Die Elfenbeinhöhlen II - Marsch durch die Institutionen I
Text
von autoralexanderschwarz
Die populistische Höhle
I
„Die populistische Hölle ist die größte“, sagt der Steuermann,
während wir uns mit Fallgeschwindigkeit nähern,
„sie reicht so tief in den Fels, dass man den Fall ganz sanft abbremsen kann.“
Wir laufen eine Weile an der Wand entlang,
bis sich schließlich der Winkel neigt
und es wäre ein Einfaches gewesen zu bremsen,
wenn hier nicht alles mit frischen Parolen beschmiert wäre.
Wir rutschen auf einem Hakenkreuz aus und schlittern
durch Rechtschreibfehler,
bis wir schließlich
vor einer Diffamierung
zum Stehen kommen.
„Seltsam, wie leer es hier ist“, sage ich zum Steuermann,
„wo man doch immer hört, dass die Populisten solchen Zulauf haben.“
„Das liegt an der Uhrzeit“, ruft die Diffamierung,
„noch sind ja alle vor der Bühne.“
Wir schieben uns an ihr vorbei, treten leise auf.
Unbemerkt wollen wir diese Höhle durchqueren,
in der eine große Bühne steht,
auf die alle Augen gerichtet sind.
Gerade erst ebbt der Jubel ab,
mit dem die Bewohner der populistischen Höhle
den nächsten Redner begrüßt haben.
„Es ist mir ein ernstes Anliegen“, ruft der Redner, als es endlich still ist,
„weil wir alle in Gefahr sind.
Es gibt da nämlich ein Geschwür,
das sich in unserem Körper eingenistet,
das sich von unserem Blut genährt
und daraus Eiter
gemacht hat.“
„Pfui“, rufen die Bewohner der populistischen Höhle,
während wir uns durch sie hindurch schieben.
Niemand nimmt bislang von uns Notiz.
„Nur mit Ekel spreche ich von jener Berufsgruppe“,
ruft der Redner und alles hält den Atem an,
„die sich selbst 'Steuermänner' nennen.“
Er spuckt das Wort in das Publikum.
„Vorwärts“, sage ich,
weil der Steuermann stehengeblieben ist
und mit zornigen Blicken hinüber zur Bühne schaut.
„Wir haben hier nichts zu gewinnen.“
„Steuermänner waren ja ohnehin immer eine Belastung“, ruft der Redner,
„man konnte sich ja nie auf sie verlassen
und mit künstlicher Intelligenz
lassen sie sich beliebig
ersetzen.
Und außerdem“, ruft der Redner,
„habe ich gehört,
dass sie sich wohl
an kleinen Kindern
vergangen
haben.“
„Nein“, sage ich zum Steuermann,
der nun umschwenkt und mit schnellen Schritten auf die Bühne zugeht.
„Doch“, sagt dieser und während wir noch zögern,
klettert er verwegen auf die Bühne.
II
Da niemand weiß, wer wir sind,
jubeln sie uns zu
und wir erkennen:
Es ist fast egal, was wir sagen,
solange wir nur die richtige Sprache verwenden.
Man braucht hier einen aggressiven Ton
und schnelle Bewegungen mit den Händen.
„Der Mensch ist frei geboren und liegt
doch überall
in Ketten“, schreien wir in das Mikrofon
und hoffen, dass sie das Zitat nicht kennen,
doch es bleibt merkwürdig still.
„Steuermänner haben immer“,
schreit der Steuermann,
„einen großen Penis.“
Jubel brandet auf,
in dem wir uns zurückziehen wollen,
doch es ist zu spät:
Wir sind aufgefallen, weil die Syntax unseres ersten Satzes zu kompliziert war.
„Die hier“, ruft der Redner mit einer bösen Stimme,
„schauen mir aus wie Steuermänner.“
Sofort sind wir umringt von Sprechchören und Trillerpfeifen,
„sie sind Steuermänner“, schreit eine ältere Frau in einer Regenjacke,
„das sieht man ihnen ja schon an den Nasen an.“
Wir weichen zurück
bis es nicht mehr geht,
bis der Mob uns einschließt.
„Lüge“, schreien die Bewohner der populistischen Höhle.
„Dies“, flüstere ich zum Steuermann,
„war eine denkbar kurze Reise.“
Doch dann sehe ich den Glanz in seinen Augen.
„Wir schaffen das“, antwortet der Steuermann,
„wir brauchen nur eine populistische Rede.“
III
„Ich gebe es zu.“
„Ich gebe es zu“, ruft der Steuermann und kurz wird es still.
Nur ein paar einzelne Bewohner rufen noch „Lüge“.
Dann verstummen auch sie.
„Ich bekenne: Ich bin aus Verzweiflung ein Steuermann geworden“,
ruft der Steuermann,
„doch ich habe auch lange Jahre wie ihr
am Ruder geschwitzt und gelitten.
Ich kenne eure Wut“,
ruft der Steuermann,
„weil ich sie selbst in mir gefühlt habe.
Da rudert man brav sein ganzes Leben,
rudert und folgt dem Befehl und dann
wird die Butter so teuer,
dass man sie nur noch ganz dünn
auf das Brot schmieren kann.
Wir haben uns das ja nicht ausgesucht:
Wir haben so treu unseren Dienst verrichtet.
Warum sind immer wir es,
die dann vom Leben
über das Deck gepeitscht werden?
Ist das gerecht?“,
ruft der Steuermann
und „nein“ hallt es aus der Höhle wieder.
„Das ist nicht gerecht“, schreit die alte Frau
mit der Regenjacke.
„Darum bin ich Steuermann geworden“, ruft der Steuermann,
„weil ich es satt hatte, nur das zu tun,
was die da oben wollen,
denn wenn der Feind so mächtig ist“, ruft er,
„dann muss man in ihn hineinkriechen
und ihn dann von innen...“
„Vorsicht“, flüstere ich,
„du darfst keine zu komplizierten Metaphern verwenden“,
„zerfleischen“, schreit der Steuermann
und die Menge tobt,
„zerfleischen“ rufen die Höhlenbewohner in Sprechchören.
„Und ratet mal“, ruft der Steuermann,
der den Höhepunkt seiner Macht über die Menge fühlt,
„ratet mal, wen ich da unter Steuermännern getroffen habe?“
Kurz ist es still, weil die Menge nicht versteht,
„euer Redner“, ruft der Steuermann,
„ist ja in Wahrheit auch ein Steuermann
und er war es auch,
der die kleinen Kinder
missbraucht hat.“
Wir begreifen, wir weichen zurück,
während sich die Aufmerksamkeit auf den Vorredner richtet,
der viel zu spät den Umschwung der Handlung begreift
und beschwichtigende Worte in sein Mikrofon nuschelt.
Wie ein Tier wendet die Menge ihren Kopf.
Ich greife den Steuermann an der Schulter,
ziehe ihn zurück und gemeinsam
erreichen wir den hinteren Rand der Höhle.
Hier können wir durchatmen.
Hier können wir uns ausruhen.
Hier ist es endlich
ein wenig
ruhig.
Wir betrachten uns mit einem kleinen Schrecken.
Im Haar des Steuermanns
ist eine erste weiße Strähne gewachsen,
denn wir sind schon in der ersten Höhle alt geworden.
„Wir müssen mit unseren Kräften haushalten“,
sage ich
und spüre die Haut in den Falten.
Bei den Empathen
I
Am Eingang der Höhle der Empathen hängt ein kleines Schild.
„Wir sind zutiefst erschüttert“, steht darauf
und während wir noch lesen,
ergreifen uns die Empathen
und haken sich links und rechts in unsere Arme ein.
„Ich kann das total verstehen“, sagt der Empath zu meiner Rechten
und streichelt dabei über meine Schulter,
„das hat mich sehr betroffen gemacht“,
sagt der andere Empath und
gemeinsam führen sie uns zum Höhlendorfplatz,
wo uns der Oberempath bereits erwartet.
Wir erkennen ihn direkt
an seinen feuchten Augen.
„Ich grüße euch“, sagt der Oberempath
mit bewegter Stimme,
„und es freut mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid.“
Wir blicken uns um und erkennen:
Einige der Populisten haben sich uns in der vorigen Höhle angeschlossen.
Wir haben unsere ersten neuen Parteifreunde gefunden.
Einer trägt einen kleinen Galgen,
den er wohl selbst
aus Pappe
gebastelt hat.
„So wie es bei uns Brauch ist“, sagt der Oberempath
„werden wir euch mit einem Ritual begrüßen.“
Der Oberempath gibt ein Zeichen und aus der Reihe der Empathen
tritt ein jung-bleicher Mann hervor.
In seinen Händen trägt er einen Kranz,
mit dem er sich langsam
und mit würdevollen Schritten nähert.
„Haltung“ zischt der Oberempath
und der junge Empath strafft seine Haltung,
„nicht marschieren“, zischt der Oberempath
und der junge Empath versucht nun möglichst leise aufzutreten,
„mehr Enthusiasmus“ zischt der Oberempath,
als uns der jung-bleiche Empath erreicht.
Vorsichtig geht er in die Hocke
und beginnt die Bänder auszurichten,
die an dem Kranz hängen,
„drei, vier, fünf“, flüstert der Oberempath,
„durch die Nase atmen, such dir einen Buchstaben
zum Fixieren, jetzt schwenken ja die meisten Kameras
zum Profil, jetzt, ach, das reicht,
du kannst aufhören.“
Beschämt erhebt sich der bleiche Empath
und geht mit hängenden Schultern zu den Anderen zurück.
Suchend blickt er sich um,
doch die anderen weichen vor ihm zurück.
„Kann das mal jemand vormachen?“,
fragt der Oberempath
mit einer bösen Stimme,
„wir machen ja einen schlechten Eindruck vor den Fremden.“
Sofort löst sich ein anderer Empath aus der Menge,
schreitet mit großer Würde auf uns zu
und sinkt dann in die Hocke,
so als würde die Welt
ihn nach unten drücken;
er ergreift den Kranz,
so als wäre er ihm heilig
und er ordnet die Bänder
mit Liebe.
Wir sind ganz gerührt.
„Danke“, sagt der Oberempath feierlich zu dem Empathen.
„Du bist nicht so ein Versager wie der andere.“
II
„Was führt euch zu uns“, fragt der Oberempath,
nachdem das Ritual beendet ist.
„Wir sind noch eine junge Partei“, antworten wir,
„aber wir haben unsere Parteizentrale
neben einer Wildblumenwiese errichtet,
wir wollen niemals lügen
und weil Dummheit und Impertinenz regieren,
marschieren wir nun durch die Institutionen.
Wir suchen Anhänger und haben bislang nur Populisten gefunden.“
Der Oberempath legt uns die Hand auf die Schulter.
„Ich verstehe euch“, sagt der Oberempath,
„aber vielleicht solltet ihr es euch noch einmal überlegen,
der politische Betrieb frisst seine Kinder,
ihr seid schon jetzt alt geworden
und als Empath führt man ein gutes Leben,
man hebt nur da die Stimme,
wo man Empathie zeigen kann,
man braucht hier ja keine Ideale,
ihr könntet euch uns einfach anschließen.
Wir zögern nur zum Schein, dann ziehen wir weiter.
Am Höhlenausgang treffen wir den jung-bleichen Empathen.
„Nehmt mich mit“, sagt der jung-bleiche Empath,
„ich kann euch gute Dienste leisten
und ich kann mich gut
anpassen.“
„Einen Empathen könnten wir gebrauchen“, sage ich zum Steuermann,
„und er ist noch jung und kann in die Aufgabe hineinwachsen.“
„Ich habe mich auf kleine Berührungen spezialisiert“, sagt der jung-bleiche Empath,
„aber ich beherrsche auch die Kunst des Betreten-beiseite-Blickens.“
Wir nehmen ihn auf und weil wir gerade kein anderes Amt zu besetzen haben,
machen wir ihn zum Schatzmeister.
„Wie geht es denn von hier weiter?“, frage ich den Steuermann,
weil wir uns nun bereits den Höhlen der Lobbyisten nähern.
Gar mancher ging hier bereits verloren.
„Ich kann euch manches sagen“, raunt der jung-bleiche Empath,
den wir zum Schatzmeister gemacht haben,
„schließlich habe ich jahrelang an ihrer Grenze gelebt,
sie sind nur gefährlich, wenn man Ideale hat.“
Wir erschrecken, denn Ideale haben wir ziemlich viele,
„mach uns eine Aufstellung“, sage ich zum Schatzmeister,
„damit uns unterwegs nichts verlorengeht.“
Vorsichtig dringen wir vorwärts und obwohl die Höhlen unverändert ineinander übergehen, spürt man die Veränderung der Schwerkraft. Je näher wir dem Kern kommen, desto schwerer werden unsere Ideale.
Wir rasten, wir beratschlagen:
Um die tieferen Höhlen zu erreichen,
müssen wir unsere Ideale durch die Gebiete des Lobbyismus schmuggeln.
Wir dürfen nicht auffallen,
müssen uns maskieren.
„Ich habe die Ideale gezählt“, sagt der Schatzmeister,
„und weil man viele von den kleinen in den großen zusammenfassen kann,
komme ich auf genau drei:
-
Gleichheit
-
Gerechtigkeit
-
Freiheit
Sie sind alle drei zu groß,
um sie einfach so
unter der Kleidung
zu verstecken.“
Wir sind noch einige Stunden besorgt,
dann brechen wir dennoch auf.