Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Produzierbarkeit

Kommentar

von  autoralexanderschwarz

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Produzierbarkeit


- geschrieben von einem Menschen -


Als Walter Benjamin 1935 – im Pariser Exil – spürte und beschrieb, dass sich gerade etwas mit der Kunst und deren Rezeption veränderte1, waren die technischen Neuerungen, die sich bspw. in der Entwicklung des Films und der Fortentwicklung der Photographie offenbarten, rückblickend wohl deutlich weniger gravierend als das, was sich heute, knapp hundert Jahre später, vollzieht. Damals erschien es wohl noch undenkbar, dass es einmal so etwas wie Künstliche Intelligenz geben würde, die in Sekundenschnelle ganze Bücher schreiben, Symphonien komponieren oder mit sanften Roboterarmbewegungen eine Blumenwiese auf eine Leinwand malen kann. Während der Film damals als Kunstform zwar bereits eine ganze Menge Maschinerie und Technik in den künstlerischen Prozess implementierte, brauchte es noch immer einen Menschen, der die Kamera hielt, der ein Motiv und eine Perspektive auswählte und diese dann auf jenes ausrichtete. Der heutzutage zumindest potentiell mögliche Wegfall von (realem) Motiv und (menschlichem) Kameramann bei der Entstehung eines Films ist aus Sicht des Verfassers nicht nur eine quantitative Zunahme der technischen Anteile eines Kunstwerks, sondern stellt eine grundsätzlichere Veränderung dar und damit dasselbe gänzlich in Frage.


Um sich dieser Problematik anzunähern, ist es aber zunächst wichtig zu klären, worüber man überhaupt spricht, und in diesem Sinne die Frage zu beantworten, was denn ein Kunstwerk eigentlich ist und wie es sich von anderen Objekten oder Vorgängen unterscheidet. Durch die Geschichte hindurch gab es darüber immer wieder sehr unterschiedliche Ansichten, die sich an dieser Stelle nicht erschöpfend behandeln lassen. Einig waren sich aber wohl die meisten Kunsttheoretiker aller Zeiten, dass ein Kunstwerk etwas ist, das jemand gemacht hat, der bei dessen Entstehung (irgend)etwas von sich selbst (sei es eine Idee, eine Emotion, eine Botschaft) in diesem Kunstwerk verwirklicht hat. Dieses Etwas, diese genetische Verwandtschaft, verbindet Werk, Künstler und Rezipienten, der – selbst bei der übelsten Missinterpretation – etwas zu empfangen (oder hermeneutisch gewendet: zu verstehen) glaubt, das im Bild, im Text, in einer Melodie enthalten ist. In diesem Sinne lässt sich sagen, dass ein Kunstwerk etwas ist, in dem sich ein Künstler ausdrückt, indem er etwas verwirklicht und nach außen trägt, was zuvor in ihm gewesen ist.


Diese Definition ist sehr weit und wirft berechtigte Zweifel und Fragen auf. Was bedeutet denn eigentlich „ausdrücken“? Und drücken wir uns nicht in allem aus, was wir tun? Ist das zusammengeknüllte Papier, das man in den Papierkorb wirft, ein Kunstwerk? Ist Malen nach Zahlen Expression? Ist ein Werbespot, in dem Kinder zu ungesunder Nahrung ermutigt werden, Kunst?


All diese (und ähnliche) Fragen lassen sich ganz unterschiedlich beantworten. In der – im Vorigen definierten – Gruppe der Kunstwerke wären wohl viele Artefakte, über deren Zugehörigkeit man aus diversen Gründen (bspw. ästhetischen oder hinsichtlich ihrer Funktion) streiten könnte, wichtig ist aber hier erst einmal nur, dass die obenstehende Definition zwar sehr viel umfasst, aber zugleich mit großer Trennschärfe auch Dinge ausschließt, die demnach keine Kunstwerke sein können. Eine von einer Künstlichen Intelligenz gemalte Blumenwiese wäre in diesem Sinne ebenso wenig ein Kunstwerk wie ein (frei gewachsener) Baum, einfach weil sich in beiden niemand ausdrückt, weil der eine in Richtung der Sonne wächst und die andere aus unzähligen Blumenwiesen zusammengerechnet wurde.


Wenn man somit alles, was Maschinen an vermeintlichen Kunstwerken produzieren, von den Kunstwerken realer Künstler separiert, scheint das Ausgangsproblem auf den ersten Blick gelöst. Keine Kunsttheorie muss neu gedacht, verändert, adaptiert werden, nur weil es etwas Neues gibt, das gewissermaßen einen neuen Raum neben dem alten aufmacht, Maschinenkunst eben, die etwas anderes ist als Kunst in ihrem ursprünglichen Sinne.


Während jedoch im rein theoretischen Raum so gesehen erst einmal kein Problem auftritt, ist eine solche Separierung im realen Vorgang der tatsächlichen Rezeption nicht mehr möglich. Da Künstliche Intelligenz Zugriff auf die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte der Menschheit hat, ist es ihr möglich in jedem Stil zu schreiben, zu malen, zu schaffen und dabei in der Reproduktion von realen Expressionen etwas zu kreieren, was auf den Betrachter wie ein neues, reales Kunstwerk wirkt. Die holländische Kulturlandschaft, die eine Künstliche Intelligenz malt (und die gewissermaßen ein Substrat aller bislang gemalten und digitalisiert verfügbaren holländischen Kulturlandschaften ist), lässt sich im Hochglanzbildband für den Betrachter nicht mehr von jener Landschaft unterscheiden, die ein holländischer Maler vor einigen hundert Jahren auf die Leinwand gebracht hat.


Der Rezipient aber, der sich, seitdem es Kunst gibt, daran gewöhnt hat, die Idee, die Emotion, die Botschaft zu suchen, die ihr Urheber in seinem Kunstwerk verborgen hat, wird auch bei dem Imitat fündig, sinniert über die Anordnung der Kühe auf dem Feld oder die Dunkelheit am Horizont, die auf ein baldiges Gewitter schließen lässt, glaubt einen Künstler zu verstehen, den es aber nie gegeben hat, denn das Bild, das er betrachtet, ist nur Oberfläche, die Anordnung der Kühe folgt keiner Idee, eigentlich ist das Bild leer, es wird erst durch den Betrachter gefüllt, der Rezipient ist gar kein Rezipient mehr; er erfindet gewissermaßen eine Geschichte zu dem Bild und folgt in dieser narrativen Konstruktion einem Pfad, der nur so aussieht, als würde er hinter das Bild führen, denn es gibt nichts, was der Rezipient verstehen könnte.


Während wohl für den einzelnen Konsumenten dieser Unterschied, bspw. beim Betrachten eines K.I.-generierten Videos zu den Klängen von Pink Floyd, keinen Unterschied macht, ändert es etwas ganz Grundsätzliches an der Rezeption von Kunst. Viele Künstler sind zwar immer wieder missverstanden worden, weil ihre Rezipienten nicht genau hingehört und lieber ihre eigenen Projektionen über das Werk geworfen haben, aber bislang konnte sich jeder Rezipient dennoch sicher sein, dass das Kunstwerk, das er betrachtet, nicht in Wahrheit einfach Resultat eines komplizierten (und in seiner Kompliziertheit im Hinblick auf das Resultat zufälligen) Rechenprozesses ist. Die Ununterscheidbarkeit von Kunstwerk und der (K.I.-generierten) Fälschung muss beim kritischen Betrachter notwendigerweise zu einem Generalverdacht gegen die Kunst führen.


Denn wenn Kunst ihres expressiven Kerns beraubt wird, bleibt ein Hohlraum zurück, der sich mit etwas anderem füllen lässt bzw. gefüllt werden muss. Da Künstliche Intelligenz sich nicht ausdrücken kann, bedarf es anderer Maßstäbe, anhand derer in einem fortwährenden Lernprozess zwischen einem (1) gelungenen oder einem (0) misslungenen Kunstwerk unterschieden werden muss. Während der Bezugsrahmen hier auf der Grundlage der verfügbaren Daten (bzw. Referenzobjekte) wohl letztendlich der Geschmack einer quantitativen Mehrheit ist, ist das Korrektiv auf der anderen Seite der individuelle Geschmack, das ästhetische Empfinden desjenigen, der die Künstliche Intelligenz dazu auffordert ein Kunstwerk zu erstellen (und der entscheidet, einen neuen Vorschlag zu generieren oder aber es bei dem bisherigen zu belassen). Dementsprechend ist ein gelungenes Kunstwerk (1) ein Kunstwerk, das nicht nur wie ein solches auf den Betrachter wirkt, sondern was demselben darüber hinaus eben auch noch möglichst gut gefällt, und da nichts wirklich allen gefällt, sollte es zumindest möglichst vielen gefallen.2


So gesehen ist ein gelungenes Kunstwerk aus Sicht einer Künstlichen Intelligenz ein Objekt, das auf eine bestimmte Art auf den Betrachter wirkt und somit anstelle eines Ausdrucks von vornherein auf eine bestimmte Rezeption ausgerichtet ist. Der Himmel ist nicht dunkler, weil er ein kommendes Gewitter ankündigt, sondern er ist dunkler, weil er so das ästhetische, kreative, sinnsuchende Empfinden des einzelnen Rezipienten (sei es bewusst oder unbewusst) stärker anspricht. Warum, ist dabei eigentlich egal. Ebenso wie der einzelne Nutzer nicht mit letzter Gewissheit sagen könnte, warum er sich für ein spezifisches Endresultat entschieden (und dieses nicht doch noch ein wenig optimiert) hat, kann auch die Künstliche Intelligenz nicht sagen, warum eine spezifische Anordnung von Pixeln von den meisten Menschen als „Kunstwerk“ empfunden wird. Dennoch kann sie einen solchen Affekt mit großer Wahrscheinlichkeit voraussagen und kann und muss ihr Schaffen daran ausrichten.


Spätestens mit Blick auf die Kollaboration von Mensch und Maschine stellt sich hier jedoch die berechtigte Frage, ob nicht die eingangs gewählte Definition ausschließlich auf Produkte zutrifft, die recht eigenständig von Künstlicher Intelligenz realisiert wurden. Was ist mit einem Objekt, das gewissermaßen in Kooperation zwischen Mensch und K.I entstanden ist? Ist in diesem Sinne nicht ein Computer nichts anderes als eine weiterentwickelte Kamera und ist nicht auch der Nutzer ein Künstler, der sich nun anstelle der gewohnten Mittel individuell formulierter Befehle bedient?


Die Antwort ist ja und nein zugleich. Natürlich kann sich ein Mensch (zumindest theoretisch) in einem besonders aussagekräftigen Befehl ausdrücken. So mag die bloße Idee, dass bspw. Hieronymus Bosch Dantes Inferno malt, sich in einem Prompt ausdrücken. Ein Eingabebefehl kann in diesem Sinne für sich selbst genommen ein Kunstwerk sein. Das gilt aber mit der gleichen Entschiedenheit nicht für das Bild, das eine Künstliche Intelligenz aus diesem Befehl generiert, denn es ist nur ein potentielles Bild, solange der Nutzer sich nicht entscheidet, damit weiterzuarbeiten, bspw. den Himmel dunkler oder das Inferno martialischer zu machen (oder zu entscheiden, dass es gut so ist, wie es ist). Diese Veränderung aber reproduziert erneut lediglich den vorigen Vorgang, wieder ist es eine Auswahl zwischen vielen verschiedenen potentiellen Bildern, Farbtönen, Stimmungen und da man nie weiß, ob nicht der nächste Vorschlag einem noch besser gefallen würde, ist das Endresultat auch immer ein zufälliges.


Das ist der große Unterschied zu dem Maler (oder auch dem Graphik-Designer), der sich schließlich entscheidet eine bestimmte Farbe an einer bestimmten Stelle hervorzuheben. Auch ein solcher Vorgang lässt sich bereits mit technischen Mitteln rückgängig machen. Anders als reale Farbe, die sich nur schwer von der Leinwand entfernen lässt, reicht dem routinierten Nutzer eine Tastenkombination, um das Füllen einer Fläche rückgängig zu machen und sich bspw. für ein blasses Orange statt für ein kräftiges Rot zu entscheiden. Dennoch folgt die einzelne Handlung (selbst wenn sie rückgängig gemacht und durch eine andere ersetzt wird) einem Plan, einer Idee, selbst wenn dies nur die unbewusste Ahnung ist, dass die eine Farbe an der gewählten Stelle besser wirkt als eine andere. Ein solcher Vorgang ist bereits Ausdruck, keine bloße Auswahl, ein solcher Vorgang ist expressiv und beinhaltet bewusste (und unbewusste) Motive, die in dem Werk realisiert werden. Die Schaffung, die Realisierung eines Kunstwerkes aber ist nichts als eine Kette solcher Entscheidungen und natürlich beinhaltet auch sie zufällige Elemente (wie bspw. die Farbe, die verfügbar war), aber sie ist dennoch immer Realisierung eines – wie auch immer gearteten – Plans. Sie kann nicht zufällig sein und erfüllt zumindest diese eine notwendige Bedingung, um Kunstwerk sein zu können.


So gesehen ist das, was gemeinhin als „K.I.-Kunst“ verstanden wird, immer eine Fälschung, weil sie vorgibt etwas zu sein, was sie nicht ist, auch wenn sie einem echten Kunstwerk zum Verwechseln ähnlich sieht, weil sie eben Reproduktion und Original zugleich ist. Wie ein Potemkinsches Dorf verweist sie auf etwas, das gar nicht da ist, sie ist nur Fassade.


Der Nutzer, der eine Künstliche Intelligenz auffordert, eine bestimmte Fläche mit einem blassen Orange zu versehen, wählt diese Farbe ja nicht aus, sondern er entscheidet sich für einen von potentiell unendlich vielen Vorschlägen. Selbst wenn diese im Verlauf der Editierung immer feiner justierbar sind (bspw. die Künstliche Intelligenz aufgefordert wird, etwas noch „blasser“ zu machen), ändert dies nichts an dem grundsätzlichen Prinzip von Zufall und Auswahl, das sich nicht mit der Realisierung einer Idee, eines Motivs, eines Kunstwerks gleichsetzen lässt.


Nun kann man über eine solche theoretische Dimension von Kunst und Rezeption schmunzeln, die einen im ganz normalen Leben ja gar nicht stört. Viele kümmert es wohl nicht, dass ein Musikstück nicht von einem Menschen komponiert wurde, solange es denn gut klingt und somit seine Funktion als Konsumobjekt erfüllen kann. Das ist unbestritten:


Künstliche Intelligenz mag unfähig sein, ein Kunstwerk zu erstellen, aber sie kann (und mit ihrer Hilfe können) hervorragende (und potentiell immer besser werdende) Konsumprodukte erstellt werden.


Hier aber wird ein weiteres Problem sichtbar, das ja für Marx bereits auf den Schuh zutraf. In einer Welt, die erst einmal ganz grundsätzlich an den meisten Orten nach kapitalistischen Prinzipien funktioniert, ist das Kunstwerk (sofern es denn einem Publikum präsentiert werden soll) nämlich auch immer gleichzeitig Konsumprodukt und in diesem Sinne auch Ware, deren Produzenten – so frei sie als Künstler auch sein mögen – mit anderen Produzenten um Aufmerksamkeit konkurrieren.


In diesem Konkurrenzverhältnis aber ist der Künstler der K.I. hoffnungslos unterlegen, die in Sekundenschnelle eine Fortsetzung des Emiles (oder der Bibel) schreiben kann, die nie schlafen oder essen muss, nie an ihrem Werk zweifelt oder eine Schreibblockade hat und die ihr endloses Spiel aus Reproduktion und Produktion, aus andauernder Fälschung, bis in die Ewigkeit fortsetzen kann.


So gesehen ist es nur eine Frage der Zeit, bis irgendwann schlicht keine Künstler mehr notwendig sind, um vermeintliche Kunst konsumieren zu können. Dies heißt nicht, dass es keine Künstler mehr geben wird (denn der Mensch muss sich ausdrücken, um Mensch zu sein), aber es wird sich eben niemand mehr für sie interessieren, der Künstler wird nicht mehr rezipiert werden, weil seine Kunst in der Produktsphäre zumindest quantitativ nicht mehr mit der Fälschung mithalten kann. Der Kunst (und damit dem Künstler) wird somit langfristig der Resonanzkörper genommen, weil ihre Töne in dem stetigen weißen Rauschen der überall und jederzeit verfügbaren Konsumprodukte untergehen und damit verschwinden müssen. Das ist wohl keine gänzlich neue Entwicklung, aber die schiere Masse der permanent generierten Fälschungen macht es notwendigerweise immer unwahrscheinlicher, dass das Kunstwerk eines einzelnen Künstlers noch ein Publikum findet.


Dieser Prozess scheint ebenso gewiss wie unaufhaltbar und während sich die Menschheit als solche wohl niemals bewusst dazu entschieden hätte, die Kunst (und mit ihr die Künstler) aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verdrängen und durch bloße maschinengenerierte Unterhaltung zu ersetzen, reichen für einen solchen Vorgang die vielen einzelnen Fälscher aus, die sich gerade aus egozentrischen Interessen heraus der neuen Technik bedienen und Sekunde um Sekunde Tausende ihrer vermeintlichen Kreationen dem kulturellen Gedächtnis hinzufügen. Im Verbund mit dem technischen Fortschritt werden diese gemeinsam mit den konsumierenden Massen die Kunst nachhaltiger zerstören, als dies vorausgegangen Jahrhunderten (bspw. durch Zensur oder die Verfolgung bestimmter Künstler) gelingen konnte. Während die schiere Menge an konsumierbaren Kunstprodukten nun immer weiter steigt, wird die tatsächliche Kunst (als Ausdruck realer menschlicher Individuen) recht laut- und protestlos aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden. Authentische (im Sinne von zweifelsfrei echte) Kunstwerke können dann nur noch jene sein, die vor der Zeit ihrer technischen Produzierbarkeit entstanden sind. Zumindest Benjamin kann man dann noch immer mit gutem Gewissen lesen.







1Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936)

2Der Begriff „Gefallen“ rekurriert hier nicht auf eine ästhetische Dimension sondern meint vielmehr nur, dass der erzeugte Vorschlag dem Nutzer dahingehend gefällt, dass dieser eine bestimmte Funktion, die der Nutzer für sein Produkt vorgesehen hat, erfüllt.




Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Dass man Benjamin noch immer mit guten Gewissen lesen kann, gilt im Sinne der Ausführungen ausschließlich für Texte, die bereits publiziert und deren Echtheit damit verbürgt ist, würde aber bspw. nicht für ein neu entdecktes, bislang unveröffentlichtes Fragment gelten.

Einen Sonderfall im Sinne der obigen Ausführungen stellen Kunstwerke dar, welche die Physis des Künstlers benötigen, um sich realisieren zu lassen und die gleichzeitig durch ihre Unmittelbarkeit direkt – live – vom Rezipienten erfahren werden. Diese lassen sich wohl (noch) nicht fälschen. Eine Künstliche Intelligenz kann ein Drama schreiben, aber sie kann es (noch) nicht aufführen. Sie kann einen Song schreiben, aber sie kann ihn (noch) nicht live „performen“, zumindest (noch) nicht in Gestalt eines Menschen, den man nicht nur sehen, sondern auch anfassen oder riechen, mit dem man interagieren kann. Hier ist es gewissermaßen (noch) die Leibhaftigkeit, die für die Echtheit des Kunstwerks bürgt.

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Kommentare zu diesem Text


 FrankReich (27.04.24, 14:50)
Die Ununterscheidbarkeit von Kunstwerk und der (K.I.-generierten) Fälschung muss beim kritischen Betrachter notwendigerweise zu einem Generalverdacht gegen die Kunst führen.

Zunächst einmal hieße das im Umkehrschluss doch, dass eine durch einen Menschen inszenierte Fälschung durchaus Kunst darstellt, ich hätte da Kujau als Beispiel anzubieten, was demnach auch logisch ist, denn so etwas hat beileibe nicht jeder drauf, jedoch muss es sich bei einer computergenerierten Schöpfung auch nicht unbedingt um eine Fälschung handeln, ein Programm dürfte mittlerweile längst in die Lage gesetzt sein, aus Vorgaben und Anleitungen durchaus etwas eigenes, zumindest in der Form noch nie Dagewesenes zu schaffen, das sowohl Zustimmung als auch Ablehnung hervorrufen kann, insgesamt bin ich daher der Überzeugung, dass Kunst im Auge des Betrachters liegt, völlig egal, ob es sich dabei nun um ein Original oder eine Fälschung handelt und ebenso gleichgültig ist es mir deshalb auch, ob es sich beim Künstler um ein Lebewesen, einen Menschen oder halt eine K. I. handelt, also ob Bewusstsein dahintersteckt, zum Beispiel empfinde ich auch vereinzelt Wolkenformationen als Kunst, nämlich dann, wenn sie mir gefallen. 😉

Ciao, Frank

 autoralexanderschwarz meinte dazu am 28.04.24 um 12:21:
Ich würde erst einmal sagen, dass der Umkehrschluss nicht zwingend ist. Menschliche Fälschungen können aber müssen keine Kunstwerke sein. Sie erfüllen gewissermaßen eine notwendige Bedingung dafür (weil sie von Menschen gemacht wurden). Ob diese auch hinreichend ist, hängt wiederum (wie du ja auch schreibst) am Kunstbegriff, den man vertritt. Für mich sind in diesem Sinne Wolkenformationen (so schön sie auch sein können) keine Kunst (sondern eben Natur), solange man nicht die Position vertritt, dass sich in ihnen der Plan eines großen Künstlers (eines Schöpfergottes) realisiert.

 Augustus (27.04.24, 15:15)
Formel: „Kunst ist alles was gefällt“ 

Und da Gefallen an ein Subjekt geknöpft ist, kann der Geschmack immer nur subjektiver Art sein. 

Anders würde ich den Wert der Kunst betrachten. Man könnte die Zeit als Wertkriterium hinzunehmen und sagen: je älter ein Kunstwerk ist, umso wertvoller ist es. 

Allerdings wird die obige Formel verletzt, wenn das Kunstwerk einem subjektiv nicht gefällt. 

Dann hat das Kunstwerk andere Gründe als „Gefallen“ für das Subjekt. Das Subjekt gefällt sich selbst im anerkannten Wert des Kunstwerks durch andere. Daraus wird eine andere Art des „Gefallens“ durch die Kunst erzielt. 

Ich stelle es mir gleich so vor. Wenn die Kunst gefällt, dann bescheint die Sonne einen direkt. Gefällt der Wert der Kunst durch andere, so bescheint einen das Licht des Mondes, während den Mond das Licht der Sonne beleuchtet. 

In beiden Fällen glänzt man in einem leuchten, gleichwohl es zwei verschiedener Quellen entrspingt. 

Daher kann mit gutem Gewissen auch günstige Kunst, die gefällt, für ein Subjekt Kunst sein, mag sie von wem oder was auch immer kommen.

 FrankReich antwortete darauf am 27.04.24 um 15:36:
Also mir gefällt so manches Mädel verdammt gut, als Kunst würde ich es dennoch besser nicht bezeichnen. 👋😂

Antwort geändert am 27.04.2024 um 15:39 Uhr

 Pensionstarifklempner (28.04.24, 01:42)
Hochinteressante Überlegungen. Bisher ging ich davon aus : Kunst ist eine besondere Form menschlicher Tätigkeit. ( Wer ruft die KI auf, in die Kunst zu gehen?)
Nach den Stockholmer Protokollen ist im Theater der Zuschauer der primäre Spieler ( Behauptet Manfred Wegwerth in seiner Dissertation)
Nachdenkenswert !!!!!
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