Kunsttod

Kommentar zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch

von  Klemm

Ja, das waren noch Zeiten, als hier die Bukowski-Nachäffer hohläugig und höhnisch mit leeren Flaschen gegen die mit Jambus und Kreuzreim bewaffneten Naturbedichter zogen und beide zusammen gegen die, die formlos, orthographieohnmächtig verketteten, was privat so auf sie einprasselte, weil bestenfalls keine Kunst, schlimmstenfalls sogar Kitsch. Aber die wie eine Übersetzung aus dem Amerikanischen Englisch quasselnden Straßenslanger und die goethlichen, schillernden Kreuzreimritter eigentlich auch nur so same shit, different name, sich an eine Form klammern, die es schon gibt, und dann behaupten: das ist Abstand, also Kunst. Heißt: Abstand vollkommen falsch verstanden. Abstand vom Gefühls- oder Erlebnisgegenstand bei gleichzeitiger Formklammerei ist sich hinter Reproduktionen zu verstecken, nicht nur Formreproduktion, sondern gleich Gefühlsreproduktion, also Fake. Kannst du auch Chat-GPT machen lassen. Kunst: nicht Abbildung oder Bebilderung, wie in diesem Forum gern behauptet. Kunst: Schöpfung. Kunst: Bäuche aufreißen und Eingeweide rauszerren, Angst und Wut und Verzweiflung so anrichten, dass andere sie schlucken, aber jetzt nicht, indem du sie abmilderst und versteckst, in einen Schleier Natur oder Kneipe hüllst, das wiederum nur Vorabendserie.

 

Ja, das waren noch Zeiten, auch schon ziemlich schlechte Zeiten für die Kunst und ein ziemlich schlimmer Kunstdiskurs, weil so viel echte Verzweiflung in der Welt und in den Einzelnen, unerschöpfliches, authentisches Material menschlichen Scheiterns, das geformt werden will, aber ein Diskurs, der sich auf ein Gerangel beschränkt: welche Form das bessere Versteck und besseres Versteck: höheres Ansehen, also wieder nur sozialer Machtkampf, sprich: spätkapitalistische Selbstinszenierung. Aber nicht ästhetisch kommensurabel gemacht, sondern untereinander ausgelebt. Heißt: das Werk, Blumengedicht oder Säuferballade ist nur Button zum ans Revers heften, der stellvertretend brüllt: ich bin besser als Nabelschau. Und das natürlich auch eine Nabelschau, aber nur eine soziale, keine emotionale, also noch peinlicher, weil nirgends scheint die emotionale Schwäche so grell hervor wie aus dem, der sie hinter einem Wert versteckt, den er mit Stellvertreterzeugs beweisen will.

 

Problem immer: Persönlichkeit vor Werk. Lob- und Scheltereproduktion an Person hängen und Werk in Abhängigkeit von Persönlichkeit deuten. Glatter Kunsttod.

 

Aber die Zeit heute, vollkommenes Diskursdesaster. Heute: Reaktion als Rebellion verkaufen. Völkischen Autoritarismus als Freiheit. Heute: Random Verschwörungsmythen als Buttons tragen und Anspruch auf Gleichwertigkeit mit Promotion erheben.

 

Schlimmer nur noch: vollkommene Verstummung.


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (14.10.24, 13:54)
So neu ist das ja nun nicht. Schon alter Tucholsky:


 Klemm meinte dazu am 14.10.24 um 14:04:
Tucholsky auch: es gibt keinen Neuschnee, das darf dich nicht entmutigen.

 Graeculus antwortete darauf am 14.10.24 um 14:04:
Ich hoffe, daß die Bundesrepublik nicht ebenso scheitert wie die Weimarer Republik, was zu Tucholskys Resignation und Suizid geführt hat.

 Klemm schrieb daraufhin am 14.10.24 um 14:11:
Die Chancen stehen gut für eine Wiederholung, nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für ganz Europa. Letzte Chance vor dem Suizid: die Wiederholung im Sinne Kierkegaards.

 Graeculus äußerte darauf am 14.10.24 um 14:37:
Ob die Prädikate "gruselig" und "profan" von denselben Leuten vergeben worden sind, die sich darüber so aufregen, wenn es sie selbst trifft?

 Graeculus ergänzte dazu am 14.10.24 um 14:39:
Es ist schade, daß eingefügte Bilder die Startseite dermaßen verschandeln. Ob der Webmaster das abstellen kann?

 Klemm meinte dazu am 14.10.24 um 15:06:
Wird schon gleich jmd. einen Kommentar für die Startseite schreiben. 


Ob die Prädikate "gruselig" und "profan" von denselben Leuten vergeben worden sind, die sich darüber so aufregen, wenn es sie selbst trifft?

Möglich. Ist aber genauso egal wie die Prädikate selbst...

 AchterZwerg (14.10.24, 16:44)
Ja, Klemm,

schlechte Zeiten für die Kunst.
Derzeit müssen viele kleine Theater und Galerien schließen - es gibt keine Zuschüsse mehr oder sie werden so drastisch gekürzt, dass die Mitarbeiter nicht mehr gehalten werden können.
Lesungen werden kurzerhand gestrichen.

Aber klar: Die Erziehung zum kriegstüchtigen Deutschen kostet halt. Und schließlich muss bis in das fernste Afrika unsere Demokratie verteidigt werden ...

 Klemm meinte dazu am 14.10.24 um 16:59:
Ich sehe vor allem Erziehung zum konsumierungstüchtigen Bürger, Stichwort: Tittytainment, Gütesiegel: leicht verdaulich. Und natürlich: Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe und niemand stört sich dran.

 Augustus meinte dazu am 15.10.24 um 12:31:
Kunst wird es immer geben, weil in Kunst investiert wird. Kunst konserviert den Wert des Geldes zudem. Ein Kunstwerk ist also eine Geldanlage. Kunst ist aber heute nicht ausschließlich analog. Sie ist mittlerweile digital. In digitale Kunst wird nun vermehrt Geld investiert. Kein räume, keine Bilder, keine Materialien für Farben, sondern bloß Pixel sind dafür nötig. 
Was du beschreibst ist der analoge Tod der Kunst.

 Saira (14.10.24, 17:23)
Viele Menschen verkaufen Reaktionen auf gesellschaftliche Probleme als Kunst und Freiheit. In Wirklichkeit wiederholen sie nur alte, schädliche Ideen.
 
Kunst sollte einen Raum für echte Emotionen und Herausforderungen bieten, anstatt sie als bloßes Mittel zur Selbstdarstellung oder sozialen Macht zu nutzen.
 
Dein Kommentar ist ein leidenschaftlicher Aufruf, die wahre Essenz der Kunst zu erkennen und sich von oberflächlichen Trends und sozialen Machtspielen zu befreien.

Chapeu!
 
LG
Saira

 Klemm meinte dazu am 14.10.24 um 17:37:
Leidenschaftler Aufruf - ja. Bleibt nur die offene Frage nach dem Wie.

 Saira meinte dazu am 15.10.24 um 10:50:
In dem wir auf keinen Fall schweigen. Wir sollten kritisch lesen und oberflächliche Trends hinterfragen.
 

 Pensionstarifklempner (15.10.24, 00:27)
Friedrich Wolf - Kunst ist Waffe. Volkskunst ist Geheimwaffe.
Kriegskunst blüht bald wieder. Kommt und schaut auf die Kriegsschauplätze. Panzer- Ballett zur Musik der Stalinorgel. Kunstschützen treffen auch bei Theaterdonner. 
Ein Pferd, ein Königreich für Pferd.
Kriegsmüde ????

 Klemm meinte dazu am 15.10.24 um 01:19:
Volksmüde! :)

 S4SCH4 (16.10.24, 13:10)
"Problem immer" ist wohl eher: Aufgabe immer. Das es hier mit dem Tod endet ist schade. So s/w ist es oft nicht. Sollte es so sein, schieße derjenige/ diejenige ein paar Bilder. Apropos: Was mit dem Spruch ala "Kunst" wäre keine "Abbildung" oder "Bebilderung" gemeint sei, lasse ich mal dahingestellt. Auch ist sie nicht unbedingt Schöpfung. Zestörung, Reproduktion, Fabrikkation. 

Ein wenig zu deprimierend das Szenario, das wenig neue Luft in alte Zimmer bringt. 

Mir klingt das auch alles nach einem verkaterten Schöngeist der ein wenig mies drauf war und irgendwie seine "alte" Inspiration sucht. 

Gutes gelingen jedem Leser.
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