Mainstream ist heiraten und nebeneinander her arbeiten, mit oder ohne Kinder. Kinder sind zwar das Lieblingsprojekt von Paaren, aber es gibt auch Hunde und Gartenarbeit und Hausrenovierungen und Wärmepumpen und natürlich Autos, Autos sind neben Arbeit der Mainstream schlechthin. Es ist Mainstream, ein Auto zu brauchen und Mainstream, über die hohen Benzinpreise zu schimpfen. Laut einer im Mainstream verbreiteten Auffassung können bestimmte Autos bei Männern sogar ein bestimmtes Körperteil ersetzen oder vergrößern. Die Frage bleibt, ob sich Metall in der Mainstream-Wahrnehmung anfühlt wie Schwellkörper. Fahrradfahren ist Mainstream und zu Fuß zu gehen ist Mainstream, aber mit weniger Status als Autofahren, außer natürlich, wenn es sich um sportähnliche Leistungen handelt, die fit halten.
Mainstream ist über das eigene Körpergewicht zu klagen und das anderer zu bekritteln, Mainstream ist, immer ganz genau zu wissen, wer jetzt aber wirklich zu dick oder zu dünn ist. Der Mainstream ist breit mit viel Platz für Varianten. Mainstream sind Fußball, Tennis und Yoga und Laufen und alles was fit macht. Mainstream ist auch über Fußball zu reden und zu glauben, es besser machen zu können als die Spieler. Der Mainstream verhält sich zu Fußball und Fußballspielern und zu Politik und Politikern auf ungefähr diesselbe Art und Weise. Der Wunsch nach einem gesund anzuschauenden Körper ist aus dem Mainstream nicht herauszudenken. McDonalds ist Mainstream aber auch Müsli. Mainstream ist Döner mit und ohne scharfe Soße und Curry Wurst (auch vegan). Der Mainstream vertritt die Auffassung, dass gesundes Essen nicht schmeckt und Kinder keinen Spinat mögen. Trotzdem ist es Mainstream gesünder essen zu wollen und Smoothies mit Spinat zu trinken. Hollywood, Nouvelle Vague, Heimatfilm, Netflix, Amazon, Russia Today, TikTok und Youtube: alles Mainstream. Mainstream ist, eine Wahl aus einem überschaubaren Konsumangebot treffen zu wollen und es auch zu tun. Im Mainstream hat Konsum den Status von Recht. Mainstream ist, Konsumvorlieben für Individualität zu halten und Lebensstil für Identität.
Mainstream ist, über zu wenig Geld und zu hohe Steuern zu klagen, einkommensunabhängig. Mainstream ist Steuerhinterziehung im großen und kleinen Stil. Mainstream ist, sich durch die Farbe einer Tapete vom Rest des Mainstreams abzuheben oder durch einen Haarschnitt oder einen Musikgeschmack, ein Elektrogerät oder ein besonderes Auto. Internet ist Mainstream, Gaming ist Mainstream, Online-Nachrichten sind Mainstream, unabhängig vom Kanal.
Andere als faul und schlampig und sich selbst als fleißig und gewissenhaft zu bezeichnen, ist Mainstream. An Obdachlosen vorbeizugehen, ohne hinzusehen, ist Mainstream oder heimlich hinzusehen und sich zu denken, dass sie ihre Lage selbst verschuldet haben. Menschen, ohne gültigen Fahrausweis in der U-Bahn einen giftigen Blick zuzuwerfen ist Mainstream, weil es Mainstream ist, sich persönlich ausgenutzt zu fühlen, wenn jemand anderes nicht an die Mainstream-Regeln hält. Saufen, saufen, saufen ist Mainstream. Aber nur solange tüchtig gearbeitet und Geld verdient wird, wenn nicht, ist Saufen immerhin noch eine Mainstream-Krankheit. Im Mainstream ist die Funktionstüchtigkeit innerhalb des Mainstreams ein unantastbarer Wert. Im Mainstream wird Menschenwürde mit Funktionstüchtigkeit gleichgesetzt. Sich all dessen zu rühmen, was so für Leistung gehalten wird, ist Mainstream. Einen Begriff wie Lebensleistung wie eine Tatsache stehenlassen zu können, ist Mainstream.
Techno ist Mainstream. Volkstümlicher Schlager ist Mainstream. Goethe ist Mainstream. Sogar Zlatko aus der ersten Big-Brother-Staffel kannte Goethe dem Namen nach. Donald Duck ist Mainstream. Thomas Bernhard und Heine zu lesen und zu glauben, das sei ein Zeichen, dass man nicht zum Mainstream gehöre, ist Mainstream. Ständig zum Arzt gehen ist Mainstream, sich mal ordentlich durchchecken, durchtherapieren und durchficken zu lassen, ist Mainstream. Jeglichen Arztbesuch zu verweigern, ist Mainstream, Therapie grundsätzlich zu verachten ist Mainstream, Masturbation, mit oder ohne Pornos, ist Mainstream. Es ist Mainstream, Kunst für abgehobenen Luxus zu halten und Design für Kunst. Es ist Mainstream, die Meinung von Reich-Ranicki als Maßstab überzubewerten, aber nicht, wenn er sagt: „die besten und wichtigsten Werke der Literatur sind eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie“. Es ist Mainstream, diesen Satz einfach zu überhören, weil er nicht zur Mainstream-Idee passt, dass ein Gefühlsleben an sich eine peinliche Angelegenheit ist. Mainstream ist auf die Kirche zu schimpfen und sie immer noch besser zu finden als andere Kirchen. Mainstream ist, auf Autoritäten zu schimpfen und sich maximal autoritär zu verhalten, Mainstream ist, Hierarchien zu kritisieren und sich innerhalb dieser zu profilieren. Mainstream ist: "lern erst mal die bestehenden Techniken, bevor du eigene Ideen umsetzt".
Mainstream ist es, Kindern keine Freiheit und Leichtigkeit gönnen zu wollen. Mainstream ist die Idee, dass Mitgefühl, Unterstützung, die Befriedigung von Grundbedürfnissen und Möglichkeiten der Selbstentfaltung den Charakter verderben. Aber Mainstream ist auch der Wunsch, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben sollen als man selbst, wobei es gleichzeitig Mainstream ist, dass einem das Schlechtere nicht geschadet hat. Mainstream ist, dass es die Kinder von anderen Leuten nicht besser haben zu brauchen. Mainstream ist, dass man es selbst aus eigener Kraft geschafft hat und die Anderen mit Hilfe des Staates. Mainstream ist: „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ (obwohl es eh nie verboten wurde). Mainstream ist, Widerspruch mit Zensur zu verwechseln. Mainstream ist von man zu sprechen und ich zu meinen und es gar nicht zu merken. Mainstream ist die Unterstellung, dass der Staat und die Anderen einem was wegnehmen wollen. Mainstream ist, den kategorischen Imperativ mit der Goldenen Regel zu verwechseln.
Mainstream ist, moralisch gegen Moralisierung zu argumentieren.
Mainstream ist: geht gar nicht.
Mainstream ist: alles gut.
