züchten?

Skizze zum Thema Stimmung

von  alter79

Er liegt, schmeckt Blut. Und irgend­wie ist es wie oft, wenn er auf der Suche nach seiner Un­schuld gestrandet ist. Aus den Augen­winkeln sieht er, - es glänzt metallen die Ein­gangs­tür zur Tanz­kneipe. Cafe Keese, blinkt es von einer Reklame­tafel. Doch da will er nicht mehr hin, nicht in’s Cafe, denn seine Geil­heit und die Suche nach Liebe und Nähe sind längst planiert, platt gemacht - und ihm ist schlecht, er hat keinen wirk­lichen Blick mehr für so was. Außerdem rattert sein Herz bedroh­lich, so scheint ihm. Der Puls, der rast im Takt der Blitze in seinem Kopf. Und sein Körper knarrt von irgend­wo her, als riebe sich Geäst im Wind, - ein Knochen, Finger, Rippen, als würde die Welt auf ihn ein­stürzen. Woher das Alles? ’Schnauze!’, hält einer da­gegen. Doch der Mann kann das Wort nicht hören, nicht mal einen Ton, nicht die Farbe der Töne. Er kann nur ahnen. Sein unter­wusster Wille hat sich in seltener Energie­leistung gegen Schmerz und Leiden gestemmt. Hat dicht gemacht. Er ist eine Krüppel­kiefer auf zwei­tausend Meter Höhe. Gebeugt, demoliert, doch stand­haft. ’Schnauze!’
Etwas wie ein Kissen drückt sich ihm auf die Ohren. Der Kopf­puls wütet in Gänse­federn da­gegen. Auch das noch. Dann, in eine Herz­sch­lag­pause hinein ist Geraschel, fühlt er Bewegung, hört: „Mein Gott, was machst du bloß für Sachen?“
’Mutter?’, denkt er. Will hoch. Er­neut sein Ver­such, - und  bleibt doch liegen, ob­wohl er sich be­wegen kann, - wenn er will. ’Eine Minute noch, Mutter!’
Wenige Meter weiter schwankt eine Gestalt im Funzel­licht. Eine zweite? Nein, im fokussieren ein zer­furcht ver­lebtes Gesicht über hoch gewölbtem Bauch in dunkler Hose unter weißer halb geöffneter Jacke. Ein Kerl, der im hohen Bogen über das Seiten­fenster in ein offenes Cabriolet pinkelt, dass es hör­bar platscht.
 
„Haben Sie was gesehen?“, hört der Mann Erich, Tür­steher vom Cafe Keese, den pissenden Menschen fragen.
„Meine Alte vögelt mit dem Typen hier“, grölt der zurück, und pinkelt dabei zur Be­lustigung Erichs weiter, „ja, der pisst ins Auto rein“, der dabei: „ha, ha, ha“, lacht, „ und hat ... ein Ding wie ein Garten­schlauch“, immer weiter ins Cabriolet und darüber, - und geifernd schnauft: „ ...und das ist die Quittung. Fünf Liter Bier!“ Und lässt einen Furz, wie einen Pistolen­schuss, - dann ist Schluss.
„Jetzt ist der auch noch um­gefallen!“ Weitere Geräusche, Fragen wie Antworten, gleiten am Ohr vom Mann ab, füllen ihn Minuten später neu auf, sacht, so dass die Schall­tüte nur zart vibriert; ein: ’tüchtig, tüchtig ...’, hört er. Was? Was ist das? Ist es Erichs stinkiger Zigarren/Speichel? ... igitt! Gleich­sam ver­nimmt er sich fremd­bestimmt lispeln: „Ist doch wohl nur ’ne Krone nötig, Erich, oder?“ Und sucht den Zahn am Schmerz im Maul, wischt sich mit dem Ärmel Blut und Schweiß aus dem Gesicht. Sauer riechende Kotze; die Curry­wurst von Stunden zu­vor ...
„Nee - nee, der Zahn ist völlig raus. Völlig! Den kannste echt ver­gessen!“, antwortet Erich.
„So ein Mist!“ 
Gleich­wohl, wenig später suchen Mann und Tür­steher nach dem Zahn und das, weil Erich meint: „Zähne können eine Stunde oder so über­leben, egal in welcher Scheiße sie liegen!“
„Im Ernst?“
„Ja. Das Einzige, du musst ihn schnell in den Mund nehmen, wenn wir ihn finden!“
„Wieso das denn?“, nuschelt der Mann, schüttelt sich, ekelt sich, auch weil er an die massig herum­liegende Hunde­kacke denkt. An Pickel, die er im Maul und über­all bekommen kann, wenn er ...
„Wegen der Körper­wärme“, er­klärt Erich, „denn, wenn der Beißer auf Be­triebs­temperatur bleibt, bis wir in der Zahn­klinik sind, setzen sie dir das Teil wieder ein, und ’ne Stunde später beißt du zu, als wäre nix. gewesen ...“
„Bist du sicher?“
„Ich glaub schon! Aber erst mal müssen wir ihn ja finden“.
 
„Vielleicht ist da unten end­lich mal Ruhe oder soll ich die Bullen zum Suchen helfen rufen?“, droht eine Stimme aus einem Fenster.
„Ist ja schon gut.“
 
„Du, Erich, kommt denn keine Polizei?“
„Wieso? Hast du jemand von denen er­kannt?“
„Nein, nicht so richtig.“
„Und was sollen die Bullen dann hier?“
„Ja, - und der Zahn?“
„Den finden wir sowieso nicht ...“

Und dann kommt doch die Polizei ..., die finden einen Toten unter dem Cabriolet.
„Sagen Sie, haben Sie was gesehen?“
„Nein, ich habe was ver­loren!“
„Moment, Meister, ich kenne Sie, haben wir Sie nicht ver­gangenes Wochen­ende ...?“
„Ach, Sie waren der freund­liche Wacht­meister der mir die blauen Flecke ver­passt hat.“
„Na, so nicht, guter Mann. Steigen Sie mal ein, wir nehmen Sie mit zum Revier.“
„Suchen Sie lieber nach meinem Zahn ...“
„Was, schon wieder?“

Ja, der Mann im Leben ist gescheitert, und nicht nur da und des­halb, sondern weil ... Falsch, der Mann ’da’ ist nur ’fast’ gescheitert - und im Arsch ist er schon lange nicht, denn er lebt noch, ihm fehlen nur ein paar Zähne - da­gegen hat er vor Stunden ein durch­aus positives Gerichts­urteil bekommen. Einen Frei­spruch!
Richtig ist auch, dass der Mann seine Ängste vor dem Gerichts­urteil und die Jahr­hunderte Ein­sam­keit davor, die tausend­fache Schuld und seine Wut über das bei/nahe Scheitern und die tieferen Um­stände tief in sich auf­genommen hat. Ver­puppt sozusagen. Und er lässt die bisweilen durch den Kopf in den Körper, in die Nerven der rechten Hand fließen, - von dort an Flaschen mit Alkohol, aus denen er seit Jahren un­auf­hör­lich trinkt ...  
Ja, der opfert sich in der Er­kennt­nis auf eine  Niete zu sein; er trinkt sich weg, nietet sich um. Mit­leid dafür will er. Warum denn auch? Und wenn man genau hin­sieht will er eigent­lich gar nichts so richtig. In Ruhe gelassen werden will er. Und das immer öfter, - aber nicht dauernd. Und was er durch das Un­vermögen ver­schiedener Körper­funktionen schmerz­voll lernen musste - gestern zum Beispiel pinkelt er vor dem Urinal stehend zu früh los und ver­saut sich die Hose - und in alters­loser Angst immer öfter an­nimmt, dass sein Geist und Körper un­wider­ruf­lich ver­braucht sind und, dass seine Konstruktion in Gesamt­heit dem Ende zu treibt. Und das macht es nicht besser mit dem Saufen. Das ist zwar etwas das theoretisch jeden er­eilen kann - man muss nur warten können und ein Leben führen wie der Mann - was ihn be­ruhigt, doch er hier, er scheitert anders, was ihn nicht un­bedingt be­ruhigt. Jeden­falls nicht wirk­lich. Und das auch des­wegen, weil er Hypochonder ist und vor der Krank­heit Leben Angst hat. Und das schon immer.

Ab und an grinst er über seine Ein­stellung dazu, über seine diversen Krank­heiten, über das da/sein, die Liebe und den Tod. Ja, da ist er dann spöttisch und auf­müpfig, fühlt Wider­stand in den Knochen, ein Rumoren in den Kaldaunen, das Pfeifen der Hormone, das zwar nicht lange rumort und pfeift, das genauso gut vom Saufen kommen kann. Klara, er freut sich über das eine wie das andere nicht, - aber er findet es ab und an lustig. Und wer tut das nicht?  
’Ach, ja, so ist das Leben;’ - meint eben dieser resignierende wie anderer­seits fröh­liche Mann, den man kennen lernen muss, weil er fast so ist wie man selbst ist, und es einem immer gut tut sich selber zu er­kennen. Ja, das wäre ideal, wenn es recht­zeitig geschähe. Hier ist es leider fast zu spät.


... ach was -, ein biss­chen Zeit bis zum Finale wird doch wohl noch sein, denkt der Mann, stülpt die Ober­lippe über die Zähne, und sieht aus als würde er schmollen ...
Klara, ab 1,80 bis 2,60 Pro­mille denkt er in solche Richtung und anders/wohin, - das geht wie von alleine, - und dabei sackt ihm oft die Lippe über die gelben Zähne, er sieht dann echt blöd aus, kann aber nichts da­gegen tun.


Im Pro­mille­bereich vor 1,80 bis 2,60 wie darüber hinaus denkt er wenig bis gar nicht. Schon lange nicht über die Zahn­ruinen in seinem Maul. Ist ja auch klar - und er kann auch da­gegen nichts tun. So, und nun - was noch?! - oder war’s das schon ...? Nein, nein, - es geht ja erst los. Und dann, im Laufe der Geschichte, wird der Mann neben seinen Un­tugend und Fehlern - die Zähne haben wir ja schon durch­gekaut, die bleiben wo sie sind - auch seinen Namen offen­bart sehen, sein durch­aus ab und an positives Tun und Lassen. Und natür­lich seine manch/maligen Gedanken, seine Wünsche und Träume, usw., usf. Und das ein­fach so, ob frei­willig oder nicht. Egal was passiert: der Mann bleibt un­ge­fragt. Schließ­lich kann der sich nicht da/gegen wehren, und das ist mehr als gut so ...
 


Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 uwesch (05.04.23, 18:13)
Café Keese auf der Reeperbahn? Gibt´s das noch?
LG Uwe
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram