Über dicke Telefonbücher und die schönen Künste

Märchen zum Thema Egoismus

von  eiskimo

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Es war einmal ein erfolgreicher Unternehmer, der in seinem Land mit der Herstellung von Büchern viel Geld verdiente.

Eine gute Fee in der Politik fügte es nun, dass man ihm die Konzession gab, für die ganze Republik die Telefonbücher zusammenzustellen. Eine echte Goldgrube in jener Zeit - hatte das Land doch nur ein einziges Festnetz, in dem alle Bürger brav jedes Jahr aufs Neu mit Rufnummer und Adresse aufgelistet wurden.

Unser erfolgreicher Unternehmer war natürlich glücklich, diesen sehr einträglichen Auftrag eingeheimst zu haben. Aber nachdem er merkte, dass "immer nur Telefonbücher" ihn nicht wirklich ausfüllte, suchte er nach einem spannenderen Ausgleich außerhalb dieser Nummern-Routine.

Da er so reich geworden war und der Telefonbücher-Markt weiter boomte, beschloss er, in den Kunstmarkt einzusteigen, und zwar gleich in den internationalen. Kunst stellte zwar echtes Neuland für ihn dar, aber es war einfach DIE Herausforderung!

Natürlich hatte er mit den Malern oder Bildhauern selber gar nichts im Sinn. Er sah nur die Auktionen und astronomischen Preise, mit denen da gewetteifert wurde. Und mit seinen Telefonbüchern im Rücken wusste er, dass er in diesem Wettbewerb der Superreichen durchaus mitzocken konnte. Und das tat er!

Viele Jahre gingen ins Land, und unser Unternehmer war rasch auch in diesem Betätigungsfeld äußerst erfolgreich. Die von ihm erworbenen Kunstschätze türmten sich, so dass er größere Räume brauchte, um sie aufzubewahren.

Die Künstler selber hätten ihre Werke ja gerne einem breiten Publikum dargeboten, hätten ihre Botschaften weitergegeben und öffentlich gemacht, ja, vielleicht auch lebendigen Austausch und echte Begeisterung geweckt. Mitten im Leben.

Aber unser erfolgreicher Unternehmer, der sich inzwischen zu einem besessenen Kunstsammler entwickelt hatte, wollte seine Schätze nicht teilen. Mit niemandem. Vielmehr schloss er sie ein in einer eigens für diesen Zweck erbauten Villa, hoch über der Stadt.

Der Zugang dorthin war extrem schwierig; das Anwesen wurde rundum mit hohen Mauern und einer elektronischen Überwachungsanlage gesichert.  Im Inneren der Villa eingesperrt dann die ganz Großen der Kunstwelt. Auf engstem Raum begegneten sich ein Dali, ein Miró, Rubens, van Gogh, Rembrandt, Dürer, Chagall, Renoir … um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Die hingen da an immer enger werdenden Wänden, zugestellt von bizarren modernen Skulpturen und frommen Madonnen – ein buntes Sammelsurium, aber alles extrem wertvoll und alles  extrem teuer.

Sofort nach Fertigstellung der Villa hatte unser erfolgreicher Unternehmer erfolgreich Wachpersonal rekrutiert – drei scharfe Rottweiler und zwei Security-erprobte Männer, die er für diese hochsensible Aufgabe anwerben konnte – sie alle waren rund um die Uhr in diesem Anwesen, stets von ihm kontaktier- und kontrollierbar.

Denn der Besitzer all dieser Werke schaffte es nur selten, vielleicht einmal pro Woche, seine Trophäen real in Augenschein zu nehmen. Einer der Wachmänner musste ihn fahren, sehr diskret und unter strengster Geheimhaltung. Denn fast immer hatte der Sammler ein weiteres teuer erworbenes Kunstobjekt im Gepäck.

Ja, er wusste sehr wohl, was er da hatte. Er führte auch genau Buch über die ständig wachsende Sammlung. Kaufdatum. Kaufpreis. Kaufabwicklung. Und diese Jagd nach Mehr erfüllte ihn mit einer tiefen Befriedigung. Die Größten der abendländischen Kunstszene, so sagte er sich stolz, sie hatten letztlich für ihn gearbeitet, nur für ihn.

In einem guten Märchen käme spätestens jetzt eine gute Fee – vielleicht auch eine Influencerin der Kunstszene  – und die würde die so freudlos eingesperrten Mirós, Dürers, Dalís, Picassos, Warhols, Klees, Monets und Manets mit einem lauten Knall befreien, ja, würde sie dann endlich einem ehrlich kunstinteressierten Publikum zuführen.

Dem ist aber nicht so. Unser Unternehmer war auch im Verhindern derartiger Traumlösungen erfolgreich. Niemand sollte je eingreifen gegen diese Art Beschlagnahmung.

Und am Ende kommt es in dieser Geschichte, die sich tatsächlich so zugetragen hat, knüppelhart. Der Schluss lautet nämlich:  Wenn er nicht gestorben ist, unser erfolgreicher Unternehmer, dann sammelt und bunkert er in dieser Art noch heute.




Anmerkung von eiskimo:

Wer sich auf dem europäischen Kunstmarkt auskennt, wird den besessenen Sammler, der mich zu diesem Märchen inspiriert hat, wahrscheinlich kennen.  Er soll zuletzt 300 berühmte Gemälde und ebenso viele Objekte sein eigen genannt haben. Seit einigen Jahren ist er tot. Immerhin hatte er vor seinem Ableben noch die komplette Sammlung in eine Stiftung überführt.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (07.12.23, 10:52)
Jetzt wüsste ich aber gerne, wie dieser Mensch heißt und wo man die Kunstwerke heute betrachten kann.RAUS DAMIT: LG
kipper (34) meinte dazu am 07.12.23 um 12:41:
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 eiskimo antwortete darauf am 07.12.23 um 15:29:
Nee, der ist es nicht. Aber Gurlitt wäre es auch wert, ihn literarisch zu adeln...

 uwesch (07.12.23, 14:07)
Ist schon irre, dass Kunst fast immer bei Reichen landet und damit der Öffentlichkeit entzogen wird. (ein Glück, dass das mit meinen kunstvollen Geschichten nicht passiert  :) ) LG Uwe

 eiskimo schrieb daraufhin am 07.12.23 um 15:36:
Da sprichst Du eine traurige Wahrheit aus. Als früher die Kirche noch Hauptauftraggeber der Künstler war, konnte das gläubige Volk wenigstens einen Teil der Kunstwerke beim Messbesuch bestaunen. Aber die Fürsten hatten sicher auch ihre Privatsammlungen.
Aber mit KV hätten wir ja heute einen Trost.
LG
Eiskimo
kipper (34) äußerte darauf am 07.12.23 um 16:23:
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 eiskimo ergänzte dazu am 07.12.23 um 19:28:
Dass die Künstler selber oft kaum von ihrer Kunst leben können, ist leider so. Auch, dass Fußballer im Vergleich total überbezahlt sind.
Es ging hier aber um die Frage, wer am Ende das Geld hat, die angesagten Kunstprodukte zu erwerben. Auf diesem Markt sind, denke ich, die Reichen eindeutig im Vorteil. Und einige behalten sie halt diskret für sich.
Die Diskretion der Sammler hängt natürlich sehr mit der Angst vor Diebstahl zusammen, und die Versicherungen werden ihnen strenge Sicherheitsauflagen machen.
kipper (34) meinte dazu am 07.12.23 um 22:09:
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 eiskimo meinte dazu am 07.12.23 um 22:45:
Ich erzähle von einer bestens gesicherten Villa im provenzalischen Stil, inzwischen ein Museum, in das man nur nach Voranmeldung, in Plastiküberschuhen, ohne Fotoapparat und begleitet von einer Führerin hinein kommt.
Märchenhafte Gemälde, und ich habe es bewusst in Märchenform geschrieben
kipper (34) meinte dazu am 08.12.23 um 09:39:
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