Ich, Ludolf von Osten (2)

Erzählung

von  Quoth

Hätte ich gewusst, worauf ich mich einließ, ich hätte es mir vielleicht anders überlegt und das gleichsam vom Himmel gefallene Kreditangebot nicht angenommen. Aber die Bedingungen waren so vorteilhaft, die Feuerversicherung so knauserig, dass ich kurzentschlossen unterschrieb, zumal die Himmelsteiner Darleihkasse, meine Bank, auch nur Gutes über den Kreditgeber sagen konnte, den Makler Harry Green aus Winnipeg, Manitoba. Und als er dann auch noch zusagte, selbst hierher zu kommen, um das Projekt, in das er investiere, persönlich in Augenschein zu nehmen, freute ich mich und hoffte auch zu erfahren, warum er sich für den Wiederaufbau der Ruine interessierte, in die der Blitz, der am 14. Mai in den Palas einschlug, meinen Stammsitz verwandelt hatte. Ich holte ihn vom Flughafen ab; er kam zu meiner Überraschung nicht allein, sondern in Begleitung seiner Frau, deren Schweigsamkeit mir auffiel – aber sind Frauen erfolgreicher Geschäftsleute nicht oft sehr zurückhaltend in dem Gefühl, nur dekorative Anhängsel zu sein? Und dekorativ war sie, diese Mrs. Green, ganz in ein blaues Schlabberkleid gehüllt, mit blau verspiegelter Sonnenbrille und blau gefärbtem Haar … Zu meiner Überraschung wies sie mich darauf hin, dass ich auf einem Umweg nach Himmelstein hineinfuhr – sie kannte die kürzere Verbindung, die aber wegen einer Baustelle nur eingeschränkt befahrbar war. Ich hatte im Gasthof Zum Bären für sie reserviert. Dort setzten wir uns auf ein Glas noch zusammen, und hatte ich vorher Sorgen gehabt, mein Englisch könnte den Test nicht bestehen, wurde ich ihrer enthoben durch Felicity, die perfekt deutsch sprach und bereitwilligst dolmetschte – es stand sprachlich gleichsam zwei zu eins am Tisch gegen meinen Geschäftspartner, der sich dafür entschuldigte, der deutschen Sprache trotz seiner deutschen Frau immer noch nicht mächtig zu sein. Ein junger Mann bat, uns fotografieren zu dürfen – ich erkannte in ihm Nils Petersen, den Fotografen des Himmelsteiner Volksfreunds, und ließ es zu; als Landrat muss ich mich damit abfinden, eine Figur von öffentlichem Interesse zu sein. Der junge Mann hatte, Schach spielend, auch unser Gespräch belauscht und mitbekommen, dass Mrs. Green Himmelsteinerin war und in den dunklen Jahren fliehen musste. Daran knüpfte der am kommenden Tag erscheinende Zeitungsartikel die abenteuerlichsten Vermutungen, gerade als handle es sich um etwas im Stil von Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“; die vagen Andeutungen von einer „Wiederherstellung des Rechts“ lösten große Besorgnis vor allem unter Geschäftsleuten aus und hatten schon nach drei Tagen einen scheußlichen Vorfall zur Folge, der mich bewog, das Ehepaar Green in das Gesindehaus von Burg Himmelstein einzuladen – es war beim Brand unbeschädigt geblieben, auch ich wohne jetzt darin. Greens waren eigentlich entschlossen gewesen, sofort nach Kanada zurückzukehren, nahmen mein Angebot aber nach einigem Zögern an. Harry Green verbringt seine Tage damit, den Gegenstand seiner finanziellen Großzügigkeit gründlich zu begutachten. Dabei beobachtete ich ihn, wie er auf den Stufen zum Bergfried kniete – und weinte. Furchtsam trat ich zu ihm. War sein Interesse an Himmelstein zusammengebrochen angesichts der feindseligen Stimmung in der Stadt gegen seine Frau, aber auch des Vielen, was es aufzubauen und herzurichten gibt? Nein, das war es nicht. Er zeigte nur auf die in Jahrhunderten völlig ausgetretenen Stufen: „We do not have anything like that!“, sagte er, kopfschüttelnd und schluchzend immer wieder. „It doesn’t exist in America!“ Mir fielen die Bauten von Tulum und Chichen Itza in Yucatan ein, die ich einmal besichtigt hatte – aber ich schwieg, froh, meinen Gönner nicht verloren zu haben.



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