Heute Abend habe ich sie zu mir auf ein Glas Wein eingeladen. Wir wollen uns über unsere neuesten Texte unterhalten. Meine altersschwache Klingel scheppert verröchelnd im Flur. Ich hatte sie beinahe überhört und eile zur Wohnungstür. Küsschen rechts, Küsschen links auf die dezent gepuderten Wangen.
„Bitte komm rein.“
Ich nehme ihr den Mantel ab und führe sie in die Küche.
Wir arbeiten jeden ersten Montag des Monats in einer Schreibgruppe mit und sind immer auf der Suche nach dem besten Wortwahlkick, der überraschendsten Tatenwende, der fantastischsten Fiktion oder auch mal dem größten Grusel, angereichert mit schönen Gleichnissen und Metaphern. So entfernen wir uns von unserem wirklichen Leben, denn Literatur lebt von Ungleichgewichten und Verwerfungen. Und das ist der Kick, den wir uns geben, das Adrenalin, welches unser Leben erträglicher erscheinen lässt.
Wir setzen uns an den Küchentisch und prosten uns zu. Ich frage sie:
„Sag mal, wie fandest du unseren letzten Schreibtreff?“
„Ach, unsere Psychotante meint ja, dass Männer und Frauen gehirnmäßig ganz verschieden ticken. Frauen steuern ihr Handeln intuitiv und reden über ihre Eindrücke und Gefühle.“
Ich werfe ein:
„Und Männer lassen mehr Vernunft, Selbstkontrolle und Intelligenz bei ihren Entscheidungen walten.“
„Das kann doch wohl nicht wahr sein! Männer sind doch überwiegend schwanzgesteuert!“
„Mag ja sein, müssen sich da leider aber häufig selbst kontrollieren. Insofern stimmt das wohl nur teilweise.“
„Frauen wollen die Seele des Mannes sehen.“
„Ich glaube, dass das alles zu simpel ist, das als typisch männliches oder weibliches Agieren zu sehen. Ich bin sowieso der Meinung, dass alle Menschen männliche und weibliche Denk- und Verhaltensweisen leben.“
„Ja, das stimmt wohl“, meint sie.
„Ich glaube, dass ich heute eher intuitiv handle, obwohl ich bisher dachte, dass ich meine Entscheidungen mit Vernunft und Intelligenz fälle.“
Sie erwidert:
„Ich kann und will nicht dauernd mit Vernunft entscheiden. Das muss ich im Job ständig tun. Strengt viel zu sehr an. Ob mir ein Abend gefällt, welche Gedanken und Assoziationen mir dabei durch den Kopf schießen und welche Gefühle ich empfinde entscheidet sowieso meine Intuition. Das passiert automatisch, ob ich das glaube oder nicht, ob das vernünftig ist oder nicht.“
„Ja, das klingt richtig. Außerdem erfordert bewusstes Denken harte Arbeit und verbraucht viel chemische Ressourcen im Gehirn. Na, dann Prost!“
„Prost!“
Nach einer kleinen Redepause meint sie unvermittelt:
„Lassen wir das Denken einfach mal sein. Du hast doch kürzlich erzählt, dass du gern mal wieder massieren würdest. Ich könnte das prima jetzt gebrauchen.“
„Gute Idee, ich wollte schon immer mal deine Körperlandschaft erforschen.“
„Na, das trifft sich“, meint sie grinsend.
„Hey, das ist die beste Idee des Abends. Ich werde dir eine schöne Esalenmassage verabreichen. Hast du Lust darauf?“
„Ja, aber nur wenn du darüber nicht schreibst.“
„Versprochen!“
Die Worte werden lautlos mit einem Massageöl verrieben und versiegen sanft in ihren Poren, begleitet von meiner neuesten CD-Entdeckung „The Night Visitor“ von Anna Ternheim, bei mit Sandelholz gedufteter Raumluft.
„Wie schön“, seufzt sie nach einer Stunde Genuss und meint:
„Das können wir gerne nächste Woche wiederholen.“
„Mal sehn wie intuitiv die nächste Woche abläuft“, erwidere ich lapidar.