Übersetzers Leid

Kurzprosa zum Thema Andere Kulturen

von  Regina

Nicht für jeden Ausdruck gibt es eine genaue Übersetzung. Für die deutsche Bezeichnung “Spießer” z.B. verwendet das Englische das französische Wort “bourgeois”. Ein Bourgeois aber bezeichnete ursprünglich einen Großgrundbesitzer, einen Feudalherren, der auf Kosten seiner von ihm abhängigen Bauern einen üppigen Lebensstil pflegt. Das kann durchaus ein großzügiger und gastfreundlicher Herr mit einem exklusiven Geschmack sein, dem man nicht per se Geist und Witz abspricht. 

Der deutsche Spießer hingegen gehört weder zu den Reichen noch zu einer ärmlichen Bevölkerungsschicht. Er lebt im Mittelstand, bewohnt meistens eine Mietswohnung und geht einer geregelten Arbeit nach, etwa in einem Büro. Auch die konservative Hausfrauenehe gehört in vielen Fällen zu seinen Merkmalen. Durchschnittlichkeit zeichnet seinen Stil und auch seinen Geschmack in jeder Hinsicht aus. 

Ins Auge springt aber vor allem sein Verhalten den Mitmenschen gegenüber. Schlecht gelaunt achtet er auf peinliche Ordnung, die alle einzuhalten haben. Die Mittagsruhe, das vorschriftsmäßige Abstellen von Fahrrädern und Kinderwägen sowie die Hausordnung stehen auf seiner Überprüfungsliste, mit der er oder auch sie, die Spießerin, den Nachbarn bärbeißig auf die Nerven geht. 

Möglich, dass Menschen mit solchen Charakterzügen in Großbritannien und Frankreich weniger verbreitet sind. Dort werden kleinere Schlampereien im Alltag eher geflissentlich übersehen. Allerdings sollte man in Frankreich seine Unterwäsche aus ästhetischen Gründen nicht für alle sichtbar im Wind baumeln lassen, was in Deutschland keinen stört, sondern man sollte diese Reizwäsche diskret verstecken. C’est affreux. 

Da ich keine bessere Übersetzung finde, schreibe ich also wider besseres Wissen “bourgeois” in den englischen oder französischen Text. Kompromisse sind angesagt, wo eine genaue Übertragung unmöglich erscheint. Wer die keifenden Spießer kennenlernen will, muss eine Zeit lang in Deutschland verbringen. 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (08.07.24, 12:42)
Nicht umsonst sind gute übersetzter gefragt. Allerdings gewinnt die KI immer mehr an Bedeutung, wenn’s schnell gehen muss. Es gibt Programme, die sind mittlerweile weit fortgeschritten. Allerdings können die Programme nicht stilistisch genutzt versetzten. Darin liegt die große Kunst eines Übersetzers, den Stil des Autor lebendig in der fremden Sprache zu übertragen.

 Regina meinte dazu am 08.07.24 um 18:38:
Nun, manchmal ist das eine Kunst der Kompromisse.

 niemand (08.07.24, 12:46)
Hoch lebe das ewige Klischee. Der böse und keifende deutsche Spießer
und der großzügige Franzose  :( Wrenn das nicht so weltfremd wäre, könnte ich noch lachen. Die Welt besteht aus Grüppchen und jedes Grüppchen kocht sein Süppchen, nur die Zutaten sind/können anders sein. Jedes Grüppchen kennt nur die Anerkennung Seinesgleichen, die Beweihräucherung der eigenen gesellschaftlichen Art. Und schlecht gelaunte Fressen sehe ich jeden Tag und zwar in allen Schichten und blödes Verhalten ebenso und Arroganz und Selbstüberschätzung zieht sich auch durch alle und zwar bedingungslos.
Nee, das Klischee vom deutschen Spießer kann ich nicht mehr hören.
LG niemand

 Regina antwortete darauf am 08.07.24 um 18:27:
Wie viele Spießer es doch gibt!

Antwort geändert am 08.07.2024 um 18:34 Uhr

 AZU20 (08.07.24, 12:52)
Da fällt mir auch nichts Besseres ein. LG

 Teo (08.07.24, 12:56)
Ja Regina,
dieses Etikett ankleben nervt.
Der spießige Deutsche, der gesellige Franzose, der familienfreundliche Italiener. Wie oben schon gelesen...es gibt unterschiedliche Menschen.

 Regina schrieb daraufhin am 08.07.24 um 18:35:
Wenn jetzt noch einer mit derselben Art von Kritik daherkommt, fühle ich mich glatt wie beim Spießroutenlaufen!

 Teo äußerte darauf am 08.07.24 um 20:16:
Ach Regina, hier will dir doch keiner was!Ich denke, niemand hat es robust benannt. Die Klischeereiterei geht mir aber auch quer. Wie gesagt....unsere Meinung, mehr nicht.

 Regina ergänzte dazu am 08.07.24 um 22:06:
Ich weiß, dass jetzt Ausländerkriminalität das Thema des Tages ist.

 Teo meinte dazu am 08.07.24 um 22:09:
Nein, das bleibt Thema des Jahres.
Sekrotas (68)
(08.07.24, 14:18)
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 Regina meinte dazu am 08.07.24 um 18:32:
Besserwisser, deine Ausdrücke treffen auch nicht genau den Ausdruck Spießbürger, der von einer mittelalterlichen Strafe herrührt, dem Spießroutenlaufen.
Sekrotas (68) meinte dazu am 08.07.24 um 18:57:
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 Regina meinte dazu am 08.07.24 um 22:05:
Soweit ich weiß, gab es eine Strafe, das Spießrutenlaufen, wo einer an einer Reihe von Leuten, den Spießbürgern, entlanglaufen musste, die das Recht hatten, auf ihn einzustechen. 
Bourgeois trifft diese Aggressivität meiner Meinung nach nicht, auch nicht mit petit. Nicht jeder Kleinbürger ist ein Spießbürger, abgekürzt Spießer.
Sekrotas (68) meinte dazu am 10.07.24 um 17:22:
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