Als ich Felicity kennenlernte, arbeitete sie als Schwester im Hopital St. Boniface in Winnipeg, einer katholischen Einrichtung, und ich hatte keine Ahnung, dass sie Jüdin war. Manchmal saß sie an meinem Bett und glaubte, ich schliefe; dann nahm sie ihren Rosenkranz hervor und betete in einer sonderbaren, mir unverständlichen Sprache, aber es war eindeutig das Ave Maria. Ich hatte Gallenkoliken gehabt und musste mir helfen lassen, die herausbeförderten Steine prangten auf meinem Nachttisch und wurden von Felicity respektvoll gewürdigt, vor allem der eine, er gleiche einem Zitrin und verdiene eine Ringfassung, sagte sie spöttisch. Als wir uns verliebt hatten, sagte ich einmal zu ihr: „Wenn du nicht katholisch wärst, ich würde dich fragen, ob du meine Frau werden willst.“ Warum ihr Bekenntnis ein Hindernis sei, wollte sie wissen. Nun, erwiderte ich, meiner Familie könne ich nicht mit einer Schickse kommen, so nenne man eine nichtjüdische Frau bei uns. Da brach sie in Tränen aus: „Ich bin doch eigentlich jüdisch!“ Und die Geschichte ihrer abenteuerlichen Flucht aus Himmelstein einschließlich des vergeblichen Versuchs, nach Kuba zu gelangen, brach aus ihr hervor, wie ihr Mann von den Nazis gefasst und deportiert wurde, sie hingegen von Nonnen des Klosters Maredret gerettet worden sei, und aus Dankbarkeit für diese Rettung habe sie den katholischen Glauben angenommen und ihn auch beibehalten, als sie nach dem Krieg auf Wunsch und Vorschlag der Schwestern nach Kanada ausgewandert sei. Ich hatte den Zitrin in Silber fassen lassen, und diesen Ring steckte ich ihr an den Finger, sie kehrte zum Judentum zurück und wir heirateten traditionell unter der Chuppa.
Es ist vielleicht drei Jahre her, dass Felicity unruhig wurde und viel von ihrer Sehnsucht nach ihrem Geburtsort in Deutschland sprach; sie hatte sich brieflich an die Familie Janssen gewandt, die ihr Haus in Himmelstein übernommen hatte, und deren Tochter Karla hatte ihr geantwortet und ihr Erschütterndes mitgeteilt. „Ich muss unbedingt hin und Lea in die Arme schließen und sie um Verzeihung bitten, dass wir sie damals zurückgelassen haben. Sie ist jetzt zwanzig Jahre alt, weiß zwar, wer sie ist, braucht mich aber gerade deshalb noch mehr als ich sie.“ Ich warnte sie vor einer Rückkehr: „Die Profiteure eurer Vertreibung sitzen in den ehemals jüdischen Häusern und werden angstvoll und giftig auf ihr formelles Recht bedacht sein.“ Aber Felicity war von ihrem Vorhaben nicht abzubringen. Fräulein Janssen hatte auch von einem furchtbaren Unwetter und vom Brand der Burg Himmelstein berichtet, und da ich Reisen aus geschäftlichen Gründen privaten vorziehe, nahm ich Kontakt zur Bank des Grafen auf und konnte ihm bald einen Kredit zur Finanzierung des Wiederaufbaus anbieten. So sind wir nun hierhergekommen, aber meine Befürchtungen haben sich nur allzu drastisch bestätigt. Pastor Westfal, der Ziehvater Leas, schützt Termine vor, um uns nicht zu empfangen, hat uns nur informiert, dass er Lea, als sie 16 wurde, über ihre wahre Herkunft ordnungsgemäß aufgeklärt habe und dass sie nach Israel an einen unbekannten Ort verzogen sei. Eben suchte ich Felicity auf der Burgmauer auf, wo sie sich einen Liegestuhl aufgeschlagen hatte und in der Herbstsonne lag und las. "Hör dir das an,“ sagte sie und las aus dem Buch auf Deutsch vor: „Unwiederbringlich ist die Heimat verloren, uneinbringlich liegt die Ferne vor uns, allein der Schmerz wird immer gelöster, immer heller, vielleicht sogar unsichtbarer, nichts bleibt als ein schmerzlicher Hauch des Einstigen.“ Sie schwieg und sah mich an. „Wie konnte er das wissen? Er war einer von uns, und dabei schrieb er es, bevor er vertrieben wurde.“ Wir besprachen unsre nächsten Pläne, aber bevor ich ging, sah ich nach dem Titel: Die Schlafwandler von Hermann Broch.