Tigerratte regelt es irgendwie

Von Beruf war er Pauker, genannt die Ratte, weil er alles überlebte. Lieber wäre ihm Tiger gewesen, weil er das Tier edler fand. Nennen wir ihn also Tigerratte, obwohl er in Wirklichkeit Sternbild Krebs war, hochgewachsen, leicht gebogene Nase, blondes Haar und durchdringende Augen - stahlblau gefärbt von Mutters und Vaters arischem Bemühen. Das saß tief im Blut. Sicherheit bedeutete ihm alles nach dem Erleben mit den kriegsgeschädigten Eltern. Deshalb wurde er Unterrichtsbeamter.
Manchmal war er gemein – ganz gegen seine humanistische Einstellung - zu den unter und vor ihm Sitzenden, die er qua amtlicher Verordnung zu unterRICHTEN hatte. Manchmal brach er alle Regeln, betrat verbotenes Gelände, ignorierte Gesetze und Verordnungen, die Schüler zu Unterzurichtende machten, Lehrer zu Richtern. Meistens war er nett zu seinen Anvertrauten – ackerte bis auch dem letzten alles klar war. Das gefiel den Blitzgescheiten nicht, die sich dann langweilten. Manchmal träumte er von einer Zeit, wo Lernende zu Lernbegeisterten und Unterrichtende zu Unterstützern werden.
Er war tätig in einer altehrwürdigen Handelslehranstalt, altmodisch, verstaubt, mit vielen älteren reaktionären Kollegen. Die gerierten sich gern weltoffen und modern, jedenfalls meinten sie das, aber spulten täglich ihre alten Hüte ab und warteten auf ihre Pensionierung. Da war Revolte der immer mehr werdenden neuen jüngeren KollegInnen angesagt, doch Veränderungen dauerten.
Nach weit mehr als zwanzig Jahren intensiver Gestaltung stellte Tigerratte fest, dass zwar einige Dinge sich änderten, andere ewig gleichblieben. Doch dann wurde ihm mit zunehmendem Alter eines Tages klar, dass sie sich ebenfalls geändert hatten und er es einfach nicht bemerkte.
Es kam die Zeit, wo man es eher schlüsselqualifiziert und handlungsorientiert schätzte und das auch noch teamgeworkt – jedenfalls hatte er das so beobachtet. Da wurde nach dem Unterrichtsgeschehen gequatscht, gequatscht und gequatscht und dann meist ohne Ergebnis müde nachhause gefahren.
Wenn Tigerratte sich in seiner Haut wohlfühlte, konnte er handeln. Wenn nicht, versuchte er herauszufinden wie die Regeln sind. Er war überzeugt, dass es Regeln gibt, die jeder kennt und merkte zunächst nicht, dass es oft keine gibt. Er dachte, die selbstbewussteren KollegInnen kennen alle Regeln, dabei wissen die in Wirklichkeit einfach nur, dass sie keine Regeln brauchen, dass es wie im realen Leben kaum welche gibt.
Nach vielen selbstbezahlen Workshops und Seminaren in seiner Freizeit hatte er es endlich geschnallt. Selbstbewusstsein bedeutete fähig sein spontan zu handeln, Machen im Geschehenlassen oder Geschehenlassen im Machen, mal so, mal so, oder einfach Sein, eine teure Erkenntnis.

Shift/Alt/Delete – von Computern versteht er inzwischen auch ein bissel.