Ein Bild ist ein Bild...

Text

von  JohannPeter


Als  Monsieur Louis Jacques Mandé Daguerre eines schönen Sommermorgens etwas wie eine Camera obscura mit einer silberbeschichteten Kupferplatte als Rückwand in sein Küchenfenster stellte und das helle Licht des Tages samt einer Ansicht davon beschienener Dächer in die Kiste fallen ließ, geschah dies vielleicht auch mit jener Verzweiflung des Kunstmalers, die daher rührt, daß alle Welt beim Betrachten seiner sonst öligen Werke hauptwiegend konstatiert: "Ach, so sehen  Sie  das..."

Freilich ist genausogut vorstellbar, daß einfach der Erfinder durchschlug, der Monsieur Daguerre auch war, der schnelle Geist, der es leid war, schattierte Figurinen für Patentschriften aufzuzeichnen. Es wäre denn doch einfacher, die gemachte Erfindung einfach abzulichten. Auf diesen Begriff lief es schließlich hinaus: fotografieren, mit Licht zeichnen, dem Licht des Tages halt, wie es da ins Küchenfenster flutete, dem Leuchten der Dinge dieser Welt.


Das erste überlieferte Licht-Bild läßt Dächer ahnen, aus Glanz und Schatten vage aufs Silber gehaucht, mit fließenden Konturen Phantasie herausfordernd, mehr denn jedes konstruktivistische Gemälde. Und so hätte es gut sein können, daß er mit seiner Erfindung um hundert Jahre in der Zeit später mit dieser durchaus auch so zu Sinn und Ansehen hätte kommen können - konstruktivistische Lichtmalerei... 


Aber es ist immer der Ehrgeiz der Nachahmer, den Vorturner zu überbieten. Die technischen Revolutionen kamen wie die Kunstepochen - von Biedermeier und elektrischer Straßenbeleuchtung über Jugendstil und den Ottomotor, Naturalismus, Konstruktivismus schließlich, Quantensprung und Realismus; es schrumpften die Apparate der Lichtbildner samt den Belichtungszeiten, die Kupferplatte mit dem Silberhauch mutierte zu einer Schicht aus Silberhalogeniden auf einem Streifen Zelluloid, der aufgerollt im Döschen zur Hosentasche hineinrutschte oder gar als Mikrofilm in Brillenbügeln, Armbanduhren oder besonders hohlen Zähnen unterzubringen ging.


Doch immer war Licht im Spiel - Sonnenlicht, Lampenlicht, schon Kerzenlicht genügte irgendwann, Blitze aus Lichtbögen, Gewitterwolken oder Atombomben, Lampenlicht von Scheinwerfern, Taschenfunzeln... - oder Gaslaternen zwischen Rotdornbäumen. Was es aber auch beleuchtete, es lieferte dies fortan dem Interesse des Fotografen aus, wie immer der es sah und verstand.


Doch der dokumentarische Anspruch zog - mit zunehmender Detailtreue gegenüber Daguerres Küchenfensterpanorama - einen Verlust an notwendiger Phantasie nach: Paul Wolffs "Dies habe ich unumstößlich gesehen!" anstelle des manchmal fast vorwurfsvollen: "Nun, das sehen  Sie  so..."


Und wo die Anmaßung ewigwährender Zeitzeugenschaft vorm unverstanden Abgelichteten zu scheitern drohte, trat ihr der Verrat ingestalt willfähriger Bildunterschriften zur Seite - die Phantasie jetzt ganz gezügelt durch eine zwei- oder auch nur einzeilige Betrachtungsvorschrift. Und irgendwo ein Redakteur, der dieses oder jenes so oder so gesehen wissen wollte, ein Pressemagnat schließlich und der verbürgte Satz: "Liefern Sie die Bilder, ich liefere den Krieg."  - die Welt, fotografierbar gemacht zur Zufriedenheit derer, die sich anschickten, sie zu beherrschen; das Foto nur noch verstehbar mit einem größeren Wissen denn jenes, mit dem der Auslöser gedrückt wurde. 


Was du nicht weißt, wirst du nicht sehen... - nun auch im Foto nicht mehr. Das ist jene erste Wahrheit, von der Daguerre nichts ahnte.




Anmerkung von JohannPeter:

"Liefern Sie die Bilder, ich liefere den Krieg." - verbürgter Satz des amerikanischen Presse-Moguls W. Randolph Hearst an seinen Fotografen Remington, den er zur Dokumentation des amerikanisch-spanischen Krieges nach Havanna geschickt hatte, der aber nach N.Y. kabelte, es sei dort kein Krieg.
Orson Wells hat die Episode in "Citizen Kane" verarbeitet und indiziert damit bis heute die Rolle der Medien in politischen Konflikten.

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Kommentare zu diesem Text


 Teichhüpfer (09.06.23, 21:54)
Das ist das Einzige, was sich ändern kann. Es gibt eigentlich nichts, was es schon gibt.
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