Entkriminalisierung

Kommentar

von  autoralexanderschwarz

Die Entkriminalisierung des Konsums von Cannabis und Cannabisprodukten beendet (sofern sie denn nun tatsächlich kommt) eine jahrzehntelange Diskriminierung und Ungerechtigkeit in Deutschland. Prohibitive Gesetze, die, sofern sie auf erwachsene Bürger angewandt werden, ganz grundsätzlich schwer mit einer liberalen (freiheitlichen) Rechtsordnung zu begründen sind, erscheinen umso sinnloser, wenn andere (viel gesundheitsschädlichere) alternative potentielle Suchtstoffe wie Alkohol frei verfügbar sind. Diese Diskriminierung haben unzählige Menschen in ihrem Leben ganz konkret erfahren. Sie wurden vorbestraft, haben ihre Wohnung oder ihren Job verloren, manchmal schreckte man nicht einmal davor zurück, ihnen ihre Kinder wegzunehmen. Justiz und Polizei haben in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Verfahren und Ermittlungen eröffnet, Wohnungen durchsucht, Menschen abgehört und überwacht, einzig und allein, weil diese das Pech hatten, bei Konsum oder Erwerb von Cannabis beobachtet zu werden. Ganz normale Menschen, die sich von anderen nur dadurch unterscheiden, dass sie gerne einen Joint nach der Arbeit rauchen, anstatt ein Bier zu trinken. Diese Ungerechtigkeit haben die Regierungsparteien beenden wollen. Der ursprüngliche – und wohl rückblickend beste – Plan, dass man einfach legale Bezugsmöglichkeiten schafft, um einen in der Zeit der (und durch die) Prohibition gewachsenen Schwarzmarkt zu bekämpfen, scheiterte bekanntlich an Unvereinbarkeiten mit der EU-Gesetzgebung. Der Versuch, eine rechtskonforme Lösung zu finden, droht nun an der Blockadehaltung konservativer und rechtsradikaler Kräfte zu scheitern, die aus rein ideologischen Gründen und mutmaßlich wohl auch aus Lobbyinteressen heraus, eine Entkriminalisierung verhindern wollen. Sollte nun tatsächlich der Vermittlungsausschuss genutzt werden, um ein nicht zustimmungspflichtiges und beschlossenes Gesetz so lange zu verzögern, bis eine potentiell konservative (oder rechtsradikale) Regierung dieses wieder einstampft, ist dies (neben der massiven Geld- und Ressourcenverschwendung) wohl auch eine Zweckentfremdung dieses Gremiums aus parteipolitischen Interessen und im höchsten Maße bedauernswert. Hierfür instrumentalisierte Argumente, wie der vermeintlich bessere Jugendschutz (wenn man den Verkauf der organisierten Kriminalität überlässt) oder gerade aktuell die vermeintliche Überlastung der Gerichte (durch die rückwirkende Wiedergutmachung begangenen Unrechts) erscheinen geradezu lächerlich in Anbetracht des Umstandes, dass dieses Gesetz alle entsprechenden Hürden genommen hat und all diese Scheinargumente durchaus im Bundestag geführt, aufgegriffen, diskutiert, entkräftet und widerlegt wurden. Dass nun eine Mehrheit der Deutschen im aktuellen Trommelfeuer aus Panikmeldungen (bspw. zur Verkehrssicherheit oder einem steigenden Drogenkonsum (es taucht sogar das alte Märchen von der sog. „Einstiegsdroge“ wieder auf)) gegen eine Legalisierung ist, zeigt zum einen die Anfälligkeit der Masse für Manipulation und zum anderen den eklatanten Egozentrismus vieler Menschen (die einfach dagegen sind, weil sie ja selbst keinen Vorteil davon haben). Ebenfalls will ja auch eine Mehrheit der Deutschen das Rauchen ganz grundsätzlich verbieten und beim Alkohol ist das eben nur nicht so, weil eine Mehrheit der Deutschen gerne Alkohol trinkt. Das ist sehr traurig und zeigt, dass der in letzter Zeit so häufig beschworene Wert der Solidarität wohl für die meisten Bundesbürger nicht viel mehr als eine Floskel ist.



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Kommentare zu diesem Text


 Beislschmidt (18.03.24, 18:47)
Haschu Haschisch in de Tasche
Hasche immer wasu nasche.

Sorry, der musste jetzt raus 😀



Kommentar geändert am 18.03.2024 um 18:48 Uhr

 S4SCH4 (18.03.24, 18:58)
Der Kommentar ist schön geschrieben. Die einleitende Argumentation bekannt. Was mir (als regelmäßiger Tablettenschlucker :) ) dazu noch einfällt ist: Keine Macht den Drogen. Dass diese, direkt oder indirekt immer Wege finden, ob legal oder illegal, liegt wohl daran, dass sie als Teufelszeug nun einmal sehr perfide sind. Man kann es ihnen einfach nicht Recht machen :). Natürlich oder chemisch sei mal dahingestellt.

Kommentar geändert am 18.03.2024 um 18:59 Uhr

 FrankReich (22.03.24, 09:23)
Alkohol und Nikotin werden bagatellisiert, dabei sind sie mindestens so starke Nervengifte wie Cannabis oder LSD, der Vorteil von Alkohol, LSD und Cannabis (solange es nicht geraucht wird), besteht aber darin, dass diese Drogen nicht passiv aufgenommen werden können. Gegen ein Verbot von Nikotin und anderen krankmachenden Inhalationsstoffen hätte ich daher schon einmal nichts einzuwenden, die Konzentration der anderen Suchtstoffe sollte allerdings besser kontrolliert werden, da sie in vielen Fällen auch die Schwelle zur Gewaltbereitschaft herabsetzt, aber mal im Ernst: Wäre es nicht sinnvoller, Drogen nur zu rein medizinischen Zwecken einzusetzen? 🤔

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 22.03.24 um 12:52:
Also erst einmal ist Cannabis kein Nervengift und in keinerlei Weise toxisch. Und bezüglich der letzten Frage: Mit Blick auf die Menschheitsgeschichte ist der Rausch etwa so weit zurück dokumentierbar wie der Mensch. Ich würde das als Regierung dem Einzelnen nicht vorschreiben wollen, solange - da gebe ich dir Recht - man andere damit nicht in Mitleidenschaft zieht. Glücklicherweise ist das nun vorbei! Und durch die heute unterbliebene Intervention des Bundesrats ist mein Kommentar nun ohnehin in Teilen redundant.

Ich bin heute - zum ersten Mal seit langer Zeit - ein wenig stolz auf Deutschland.

Antwort geändert am 22.03.2024 um 12:57 Uhr

Antwort geändert am 22.03.2024 um 12:57 Uhr

 FrankReich antwortete darauf am 22.03.24 um 13:20:
Na ja, meinetwegen, dennoch kann Cannabis das Nervensystem ziemlich durcheinanderbringen und andere Menschen dadurch durchaus in Mitleidenschaft ziehen, somit wird zumindest dieses Problem durch die Legalisierung einer weiteren Droge nicht aus der Welt geschafft, sondern eher noch gefördert, als Ausgleich wünschte ich mir tatsächlich ein Rauch- und Saufverbot. 😂

 autoralexanderschwarz schrieb daraufhin am 22.03.24 um 13:29:
Auch da würde ich nur in Teilen zustimmen. Als Raucher ist man ja zum Schutz der allgemeinen Gesundheit bereits durchaus zurückgedrängt worden. Als ich noch Student war, gab es in alten Hörsälen noch an jedem Sitzplatz einen Aschenbecher, im Zug gab es mindestens ein Raucherabteil und wenn man sich in eine Kneipe gewagt hat, brauchte man gar keine eigenen Zigaretten mehr. Das finde ich – heutzutage an Bahnsteigen auf einen gelbumrandeten Quadratmeter stehend – als Raucher nicht immer gut, aber kann es als Bürger zumindest in Teilen nachvollziehen. Das ist aber etwas ganz Anderes, als jemanden zu kriminalisieren, der gerne – beispielsweise beim Schreiben eines literarischen Textes – im Garten oder seiner eigenen Wohnung eine Zigarette rauchen möchte. Ehrlicherweise würde ich sagen, dass das aus meiner Sicht den Staat schlicht nichts angeht.

 FrankReich äußerte darauf am 22.03.24 um 13:51:
Aus meiner Sicht schon, aber das öffentlich auszutragen, würde zu weit führen. 🤔

 autoralexanderschwarz ergänzte dazu am 22.03.24 um 13:55:
Das sehe ich genauso und danke dir dennoch für deinen Kommentar und diesen kurzen Disput.

Schönes Wochenende
AlX

 FrankReich meinte dazu am 22.03.24 um 14:00:
Danke gleichfalls.

Ciao, Frank

 Graeculus meinte dazu am 22.03.24 um 14:07:
1. Es gibt keine Kultur ohne Drogen - da hat autoralexanderschwarz recht. Das muß einen tieferen Grund haben. Der Kampf gegen die Drogen hat etwas von einem Kampf gegen die menschliche Natur.
Das klassische Drama dazu: "Die Bakchen" des Euripides.

2. Wenn ein Mensch überhaupt ein Recht hat, dann das, über seinen eigenen Körper zu verfügen. Selbstverständlich hat er nicht das Recht, anderen seinen Rauch ins Gesicht zu blasen oder unter Alkohol seine Aggressivität an ihnen auszulassen.
Alles weitere, also z.B. das Rauchen in der eigenen Wohnung, geht die anderen nichts an.

3. Die vom Gesundheitssystem zu tragenden Folgen werden durch Beiträge für die Krankenversicherung, Tabak- und Alkoholsteuer sowie geringere Rentenauszahlungen ausgeglichen.

4. Davon zu unterscheiden ist der Kampf gegen die Drogemafia, die allerdings - das muß man doch wohl sagen - von den Verboten profitiert.

Antwort geändert am 22.03.2024 um 14:09 Uhr

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 22.03.24 um 14:10:
Danke für diese Ergänzung (und die Literaturempfehlung).


Ebenfalls ein schönes Wochenende
AlX

 FrankReich meinte dazu am 22.03.24 um 14:15:
Alles weitere, also z.B. das Rauchen in der eigenen Wohnung, geht die anderen nichts an.

Definiere eigene Wohnung.

 Graeculus meinte dazu am 22.03.24 um 14:22:
Das ist doch im BGB festgelegt. Das Recht eines Mieters, in seiner Wohnung zu rauchen, ist in einem Fall, der sich durch mehrere Instanzen erstreckt hat, gerichtlich bestätigt worden.

Wenn mehrere Personen eine Wohnung haben, von denen nur eine raucht, bietet sich m.E. die Beschränkung auf ein Zimmer an.

Antwort geändert am 22.03.2024 um 14:22 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 22.03.24 um 14:27:
Noch zur Literatur (es gibt eine Fülle literarischer Zeugnisse): Charles Baudelaire hat nicht nur Haschisch konsumiert, sondern auch ein Gedicht über das Rauchen geschrieben ("La pipe"), in dem der Genuß, der darin liegt, gut beschrieben wird:

Als Pfeife in des Dichters Mund
Kann man an meiner Farbe messen,
- wie Abessiner und Tscherkessen -
Mein Meister raucht zu jeder Stund.

Und ist sein Sinn von Sorgen wund,
Dann qualme ich so selbstvergessen,
Als wärmte ich ein Abendessen,
Wie’s Männern schmeckt, gut und gesund!

Ich fasse, wiege seine Seele
In einem Netz, das blau verzweigt
Aus meinem Feuermunde steigt,

Und dieser Duft, den ich verschwele,
Bezaubert schnell sein Herz und reißt
Aus aller Trübsal seinen Geist.

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 22.03.24 um 14:28:
Die ganzen "künstlichen Paradiese" von Baudelaire kreisen um das Haschisch.

 FrankReich meinte dazu am 22.03.24 um 14:33:
Das hilft aber denen leider überhaupt nichts, die bspw. an einer Übersensibilisierung oder irreversiblen Schädigung ihrer Schleimhäute leiden und nur, weil es keine Kultur ohne Drogen gibt, bedeutet das ja noch längst nicht, dass Drogen deshalb in Ordnung gehen, bzw. Menschen, die darunter leiden, auch noch Verständnis für die entwickeln müssen, die ihre Gesundheit beeinträchtigen.

 Graeculus meinte dazu am 22.03.24 um 14:52:
Redest Du von Passivrauchern? Wie entstehen denn da Probleme bei einer Beschränkung auf die eigenen vier Wände?

In manchen Kulturen wird das anders gehandhabt: Da ist der gemeinsame Konsum von Drogen so etwas wie ein sozialer Kitt und zugleich eine soziale Kontrolle angesichts der Gefahr eines exzessiven Konsums.
So rauchen etwa die in jeder Hinsicht vorbildlichen indischen Bishnoi allwöchentlich gemeinsam ein Pfeifchen Opium.

Es gibt viele verschiedene Verhaltensmuster im Umgang mit Drogen; nur eine Kultur ohne Drogen gibt es nicht - das sollte man sich gut bewußt machen und vor allem verstehen, bevor man seiner puritanischen Veranlagung folgt und den Kampf gegen Drogen aufnimmt. Sonst ergeht es einem wie dem Pentheus im Drama des Euripides.

Antwort geändert am 22.03.2024 um 14:59 Uhr

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 22.03.24 um 15:04:
Ganz ungeachtet des Konnex von Kultur und Rausch seid ihr euch ja eigentlich einig, dass der Staat in der Pflicht ist, den Einzelnen vor dem Anderen zu schützen (wie bspw. mit Bereichen im öffentlichen Raum, in denen z. B. das Rauchen oder Trinken untersagt ist). Darüber aber, inwieweit der Staat darüber hinaus noch in der Pflicht ist, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen, kann man ja durchaus unterschiedlicher Auffassung sein und diese auch vertreten (ohne Puritaner zu sein). Man muss sich ja auch gar nicht immer einigen.

 FrankReich meinte dazu am 22.03.24 um 15:05:
Ja, davon rede ich und wie die Probleme trotz Beschränkung auf die eigenen Wände in Mietwohnungen entstehen, habe ich bereits angeschnitten.
Solange die Menschen nur alleine sich durch Drogen umbringen, habe ich damit auch gar kein Problem, außer dem, dass mir das einfach nicht schnell genug geht. 😂

 Dieter_Rotmund (24.04.24, 17:22)
Sehr verbittert und trocken geschrieben. Handwerklich okay, aber kein Pepp, kein Esprit.

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 24.04.24 um 18:42:
Das war ja auch ein bitterer Moment.

Das hier habe ich dann danach geschrieben:

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