Beiträge zur deutschen Bildungspolitik - 1. Griechische Antike

Aufruf zum Thema Bildung/ Wissen

von  Elisabeth

Ich bin kein Politiker, gehöre auch keiner Partei an, sondern komme eher aus der Humidisten-Ecke - das steht hier bei kV auch in meinem Profil - nicht ursprünglich, aber inzwischen mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung. Tatsächlich könnte ich mit meinen Kenntnissen sogar versuchen, in meiner norddeutschen Heimatstadt in die Politik zu gehen, über den Weg als Fachreferentin für Wasserwirtschaft etwa, aber die Stellen sind natürlich alle besetzt. Wasser ist ja in ganz Norddeutschland eine 'hard science', was 'Richtiges', nur bin ich dummerweise durch Mann und Kinder in meiner Stadt angebunden.

Es gibt hierzulande Brunnen und Klärwerke, wie in den meisten Gegenden Deutschlands, aber auch die Wasseracht und die Deichacht. Und wußtet Ihr, daß es in Norddeutschland 47 verschiedene Begriffe für Regen gibt? Da gibt es die 'Erhöhte Luftfeuchtigkeit', wenn diese nämlich gerade ausreicht, daß der feine Wassernebel an den Blattspitzen der Bäume - im Winter an den äußersten, kahlen Zweiglein - zu ausgewachsenen Tropfen kondensiert, die von dort abregnen; es gibt den 'Sprühregen', den 'Leichten Regen', den 'Gewöhnlichen Regen', das ist das, was in der Wetterapp bei den Wetterwarnungen 'markantes Wetter' genannt wird und bei dem hier glücklicherweise seltenen Frost zum 'Eisregen' werden kann; es gibt den 'Dauerregen', den 'Nassen Regen', wenn sich auf den Pfützen durch den Einschlag neuer Tropfen Blasen bilden, neuerdings den 'Starkregen' und immer schon den 'Stärkeren Regen', der innerhalb von Minuten ungeschützte Keller und unter Straßenniveau gelegene Garagen und Unterführungen fluten kann und bei verstopfter Dachrinne ganz schnell das Wasser am Dach so aufstaut, daß man im Wohnzimmer wenig später eine Dusche hat. Das Ganze gibt es natürlich auch noch einmal mit Wind in verschiedenen Stärken, und... eigentlich sollte das hier ja etwas zu Griechenland werden.

Als Humidist hat man nicht den unmittelbaren Zugang zu den griechischen Inseln, eher zu dem Wasser, in dem sie liegen. Bei uns ist es eher nass und grün, in GriechenLand ist es eher trocken und... nicht so grün, das ist schon mal ein großer Unterschied. Um das Verständnis dafür zu wecken, daß Griechenland für Europa mehr bedeutet als kaltgepresstes Olivenöl und Urlaub auf Kreta - wobei... aber das ist eine andere Baustelle. Die karge Landschaft war schon in der Antike karg und felsig, die Athener haben in klassischer Zeit für ihre Flotte halb Griechenland abgeholzt, und in der Moderne wurde dann die andere Hälfte für Touristen-Bettenburgen abgeholzt, so daß es dort jetzt noch trockener und bedeutend heißer ist...

Die griechische Antike machte soetwas wie Europa erst möglich - und ich meine jetzt nicht den von Rubens auf einem Stierrücken reitend gemalten Nackedei, sondern die Idee, ein gemeinsames kulturelles Erbe zu haben. Die Idee hatten die Griechen ja schon durch ihren Homer, den dann auch ganz fix alle die als 'ihren' Homer adoptierten, die ebenfalls als Griechen (die Makedonen) - oder zumindest zivilisiertes Volk (die Etrusker) - angesehen werden wollten. Noch im Mittelalter wurden Abstammungslinien gezimmert, die zumindest auf Troja zurückführten, das ja schon deswegen als zivilisiert galt, weil seine Bewohner in den homerischen Epen als nicht so unwürdige Gegner der Griechen vorkommen - und damit vor den Römern!

Die Bedeutung der Griechen war den Bildungsbürgern des 19. Jahrhunderts in ganz Europa bewußt - auch wenn man sich nationalstaatlich in die Haare bekam: Nicht nur angehende Theologen lernten Altgriechisch in der Schule, und selbstverständlich gehörte dann auch die Geschichte der alten Griechen, und vor allem ihrer militärischen Erfolge gegen die Perser (Spartaner und andere Griechen, die Geschichte der '300'), und noch mal gegen die Perser (Alexander III. von Makedonien, der besser als Alexander der Große bekannt ist und nach Meinung zeitgenössischer Griechen eben kein Grieche war) zum Bildungskanon, denn diese Kriegsberichte aus klassisch-griechischer Zeit (5. und 4. Jh.v.u.Z.) waren es ja, die man in der Schule las: Herodot, Thukydides, Xenophon, und den sprachlich vergleichbaren, aber sehr späten Attizisten (klassisch-athenisches Griechisch schreibenden) Plutarch (1. Jh. n.u.Z.). Die andere Schiene waren die Philosophen der Klassik: Sokrates (wie er bei Platon vorkommt, denn selbst hat er gar nichts geschrieben), sein Schüler Platon und dessen Schüler Aristoteles. Mit der hellenistischen Koiné, seit Alexander die 'lingua franca' oder vielleicht auch das griechische 'Pidgin' östlich von Italien, schlug (und schlägt) man sich dann tatsächlich im Theologie-Studium herum.

Die Gewichtung der Fächer hat sich von damals bis heute natürlich gewandelt, auch wenn es zumindest in meiner mittelgroßen, feuchten Universitätsstadt tatsächlich noch ein ehemals altsprachliches Gymnasium gibt, das noch immer (2023) Latein ab der 5. Klasse anbietet (Altgriechisch als dritte Fremdsprache hat es aber nicht bis in die 2020er Jahre geschafft). Die Naturwissenschaften, Computerkompetenz, die modernen, lebendigen Sprachen nehmen einen breiteren Raum ein, und Geschichte ist inzwischen ohnehin ein einstündiges Fach.

Es ist ja nicht so, daß Griechenland in der Schule heute gar nicht mehr stattfindet. Ganz abgesehen von Urlaubsberichten nach den Sommerferien über den Griechenland- oder Türkei-Urlaub (ja, auch die Türkei gehört streng genommen zum antiken Griechenland, da saßen nämlich zu der Zeit die Ionier, griechische Siedler, die dort eine Menge Städte gründeten, die heute unter anderem Namen zum größten Teil noch immer existieren), gibt es in der Mathematik kurze Exkurse zum Satz des Pythagoras, in höheren Klassen kommt man mit einigen griechischen Buchstaben zur Bezeichnung von Summe und Produkt in Kontakt, in der Physik hört man von der Archimedischen Schraube und später verwendet man auch dort griechischen Buchstaben für einige Einheiten und Operatoren.


Das Wort 'Geschichte' - inklusive der bewußten sprachlichen Nähe zum Wort 'Geschichten' hat ein griechischer Historiker (Herodot) geprägt, im Religionsunterricht hört man gerüchteweise einmal, daß das Neue Testament auf griechisch verfaßt worden sei (und das ist es, siehe oben), im Sportunterricht befaßt man sich mit olympischen Disziplinen, wenn vielleicht auch nicht ganz auf olympischem Niveau. Und Olympia, in der Antike mit einem berühmten Zeusheiligtum und 4-jährig stattfindenden sportlichen Wettkämpfen zu Ehren des Gottes - und noch immer Lieferant des Olympischen Feuers für die modernen Sommer- und Winterspiele - liegt auf dem griechischen Festland, heute an der Griechischen Nationalstraße EO74.


In Englisch hört man vielleicht mal von den 'Elgin Marbles', die der Brite Lord Elgin im 19. Jahrhundert mit Erlaubnis der damals dort regierenden Osmanen auf der Athener Akropolis vom Parthenon abgebaut hat (über die genaue Herkunft des Altars von Pergamon wurde zumindest zu meiner Schulzeit wenig erzählt; da haben die Deutschen in einer ebenfalls osmanisch regierten Stadt an die 70 Jahre nach Elgin die Chance genutzt, ihre Marbles einzusammeln), oder man sieht - für den Umgang mit einer lebendigen Sprache typisch - im Unterricht einmal ein dem Alter der Zuschauer angepaßtes Highschool-/College-Drama, in dem die US-amerikanischen Studentenvereinigungen typischerweise mit drei griechischen Buchstaben bezeichnet werden.


Später gibt es - so man nicht bei Religion bleibt - Philosophie (Weisheitsliebe), wo zum Auftakt die griechischen (ionischen) Naturphilosophen, die oben genannten Klassiker und alle die Griechen, von denen inhaltlich weniger überliefert wurde, auf eine Unterrichtseinheit eingedampft werden (man muß sie wohl deshalb berücksichtigen, weil die Bezeichnung dieses Faches unglücklicherweise griechisch und damit heutzutage erklärbedürftig ist), damit man dann schnell die Kurve über Cicero und Augustinus zur Moderne kriegt. Ähnliches passiert bei Politik und Wirtschaft, wo in einer Stunde vielleicht einmal kurz die griechischen Staatstheoretiker angerissen werden, um dann Neueres zu unterrichten.

Wie wäre es - und nun sind wir da, wo ich hin wollte -, wenn man da mal einen ganzheitlichen, gewissermaßen inklusiven Ansatz verfolgen würde? Was wäre, wenn man - neben den zahllosen Projektwochen zu Energiesparen und Nachhaltigkeit, zu gesunder Ernährung und Bewegung, zu Menschenwürde und Inklusion in der Schule - auch mal eine Woche zu Europa planen und durchführen würde? Das muß ja nicht nur die Antike sein, die dort - zusammengetragen aus den verschiedenen Disziplinen - versammelt betrachtet werden kann, aber die Geschichte Europas fängt im antiken Griechenland an, dies ist das verbindende Element, das erst ermöglichte, daß viele andere verbindende Elemente sich überhaupt entwickeln konnten. Es wäre überhaupt mal Zeit, daß sich Projektwochen, wenn es denn mal ein historisches Thema sein darf, nicht nur auf das 20. Jahrhundert beschränken, so wichtig das auch ist.

Warum also fängt man nicht einmal mit einem inklusiven griechisch-hellenistischen Europa in den Grenzen des 3. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung an, von der Balkanhalbhinsel bis zum Hindukusch und vom Don bis Assuan? Die zu dieser Zeit zum Teil ebenfalls griechisch sprechenden Römer kann man dann ja gleich hinterherschieben.

* * *




Anmerkung von Elisabeth:

Dieser Aufruf ist nur in zweiter Linie literarisch (wenn überhaupt) und stammt vom 13.11.2023.

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (13.11.23, 21:28)
Da gibt es, Du zeigst es, noch so manchen Restbestand, bei dem man ansetzen kann. Und dennoch muß man gegen die Ansicht kämpfen, daß allein die Gegenwart zählt und das Vergangene vergangen ist ... und dann auch noch 2000 Jahre und mehr!
Der erfolgversprechendste Ansatz, den ich kenne, ist der, daß man einerseits die genannten Restbestände nutzt (Amazonen! Achilles! Trojanisches Pferd! usw.), andererseits zeigt, daß das nicht nur Oberflächlichkeiten sind, sondern daß die in der Antike entwickelten Themen faszinierend sein können (Ödipus: Kann man unschuldig schuldig werden? Orest: Kann es eine Pflicht sein, gegen die eigene Mutter zu kämpfen? Die Bakchen: Gibt es in uns etwas, das keine Vernunft beherrscht und uns in den Rausch treibt?)

Heute las ich etwas zum Thema "audiatur et altera pars" über Aristeides, den Gerechten, der ein Gericht korrigierte, das seinen Prozeßgegner nicht zu Wort kommen lassen wollte. Und wie dieser Aristeides von einem Bauern gebeten wurde, seinen, des Aristeides, eigenen Namen auf die Tonscherbe zu schreiben, auf daß er ins Exil geschickt werde - was der Bauer so erklärte: "Ich kenne diesen Aristeides gar nicht, aber es geht mir auf die Nerven, daß alle ihn den Gerechten nennen." Das ist doch eine tiefsinnige Geschichte! Ertragen wir sie etwa gar nicht, diese vorbildlichen Menschen?

Über diese existenziellen Fragen würde ich es versuchen!

 Graeculus meinte dazu am 13.11.23 um 21:55:
Hast Du vielleicht Lust, diesen Text im Griechischforum vorzustellen?

 Elisabeth antwortete darauf am 14.11.23 um 00:02:
Hallo lieber Graeculus,

ganz herzlichen Dank für Deine freundlichen Kommentare. 

Zum zweiten gleich: ja, kann ich gerne machen, wenn Du mir mitteilen könntest, in welche Rubrik es paßt, oder ob ich Dir den Text einfach in einem gewünschten Format dafür zukommen lassen soll.

Zum ersten: Ja, da hast Du völlig recht, auch wenn ich in meinem Aufruf ja nur an der Oberfläche gekratzt habe, das geht noch viel tiefer. Das ist natürlich ein Thema für die Philosophie - am ehesten - aber die eine oder andere Frage dürfte man auch schon in jüngeren Jahren mal erwägen. Und da könnte dann m.E. auch die Verknüpfung mit Teilen der asiatischen Popkultur hergestellt werden, denn auch da werden diese und ähnliche Themen nicht ausgespart.

Alleine könnte ich so eine Verknüpfung mit Nennung der entsprechenden Manga und Anime nicht herstellen, aber ich habe hier ja drei Spezialisten. ICH werde das allerdings nicht zeitnah schaffen, da es doch zu viel anderes auf meinem Zettel gibt aktuell.

Herzlichen Dank für diese gute Anregung.

Schöne Grüße von Elisabeth / Bettina

 Graeculus schrieb daraufhin am 14.11.23 um 00:09:
Das Einstellen im Griechischforum

https://www.albertmartin.de/altgriechisch/

geht ganz einfach: Du wählst ein Alias aus, klickst "Neuer Beitrag" an und kopierst Deinen Text dann hinein.

 Elisabeth äußerte darauf am 14.11.23 um 00:15:
Alles klar, mach ich dann morgen.

 EkkehartMittelberg (13.11.23, 22:12)
Hallo Elisabeth,
Ich freue mich sehr, dass du mit einem Projekt-Vorschlag dazu beiträgst, das Andenken an die griechische Antike wachzuhalten, Bettina.
Praktisch würde ich den Weg von Graeculus gehen, den ich teilweise ausprobiert habe. Genau die von ihm erwähnte Literatur gräbt sich tief in die Seelen von SchülerInnen ein.
Man sollte aber auch die durch Winkelmann ausgelöste Verehrung griechischer Antike nicht außer Acht lassen.
Vielleicht mag jemand den interessanten Faden zu diesem Gedicht von mir bei KV lesen:
Wen juckt noch Winkelmann?

Politisches Gedicht zum Thema Wahrnehmung



„Edle Einfalt, stille Größe“
proklamierte Winkelmann.
Land der Griechen, ohne Blöße,
dies kam hierzulande an.

Brauner Einfall, laute Macht,
Hakenkreuze, finstre Nacht.
Hellas Größe war geknechtet,
Griechenland total entrechtet.

Heute Moloch, der nur schluckt,
mit dem Stinkefinger juckt,
keine Sicherheiten bietet,
Mitgefühl ist weg genietet.

Wenn Europas Märkte beben,
wird man wieder Scherben kleben,
weit entrückt ist Winkelmann,
Kapital nur, das kommt an.

© Ekkehart Mittelberg, März 2015

(13.11.23)




 Elisabeth ergänzte dazu am 14.11.23 um 00:12:
Hallo, lieber Ekkehart,

auch Dir ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar.

Ich war kurz davor, in meinem Aufruf ebenfalls eine Bemerkung in diese Richtung zu machen - also zum Schuldenabgrund - hab es mir aber dann doch verkniffen. Und so schön wie Du hätte ich das auch gar nicht hinbekommen.

Ich habe mir notiert, in die Diskussion zu Deinem politischen Gedicht so bald als möglich reinzuschauen, aber heute Nacht schaffe ich das nicht mehr.

Schöne Grüße von Elisabeth / Bettina
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