“ „Blödmann, was soll das?“ „Die Fischersfrau ist doch nach der Party in der Zone verschwunden.“ Ich erinnerte mich an die Nacht von Der Schwarzmarkt tanzt, an den gurgelnden Schrei einer Frauenstimme. Mir wurde schlecht, ich rannte ins Bad und schaffte es gerade noch bis zum Klo.



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Kommentare zu diesem Text


 AlmaMarieSchneider (10.02.23, 00:37)
Wahnsinn! Ein Mord? Mir stellen sich gerade meine Haare auf.
Toll geschrieben, lieber Quoth.

Eine Wietscher? Ist das eine Weidenrute?

Liebe Grüße
Alma Marie

 Quoth meinte dazu am 10.02.23 um 08:49:
Ja, eine Weidenrute. Woihl Lautmalerei, wenn er durch die Luft "wietscht".
Danke für alle Freundlichkeiten, liebe AlmaMarie. Quoth

 AchterZwerg (10.02.23, 06:42)
Hallo Quoth,
eine spannende Geschichte!
Leichen im Keller bieten den Stoff hierfür. :O

 Quoth antwortete darauf am 10.02.23 um 08:51:
In der Tat, lieber AchterZwerg. Hätte nie gedacht, dass ich noch mal einen Krimi schreibe! Danke für Empfehlung mit Komentar! Quoth
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