Seitenwechsel

Kurzprosa

von  BeBa

In der letzten Zeit hatte er das Gefühl, dass ihm die Leute auf der Straße auswichen. Seit einigen Tagen schon, es war ihm zunächst gar nicht bewusst gewesen. Er lief durch die Geschäftsstraßen, als plötzlich ein entgegenkommender älterer Herr die Straßenseite wechselte. Zunächst dachte er sich nichts dabei, doch bei diesem einen an sich harmlosen Ereignis blieb es nicht. Minuten später war es eine junge Frau, die vor ihm einen Haken schlug und auf die andere Seite eilte. Was ist denn heute mit den Leuten los, wunderte er sich.


Als sich am nächsten Tag das Gleiche immer weiter häufte, begann er die Sache ernster zu nehmen. Das konnte doch kein Zufall sein. Er begann, die fliehenden Passanten zu beobachten und stellte mit Erstaunen fest, dass all diese Leute, gerade noch fast panisch vor ihm geflohen, auf der anderen Seite in aller Seelenruhe ihren Weg fortsetzten, als wäre nichts geschehen. Sie würdigten ihn nicht einmal mehr eines Blickes.


Dann allerdings, wenige Tage später, spitzte sich die Lage weiter zu. Niemand benutzte mehr seine Seite, so als wäre sie gesperrt oder gar nicht vorhanden. Das wurde ihm zu bunt und er trat ebenfalls auf die andere Seite. Prompt ging ihm der ganze entgegenkommende Menschenstrom wiederum aus dem Weg.


Jetzt, da ihm das alles doch zu merkwürdig vorkam, blieb er stehen und aus Verzweiflung oder Eingebung wandte er sich um. Nicht zu glauben, was er sah: Hinter ihm standen viele, zahllose Menschen, verharrten hinter ihm. Er ahnte, worauf sie warteten, drehte sich um und wandte ihnen wieder den Rücken zu. Lief einige Meter, blieb stehen und blickte zurück. All die Passanten waren ihm gefolgt, und warteten jetzt wieder, wie erstarrt. Er schaute sie an, behielt sie im Blick, während er nun ein paar Schritte rückwärts lief, auf sie zu. Sie wichen vor ihm zurück, jedoch ohne vor ihm auf die andere Straßenseite zu flüchten. Das gefiel ihm, gab ihm Sicherheit.


Einen Moment atmete er durch, dann spazierte er los, ohne Ziel, aber glücklich durch die Stadt. Entspannt, als wäre nun alles wieder in der schönsten Ordnung. Bald vergaß er dabei sogar die vielen Menschen, die ihm wohl immer noch folgten.


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Kommentare zu diesem Text


 Jedermann (29.06.24, 12:32)
kafkaesk

 AchterZwerg meinte dazu am 29.06.24 um 12:59:
Stimmpt! :)

 BeBa antwortete darauf am 30.06.24 um 00:33:
Das kann nie ein Makel sein.  ;)

Danke euch und LG
BeBa
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