Blaues Kleid und weiße Kutten

Gedicht

von  Quoth

„Kommt, wir gehen wieder zimmern,
wirken mit am großen Werk, die
Kirchenspaltung zu besiegen!“

Und schon schleppen sie die Balken,
sägen Sparren, dass sie passen
für den Dachstuhl frommer Hütte.

Glocke ruft sie zum Service
in den bunt durchstrahlten Saal,
die Studenten eilen, denn

zu gern sehen sie die Brüder
in den weißen Feierkutten
apsisnah am Boden knien,

stimmen ein in ihre Lieder,
die den Durst des Hirschs besingen,
und sie lechzen mit nach Gott.

Und dann schlemmen sie fünf Gänge
aus der Küche kleiner Nonnen,
trinken Roten, debattieren

über Weininger, die Un-
möglichkeit der Selbsterkenntnis,
denn das Auge sieht sich nicht.

Holger überlegt, ob er
nach bestandenem Examen
auch die Kutte nehmen soll.

Doch dann schneit ein blaues Kleid
in die zukunftsfrohe Rotte
und Frau Venus übernimmt

stolz und still das Regiment.




Anmerkung von Quoth:

Durst des Hirschs  Ps. 42,2

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Beislschmidt (16.11.23, 14:43)
Auch die Kutten schützen nicht vor dem Feuer der Eitelkeiten. Alle mussten sie auf die Piazza della Signoria, sogar die Fancuilli und ihr Meister.
Interessanter Text.
Beislgrüße

 Quoth meinte dazu am 16.11.23 um 17:50:
Irgendwie fühlst Du Dich an Savonarola erinnert. Kann mir gut vorstellen, dass der Dir imponiert! 
Wahrscheinlich bist Du drauf gekommen, weil auch die Kutten der Dominikaner weiß sind.
Vielen Dank für den Kommentar.

Antwort geändert am 16.11.2023 um 20:32 Uhr

 Beislschmidt antwortete darauf am 16.11.23 um 22:18:
Savonarola war schwarz gekleidet, jedenfalls im Film. Eine beeindruckende Persönlichkeit. J. Hus, G. Bruno endeten auch auf dem Scheiterhaufen.

 Quoth schrieb daraufhin am 17.11.23 um 11:08:
Sie wollten aber nicht nur Missstände und Unwahrheiten beseitigen, sondern traten für Demokratie, eine nicht korrupte Kirche und naturwissenschaftliche Wahrhaftigkeit ein. 

Die weißen Kutten im obigen Gedicht sind eigentlich nur Kittel, die die Brüder von Taizé überziehen, wenn sie Gottesdienst feiern.

 Beislschmidt äußerte darauf am 17.11.23 um 12:12:
Die weißen Kutten im obigen Gedicht sind
Aha ....


Im Zusammentreffen verschiedener Begriffsebenen, wie Demokratisierung der Kirche oder der Kampf gegen die Oligarchie, hat Savonarola durchaus aktuelle Themen angesprochen, die aber, wie wir wissen, von der Kirche bis heute vehement blockiert wurden.


Dazu kommt der personelle Disput der Medici, Papst Innozenz, Papst Alexander und Karls VIII, wo man bis heute nicht genau sagen kann welche Machtinteressen vorrangig waren.

Der Umstand, dass Savonarola ein begnadeter Redner und Dozent war, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Einfluss als Demagoge vielen Menschen den Tod gebracht hat.

 AchterZwerg (17.11.23, 11:39)
trinken Roten, debattieren


über Weininger, die Un-
möglichkeit der Selbsterkenntnis,
denn das Auge sieht sich nicht.


Holger überlegt, ob er
nach bestandenem Examen
auch die Kutte nehmen soll.
I like it babe!

Und wer heißt schon Holger? :P

 Quoth ergänzte dazu am 17.11.23 um 16:41:
O, da gibt's einige, denke nur an Holger Meins und Holger Börner ... Dank für Kommentar und Lieblingstext! Hatte Dich schon vermisst! Quoth
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram