Bild und Wort

Beschreibung zum Thema Erkenntnis

von  uwesch

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  Abenteuer Lesen und Schreiben,  Aus dem Leben gegriffen

Vor einiger Zeit war ich in der Ausstellung von Gerhard Richter in der Fondation Beyeler in Basel. In einem Saal hingen fünf große Leinwände mit uniformem nacktem Grau bemalt. In der Broschüre zur Ausstellung las ich: „Der Künstler hat mal gesagt: „Grau sei doch auch eine Farbe“. Die Verwendung der Farben sah er nicht in Ablehnung des künstlerischen Schaffens, sondern im Gegenteil als Experiment, mit den sich durch das Grau eröffnenden möglichen Variationen und spezifischen Qualitäten.
Das unscheinbare und nüchterne Grau weckt weder heftige Emotionen noch wird eine bestimmte Position bezogen – eine Qualität, die dem Künstler die Möglichkeit bot, Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung und Gestaltlosigkeit, schlicht das Nichts zum Ausdruck zu bringen.“
Eine mögliche, aber nicht zwangsläufige Wahrnehmung oder besser Wahrheitsempfindung des Betrachters.

 

Ist diese Erfahrung auf das Schreiben übertragbar?

Jede Wahrnehmung ist, wie das Wort schon sagt, das subjektiv Wahre, was der Kunstkonsument sieht, fühlt, riecht, schmeckt oder hört und auf indirekte Art liest. Diese subjektive Wahrheit kann keinem genommen werden. Sie kann sich nur ändern mit zunehmenden oder andersartigen Wahrnehmungs-Erfahrungen, die aber auch immer nur einen temporären Charakter haben, wenn man bereit ist, neue Erfahrungen zuzulassen oder alte ad acta zu legen.

 

Themen dazu wären:

Kann ich Worte und Sätze als Bilder sehen?

Kann ich Bilder „lesen“?

Was muss ich erklären? Was nicht?

Inwiefern gilt das auch für andere Sinneswahrnehmungen, wie Musik hören und/oder interpretieren, eine Massage als Technik der Entspannung hinnehmen und/oder sinnliche Erfahrung fühlen, Düfte riechen und/oder interpretieren oder Geschmäcker wahrnehmen und/oder interpretieren?

In Kommentaren zu Texten wird häufig die Floskel „Das ist Geschmacksache“ verwendet, wenn keine sachlichen Argumente für eine Kritik/Rezension mehr einfallen.

 

Ich möchte diese Gedanken auf das Zusammenspiel von Bild und Wort beschränken, da ich mich in der Bilderwelt als Maler am besten auskenne. Aber vieles davon ist sicher auf andere Künste übertragbar.

 

Im Allgemeinen wird das Verständnis für Wörter im Deutschunterricht geschult, das für Bilder im Kunstunterricht. Fasst man Worte und Bilder als Zeichen auf, zu denen innere Bilder in der Vorstellung entstehen können, wird eine Gemeinsamkeit für Wahrnehmungs- und Bildungsprozesse deutlich.

So kann ein Bild mehr als die bloße Abbildung einer Szene sein, und das Wort oder besser der Satz mehr als z.B. der genaue Ablauf einer Handlung. Materielle, sichtbare (äußere) Bilder, die uns überall begegnen „lesen“ zu können und sich mentale (innere) Bilder vorstellen zu können lässt sich nicht voneinander trennen. Innere und äußere Bilder entstehen immer im Zusammenhang. Unsere Vorstellungen beeinflussen unsere Wahrnehmung und umgekehrt.

Das, was wir in einen Text hineinlegen, ist in unserem Kopf zunächst als Bild entstanden, welches wir dann bestenfalls in bildlicher Sprache beschreiben. Natürlich kann ein Text auch intellektuell konstruiert werden (bei Sach-Texten üblich, wobei sich auch da eine bildlichere Sprache mehr und mehr durchsetzt).

Zwischen diesen beiden grundsätzlichen Möglichkeiten liegt dann oft das Dilemma, wenn sich Autor und Kritiker in ihrer subjektiven Wahrnehmung nicht verstehen können oder wollen. Das wirkt sich dann darauf aus, ob man einen Text gut findet oder nicht.

 

Aus der Hirnforschung weiß man, dass Sehen kein Prozess des Abbildens, sondern einer des Konstruierens ist. Sehen ist, wie Lesen, immer auf das Herstellen von Beziehungen und Sinnzusammenhängen, auf Generierungen von Bedeutungen gerichtet. Es ist also die Entwicklung einer Vorstellung von einem Text unerlässlich für sein Verständnis. In diesem Prozess der Vorstellungsbildung befindet sich jeder, der schreibt.

 

Wo Bilder real betrachtet werden, sind Worte und Texte schon immer im Spiel und beeinflussen die Modalitäten des Sehens. Umgekehrt sind auch Bilder immer schon im Spiel, wo Texte geschrieben und gelesen werden – innere Bilder eingeschlossen. Allerdings Bilder und Texte zeigen nicht nur etwas, sie verbergen auch etwas. Und das hängt immer mit der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit zusammen.



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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (20.07.23, 12:14)
"ein bild kann einen text sehr schön ergänzen
selbst wenn des sprache schon recht bildhaft ist
wer meint das würd’ die phantasie begrenzen
hat eh meist keine – überdies vergißt

er daß es usus ist zu illustrieren
von alters her das wort auch durch ein bild
dafür könnt’ man exempel viel anführen
denn was ja sogar für die bibel gilt

die merian einst herrlich illustrierte
tut abbruch sicher kaum der poesie
die manches bild zudem erst inspirierte

und sei es selbst gereimte clownerie -
davon gibt’s viel zu wenig heutzutage
doch vielen fehlt dazu echt die anlage..."

https://keinverlag.de/390639.text

lg vom harzer

 uwesch meinte dazu am 20.07.23 um 14:00:
Mir scheint Du bist sehr geBILDET um Sinn und Wesen des Textes zu verstehen  :)
Dank Dir für Kommi und Belobigungen und LG Uwe
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