Löwenzahn (Reminiszenz)

Aus Gänseblümchen, Hafer und Löwenzahn bastelte ich mir einen Kranz für den Kopf, saß im hohen Gras und war Prinzessin, die Finger klebten, die Seele war glücklich. Stundenlang sich selbst überlassen, träumte ich vor mich hin, ließ Marienkäfer auf meinen Fingern kreisen, zählte die Punkte, lächelte über Schmetterlinge, ließ mich von Ameisen besiedeln und freute mich über Feldhamster, die sich kurz hervortrauten. 

Traurig beobachte ich meine Nichte, die stundenlang in ihr Telefon starrt, nie in der Wiese sitzt, sich schnell langweilt und immer bespaßt werden muss. Die Zeiten ändern sich. Ich schickte ihr ein schlechtes Foto meines Marders, besser ging es nicht, sie schrieb "Lieb!" zurück. Später sagte ich ihr, sie müsse nur die Augen öffnen, dann sieht sie die kleinen Dinge, die bleiben werden. Sie sagte: "Hmm" und sah wieder auf den Bildschirm ihres Telefons. 

Nein, früher war nicht alles besser, das ist Humbug, es war schöner. Es gab noch mehr freie Flächen, unversiegelt, wir stahlen Äpfel aus Nachbars Garten, spielten Federball hinter dem Haus, träumten mehr, lernten, mit sich selbst genügsam sein, konnten stundenlang Vögel beobachten und ich versank im "Trotzkopf", sah Oma zu als sie grüne Bohnen (Fisolen) schnitt, nachher diese mit Knödel und Rahm. Herrlich. Omas Knödel! Sie kommen nie wieder. 

Die Beobachtungen, die Raupe wird zum Schmetterling, der Fuchs raschelt durch das hohe Gras in der Nacht, ein Dachs in Prohaskas Garten, zwei Katzen raufen, ein Igel im Blätterhaufen, der Vollmond, eine Eidechse an der Hausmauer, ... , all das hätte ich nie mit Telefon in der Hand gesehen, all das blieb im Gedächtnis bis heute.