Der Schachmeister

Ansprache zum Thema Leben/Tod

von  Regina

Er nimmt nicht an Turnieren teil und trägt nicht einen der berühmten Namen der Schachweltmeister. Aber er ist dein härtester Gegner. Manchmal setzt er jemanden wie beim Blitzschach in kürzester Zeit matt. In vielen Fällen aber lässt er sich Zeit. Jeder seiner Züge schwächt dich.  

Mal hat er es auf deine Beine abgesehen, so dass sie lahmen und du wie einst ein leibeigener Bauer an deinen Wohnort gefesselt bleibst, wo du nunmehr auf Krücken mühsam durch den Ort torkelst. So schränkt er dir die Begierde der Wander- und Reiselust enorm ein und du musst feststellen, dass es gar nicht mehr so wichtig erscheint, Venedig, Athen oder Paris noch in diesem Leben zu besichtigen. Nach den Beinen beehrt er dich womöglich mit Arthrose der Hände, so dass du nun auch deine handwerklichen Fertigkeiten aufgeben musst, mit deren Hilfe du dich so freudevoll mit Formen und Farben beschäftigt hast. Doch du überlebst, ohne diesen Lüsten weiter zu frönen. 

Als Single magst du dich fragen, ob du diese Rippe überhaupt jemals besessen hast, aus der der Gottvater einst eine Gefährtin für dich plastiziert haben soll. Wenn sie aber seit jungen Jahren mit dir in einer Beziehung lebt und deine Wollust und Gier nach Reichtum teilt, mag es sein, dass du jetzt ungläubig morgens auf die abgemagerte Brillenschlange blickst und dich fragst, ob der Biblische sich da in der Auswahl nicht geirrt haben mag, vor allem, wenn sie anders als früher anfängt, über Rückenschmerzen zu lamentieren, sobald sie einen Kehrbesen vom Haken nimmt. 

Bei dem netten Mädel, das nunmehr euren Seniorenhaushalt gelegentlich unterstützt, kannst du jetzt auch nicht mehr landen. Sie hat dich in der Blütezeit deiner Herzensbrecherkünste nicht erlebt und dein einst charmantes Lächeln wirkt auf sie wie ein tattrig zahnarmes Grinsen, weil der Dentist dein Vollgebiss noch nicht ganz fertiggestellt hat. 

Freilich stuft dich die Behörde als arbeitsunfähig ein und die Erkenntnis, dass der Sozialstaat eine nützliche Einrichtung sei, nicht nur dazu da, hintergangen und mit allerlei Tricks übertölpelt zu werden, hat mindestens genauso lange auf dich gewartet wie einst die Mutter deines ersten Kindes, der du nach ihrer Empfängnis den Stinkefinger gezeigt hast. Sie hasst und verflucht dich seither täglich, zumal du auch noch mit ihrem Geld getürmt bist. Aber rückschauende Reflexionen auf die möglichen karmischen Folgen derartigen Frevels verlegen selbst erfahrene Todes- und Karmaforscher ins Jenseits. Sie sind deinem Selbstbild vorläufig nicht zuzumuten.

Ein weiterer deiner sogenannten Erfolge besteht darin, dass dein jüngster Sohn an einer drogeninduzierten Psychose leidet und seine Zeit vorläufig in einer psychiatrischen Klinik verbringt, während deine Tochter sich mit Alkohol und Zigarettenrauch zudröhnt. Durch dein übles Vorbild und deine erzieherische Unfähigkeit hast du es versäumt, diesen Kindern Mäßigung beizubringen. 

Trotzdem willst du, fast schon endgültig matt, weil dein Schachgegner es nunmehr so nach und nach auf dein Gehirn abgesehen hat, im Brustton der Überzeugung deiner Selbstüberschätzung die Welt noch immer mit einem Lebenserklärungssystem belasten und langweilen, das ein anderer entwickelt hat und das du selber noch nie richtig verstanden hast.  
Aber du hast keine Chance, wenn dein Gegner zum letzten Schachzug ansetzt. 

Dein Arzt mag ja sein Bestes geben und dir allerhand Pülverchen, Spritzen und Pillen verabreichen, aber auch der grausame Gevatter Tod wird vielerlei tun, nur eines nicht: dein aufgeblasenes Ego fördern und bestätigen. Dessen Ende hat er sich nämlich auf die Fahnen geschrieben. 

 



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (09.07.24, 23:07)
Die Anmerkung ließe ich weg. Ich fürchte, sie ist ironisch und kränkt dadurch noch mehr. So jedenfalls meine Vermutung.

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 03:25:
Ich habe die Anregung mal aufgenommen. Wer allerdings sich mit allen Teilen des  Textes identifizieren sollte, weiß ich nicht.
Wird das Ego durch den langsam herbeischleichenden Tod gekränkt oder krankt es an der Nichtannahme der Realität seiner aufkommenden Schwäche?

Antwort geändert am 10.07.2024 um 03:58 Uhr

 Dieter_Rotmund (10.07.24, 09:11)
Alles sauber formuliert, ist mir aber inhaltlich zu verbittert und irgendwie ist es auch nur ein Empörungstext. Der Anfang ist noch gut, schön metaphorisch, aber dann wird es unangenehm misogyn, finde ich.

 Regina antwortete darauf am 10.07.24 um 10:21:
Verwundert lese ich diesen Kommentar.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 10.07.24 um 10:36:

dass du jetzt ungläubig morgens auf die abgemagerte Brillenschlange blickst und dich fragst, ob der Biblische sich da in der Auswahl nicht geirrt haben mag, vor allem, wenn sie anders als früher anfängt, über Rückenschmerzen zu lamentieren, sobald sie einen Kehrbesen vom Haken nimmt.



Naja, wenn das nicht verbittert-misogyn ist, dann weiß ich auch nicht..

 Regina äußerte darauf am 10.07.24 um 10:52:
Da ist aber der eine Satz aus dem Kontext genommen. Insgesamt aber versetzt sich der Text in das Ego eines Mannes, der sein Schwächerwerden im Angesicht des sich einschleichenden Todes nicht annehmen will und dieses Ego kannst du wohl als frauenfeindlich oder auch verbittert bezeichnen. 
Die Sicht der Frauen selber wird insoweit thematisiert, als sich ihre Handlungen und Befindlichkeiten auf ihn auswirken.
Also, "männerfeindlich" hätte ich da noch eher verstanden, wobei der Prot. ein Individuum ist, nicht jeder Mann hat sich in der Rückschau in seinem Leben so verhalten und auf die meisten treffen nicht alle Punkte zu.

Antwort geändert am 10.07.2024 um 10:54 Uhr

Antwort geändert am 10.07.2024 um 11:04 Uhr

Antwort geändert am 10.07.2024 um 11:05 Uhr

 Augustus (10.07.24, 12:13)
Eigentlich wirken die Naturgesetze und die Materie verliert ihre Stabilität, sodass dies zum Zerfall und all seinen damit verbundenen Nebenerscheinungen des Körpers führt. Wir sind nunmal leider nicht aus Platin oder Diamant gemacht. Die elektromagnetischen und chemischen Vorgänge im Gehirn bedürfen wohl einer bestimmten organischen Materials, damit Gedanken produziert werden können. Die Lebensdauer dieses Materials, wenn man es für diese Zwecke erschafft, ist ca. ein Jahrhundert stabil.  

Der Tod ist der Punkt, an dem die organische Materie das Bewusstsein nicht mehr stabil halten kann.

Was hat es in der Geschichte nicht für (wahnsinnige) Versuche gegeben das Körpermaterial langlebiger zu halten. Es wurde das frische Blut von Babys und Kinder getrunken: Fleisch von jungen Menschen von Kannibalen gegessen, mit Blut von Jungfrauen eingeschmiert. 
Natürlich alles vergeblich; aber dieser Wunsch nach Langlebigkeit schuf auch Legenden; Graf dracula, Vampire usw.

Kommentar geändert am 10.07.2024 um 12:17 Uhr

 Regina ergänzte dazu am 10.07.24 um 12:20:
So sehe ich das auch. Es macht keinen Sinn, sich zu wehren.
Starke Egos versuchen dies dennoch.

Antwort geändert am 10.07.2024 um 12:22 Uhr

 AZU20 (10.07.24, 16:59)
Ist es wirklich so? LG

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 18:03:
Es kann so kommen, AZU, Allgemeingültigkeit beansprucht der Text nicht.

 EkkehartMittelberg (10.07.24, 18:55)
Es muss sich keiner eingestehen, dieser Unbelehrbare zu sein. Ich finde die Metaphorik des Textes präzise treffend.

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 19:55:
Ein Unbelehrbarer reflektiert nicht, deshalb wird er auch nichts eingestehen.
Sekrotas (68)
(10.07.24, 19:17)
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 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 19:56:
Dann müsste ich den Satz vllt. etwas umformulieren.

 hehnerdreck (10.07.24, 19:48)
Gefällt mir sehr gut. Bin beeindruckt hoch drei. Ekkis Kommentar teile ich. Ich glaube, vom Verhalten her gewisse Ähnlichkeiten mit jemandem zu erkennen, den Du aber nicht eins zu eins beschrieben hast. Ansonsten hoffe ich sehr für Dich, dass Du solche Männer, wie Du sie hier beschrieben hast, in Deinem Leben nicht näher kennengelernt hast, denn das wäre, fürchte ich, sehr schwer verdaulich.

 Regina meinte dazu am 10.07.24 um 19:57:
Es freut mich, dass dir der Text gefällt.
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