Die Legende von den Feinden

Text

von  JohannPeter

 

 

Zu:

 

DANTE Alighieri

Die göttliche Komödie

INFERNO, XXVIII.

 

 

... und schließlich glich der vordem sattgrüne Rasen einem schlecht gepflügten Acker. Abgespellt von schweren Hieben  hing bleiche Rinde von den Bäumen, Sträucher standen geteilt bis zu den Wurzeln - Kampfspuren, jedoch nirgendwo Blut. Die Waffen, wohin sie gefallen waren: schartig, mit Schmutz bedeckt. In der Luft schwang sauer der Dunst von Schweiß, nicht unterscheidbar, ob von Angst oder Anstrengung stammend. Eine Sandale stemmte die Spitze erdwärts, mit Wucht bis zu den Knöchelriemen ins Erdreich gerammt.

Unweit der Beinschienen, die lose in der Landschaft lagerten, ein Bein. Das zugehörige zweite gleich daneben, ein Fuß beschuht, auch der andere. Hierher gehörte die Sandale offenbar nicht. Oberhalb der Knie ein zerfetztes, verschmutztes Gewand, den Gürtel hielten noch Fasern. Das Hemd klebte auf der Brust, der Hals vibrierte einen Notruf, weit offene Augen suchten gerötet in der Tiefe des Himmels einen Ruhepunkt. Das Blau aber wölbte sich makellos tief.

Zwei Dutzend Schritte von hier ein Fuß ohne Schuh, und oberhalb bis zum Scheitel das gleiche Bild der Erschöpfung.

 

Ein Schnellzeichner am Randes des Areals wischte letzte Striche aufs Blatt. Die Tagesnachrichten morgen und die Rummelplätze der nächsten Saison würden ihre Sensation haben.

Auch die Salons würden in Wissentlichkeit wetteifern. Denn der stattgefundene Kampf, der, ohne daß ein ernsthafter Streich geführt worden war und mit der beinahen Vernichtung der Kämpfer geendigt hatte, war aus den Salons gekommen. Hier war er - einer Laune entspringend, zu Absicht und Zweck mutiert - akribisch erdacht, vorgeplant in allen Umständen und Details.

Den Kampf hätte der Zeichner in Ruhe vorausmalen können, doch wer hätte ein pralles Ölbild geglaubt, wer hätte darin noch Spannung, Dramatik erkannt, die elende Furcht jedes der Gegner, zu treffen oder getroffen zu werden.

Und ein reich gestalteter Bildhintergrund... - hätte er nicht eigene Sprache, und verräterisch vielleicht, gesprochen, anstelle jenes gespenstischen Schweigens, das nur von den pfeifenden Stößen des Atems zerschnitten wurde wie der Raum vom Zischen der Schläge in Hier und Nichthier, Mein und Nichtmein?

 

Von hohem Sessel herab diktiert, senkte ein Schreiber letzte Zeichen in eine Tontafel. In aller Erhabenheit würde dargelegt, was die Gemüter fortan zu beschäftigen inszeniert war. Der Bericht würde stilvoll die Lehrstuben erreichen, die Akademien, die philosophischen und psychologischen Fakultäten, die moralischen Anstalten und die Priesterseminare... 

Einem jeden sollte gedient sein mit hehrer Belehrung, und wem dies zu bedeutend, dem bliebe noch immer der Klatsch.


Der wirkliche Hergang würde so aber ewig verborgen: daß eines Tages, nahe den Festen des Frühlings, jene, die nunmehr das Feld zu verlassen unfähig geworden durch imaginäres Gefecht, durch Mißgunst und Tücke in Streit gebracht, wodurch - ohne ein Wort der Erklärung - die Waffen ergriffen  wurden; hoffend, unverletzt nicht verletzend den offenbaren Erwartungen dennoch Genüge zu tun um der eigenen Glaubwürdigkeit willen. In stummer Vereinbarung, hinter dem Klirren der Schilde, waren sie gegeneinander gegangen, einander mit Vorsatz verfehlend. So waren die Verletzungen anderer Art.

 

Ein Geheimprotokoll der Stadtschreiberei berichtete später, unter den mißgünstigen Anwohnern seien zwei von den Kämpfern ehedem beauftragte Verwalter gewesen, bestellt, über das nunmehrige Kampffeld Sachwaltung zu üben. Dem ursprünglichen Auftrag nach habe es sich darum gehandelt, das Landstück, gemeinsames Eigentum der nun seltsam Verstrittnen bis dahin, zum Zweck der Erbauung im Stande zu halten, vertrautem Gespräch Raum zu geben, der ihm gemäß, abseits aller Geschwätzigkeit der Salons und Gazetten.

Nun aber hatten die Augen die Hecken durchdrungen, ungebetene Füße den Rain überschritten, die Rufe an die Streitenden hätten nach Blut geklungen, bis schließlich Zufriedenheit mit der Spannung des Schauspiels die Oberhand hielt.

Aber das Bild, das vor aller Augen entstanden, habe endgültig Feindschaft geboten, worauf, der Einfachheit weitrer Geschäfte halber, das nunmehr wüste Landstück eilends den Intriganten verschrieben und billig, um wenigstens - so das Geheimprotokoll - der städtischen Ruhe nicht Abbruch zu tun. Dies zumindest sei damit erreicht.

 

Mit Mühe, nachdem die Gaffer sich plaudernd verzogen, der Schnellzeichner redaktionswärts geeilt, die Tontäfelchen auf einer Art Schinderkarren nach dem Archiv gerollt, hätten im Tau des beginnenden Abends die Konterparts sich erhoben, die restliche Rüstung einander entfernen zu helfen ohne einander mehr zu berühren. Schließlich seien sie, müde schwankend, wortlos und bittern Gesichts vom Feld gegangen, ein jeder nach anderer Statt.

 

Der Vorschlag des Ältesten Richters, den Platz nach dem Kampf zu belassen, wie er am Morgen gefunden, zur Entlarvung zweckhaft geschürter Zwietracht - so der geheime Bericht -, wurde im Magistrat abgetan mit den Worten, dies zu entscheiden sei Sache der jetzigen Eigner. Es läge ein Plan vor, der wohlüberlegt und höchst nutzvoll für das Gemeinwesen sowie zu verbrieftem Interesse der Eigner bezeuge, wie künftighin zu verfahren gedacht. Anderem sei man nicht zugetan.

 

Nach ihrem Untergang gefundene Pläne der Stadt weisen den Platz aus als Brache. Grabungen förderten eine Spielhalle mit Bädern, Wirtshaus, Bordell zutage und Ställen für die Pferde der Gäste.


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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (06.06.23, 18:15)
Keine Ahnung, um was es hier gehen soll...

P.S.: " Abgespellt "?

 JohannPeter meinte dazu am 07.06.23 um 14:05:
Abgespellt - wenn der Blitz in einen Baum fährt, reißt die Hitze diesen auseinander, das Bild des Stammes oder der Rinde liegt zwischen Splittern und Spleißen. Spellholz (Bruchholz) entsteht mitunter auch, wenn ein Baum falsch gefällt wird.

Dem Text ist ein Motto vorangestellt, das eine Denkrichtung anbietet, der man folgen kann, aber nicht muß.  
Mir widerstrebt, der hier vielfach gängigen Praxis einer thematischen Einordnung von Texten zu folgen. Ich halte es mit Goethe, Faust I, Vorspiel auf dem Theater: "Ein jeder sucht sich endlich selbst was raus." 
Es gibt indes auch Texte, mit denen ich nichts anfangen kann - das ist kein Drama, finde ich.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 09.04.24 um 13:32:
Nein, ist es nicht. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass dein Text sehr kryptisch und/oder hermetisch ist. Zu viele Metaphern. Quasi ein monometaphorischer Text.

 AchterZwerg (07.06.23, 06:14)
Die Szenarien aller Kriege sind vergleichbar.
Ebenso die Techniken derjenigen, die sie befeuern.
Und jener, die sie vergessen machen wollen.

Wie heißt es so passend im III. Höllengesang:

Ich bin der Eingang in die Stadt des Schmerzes,
ich bin der Eingang in das ewige Leid,
ich bin der Eingang zum verlorenen Volk.

 JohannPeter schrieb daraufhin am 07.06.23 um 13:52:
Zu diesem Punkt wäre doch gut zu disputieren, liebe Zwergin. Denn wie die von dir zitierten ersten Verse der Torinschrift finde ich die letzten nicht weniger bemerkenswert:
"Vor mir entstand nichts, als was ewig währet,
und ew'ge Dauer ward auch mir beschieden;
laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren."
Hoffnung ist ein natürlicher Lebenstrieb des Menschen, sie zu negieren provoziert immer Widerspruch bis Widerstand. Und das war letztlich auch Antrieb meines Textes: es gibt nichts Asozialeres, als aus Intrigen und geschürter Zwietracht Profit zu schlagen. Dies aber ist auch heute und hier Momentum bestimmten Politikstils - der Eingang zum verlorenen Volk.
Dagegen wäre Widerstand zu leisten.
Danke für deinen inspirierenden Kommentar!

Antwort geändert am 07.06.2023 um 14:06 Uhr
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