Frau mit Spiegel

Gedicht

von  Rosalinde

Schon Licht im Zimmer, und die Frau erwacht.
Sie fühlt sich nicht. Und eilt sogleich ins Bad.
Was hat bloß dieser Traum mit ihr gemacht -
dass man sogar im Schlaf noch Ärger hat!

Sie hat geträumt, sie sei jetzt alt und grau,
mit Buckel, und kein Mann sieht sie mehr an.
Noch ist sie ja, das weiß sie sehr genau,
nicht alt, und sie gefällt noch jedem Mann!

Im Spiegel prüft sie das Gesicht, die Haut.
Besichtigt sich dann mal von Kopf bis Zeh.
Vielleicht die Hände? Gleich mal angeschaut!
Die Nagelfarbe stimmt, die ist okay.

Und vor zwei Wochen war sie beim Friseur.
Sie greift sich in das Haar: Sitzt doch ganz gut!
Und noch nicht grau - das wäre ein Malheur!
In Ordnung, sagt sie sich dann resolut.

Und die Figur? Doch immer noch perfekt!
Wenn sie da an die andern Frauen denkt –
da ist doch so ein Mann gleich abgeschreckt!
Als hätte Gott ihr die Figur geschenkt!

O ja, sie ist noch schön wie – wie hieß die gleich?
Dass sie den Namen auch vergessen muss,
na, die im Fernsehn neulich, superreich …
Sie seufzt. Und gibt dem Spiegel einen Kuss.



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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (14.07.23, 12:14)
Obwohl das Gedicht heiter dahin plätschert, weil es Oberflächlichkeiten streift, sollte nicht übersehen werden, dass der (Alb)Traum die Angst vor der Einsamkeit transportiert. Während der Traum eine Angelegenheit von innen ist und das lyr. Ich darauf aufmerksam macht, sucht das lyr. Ich das Unbewusste durch das Prüfen der Äußerlichkeiten im Spiegel zu überwinden. Der Traum ruft das lyr ich in einen anderen Spiegel zu blicken! In den Spiegel, in dem die Einsamkeit sich spiegelt, diese Angst vor ihr soll gesehen und erkannt werden; das sie im Spiegel eng verbunden ist mit dem lyr ich. 

Aber auch die Angst  vor Einsamkeit wirkt durchaus positiv auf das lyr. Ich, denn sie treibt das lyr. Ich fortwährend an, sich auszuputzen und auszuschmücken, um der Männerwelt zu gefallen! In der Tat, so bleibt man nicht lange einsam.

 Rosalinde meinte dazu am 14.07.23 um 13:13:
Ja, Augustus, so sehe ich das auch, das war meine Intention für dieses Gedicht. Der Frau wird das nicht bewusst gewesen sein, dass ihr Traum ihre unbewussten Ängste widerspiegelt, aber es muss ein Albtraum gewesen sein, von dem sie sich vor dem Spiegel frei machen will. 

Du hast die Idee des Gedichts gut erfasst. Hab vielen Dank für deinen zutreffenden, ausführlichen Kommentar.

Rosalinde
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