Schildpatt

Erzählung

von  Quoth

Blatt 18

Gertrud an Vilma

Ja, liebe Gertrud, an „Die vertauschte Braut“ kann ich mich noch gut erinnern, sie wurde in Schleswig im Capitol gegeben, unser Musiklehrer hämmerte dazu aufs Klavier ein und war hinterher schweißnass. Ach, wie habe ich die Stummfilme geliebt, seit sie sprechen, haben sie längst nicht mehr den Zauber und das Geheimnis von einst, und so phantastische Stars wie Diomira Jacobini werden ausrangiert. Der grundlegende Wandel hat auch den Kino ergriffen, und es fehlt jetzt nur noch, dass alles bunt wird – dann wird es so banal, dass niemand es mehr sehen will. Aber was rede ich klug daher, Kindergärtnerin, bleib bei deinen Bauklötzen! Liebe Freundin, es kann kein Zufall sein, dass wir beide so viel Unglück mit den Männern haben, liegt es an uns oder an ihnen? Es erwacht oft ein düsterer Selbsthass in ihnen, den wir mit all unserer Liebe nicht zu stillen vermögen, und dann hängen sie sich auf oder stürzen sich in Duelle, und als Frau kann man froh sein, selbst lebend davongekommen zu sein. Ich habe mir jedenfalls geschworen, nur noch auf grundsolide Angebote einzugehen, habe mich deshalb geschminkt, mein Reisekostüm angezogen, meine Fuchsstola umgeworfen, mein Netzhütchen aufgesetzt und bin betont zufällig vor dem Finanzamt auf und ab gegangen, als es Dienstschluss hatte. Und was soll ich Dir sagen? Es hat geklappt! Wenn auch nicht gleich das erste Mal, aber dann! Drei beleibte Herren haben mir unsittliche Angebote gemacht – und dann hat ein schlanker junger Beamter mit starker Brille mich in Schutz genommen, hat so getan, als sei er mein Verlobter, ich habe geistesgegenwärtig mitgespielt (sowas lernt man in Stummfilmen!) – und nun sehe ich der Ehe mit einem Finanzbeamten entgegen, es gibt nichts Langweiligeres – aber auch nichts Solideres! Er hat mir Schach beigebracht, sag mir eine schönere Vorbereitung auf eine Liebesnacht à la Jacques Offenbach! Verzeihung, warum bin ich nur so schwatzhaft? Hinzukommt, dass Wolfgang, der aus Gelsenkirchen stammt, mein Pfefferpotthast „göttlich“ findet, ich habe es mir nach dem Rezept seiner Mutter beigebracht, und ohne seine Brille ist er auch ein durchaus ansehnlicher Kerl, ich habe ihn überredet, von Schildpatt auf Goldrand umzusteigen und in die Partei einzutreten, denn anders gibt es begreiflicherweise kein Weiterkommen mehr für Beamte, und ich bin sicher, all die Himmelsteinerinnen, die mich nach der Scheidung geschnitten haben, werden reumütig zu Kreuze kriechen, wenn aus dieser Partie was wird! Es gibt doch nichts Schöneres, als sich für Missachtung ein ganz kleines bisschen rächen zu können! Ja, das Lied von dem toten Herrn Aage, der in die grüne Welt hineinreitet, gefällt mir auch, obgleich es ziemlich gruselig ist, es kann einem so richtig über den Rücken laufen dabei. Du hast Dich übrigens vertan, die Jungfrau, die auf ihn wartet, heißt nicht Schön-Rohtraut, sondern Stolz-Elin. Und auf einen toten Ritter sollten wir nicht warten, ich hatte schon einen, Du auch, jetzt wollen wir leben und in die Zukunft schreiten mit dem Mann aus Braunau, dem neuen Bethlehem, ihm, dessen Silhouette in Eichenlaub über meinem Kaffeetisch prangt ... Neulich habe ich meine 27 Frauenschaftlerinnen im Scherz gefragt, wer Lust hätte, Haushälterin auf dem Berghof zu werden, da sei eine Stelle frei. Rate mal, wie viele sich gemeldet haben! Sei lieb gegrüßt von Deiner Gertrud

(wird fortgesetzt)



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