Wie schreibt man gute Lyrik? 1. Gottfried Benn
Essay zum Thema Kunst/ Künstler/ Kitsch
von EkkehartMittelberg
Kommentare zu diesem Text
Ich bin nun kein Lyriker, kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass Benn - ein gutes Stück weit pseudoargumentativ - sagen will: Früher war alles besser. Das wird besonders deutlich, wenn er Stilmittel kritisiert, gleichzeitig aber hervorhebt, das der oder jener gut mit ihnen umgegangen ist.
Außerdem sehe ich bei dabei das Grundproblem aller Literaturkritik: Kein Kritiker würde je sagen "Das gefällt mir nicht", denn dann würden seine geneigten Zuhörer/Zuleser ja merken, dass er vor allem eines hat: Eine Meinung! Und die ist womöglich nicht so objektiv und mit Argumenten unterfüttert, wie es scheinen mag.
Nicht das du mich falsch verstehst: Es gibt sicherlich schlechte Gedichte, so wie es auch schlechte Prosa gibt. Wenn aber z.B. einen Text schlecht findet, nur weil die Rechtschreibung grausig ist und einen gut findet, weil jedes Kommata sitzt und die Form stimmt, der hat - 'tschuldigung - den Schuss nicht gehört.
(Zur Rechtschreibung einmal eine Anmerkung: Große Verlage haben extra Abteilungen, die sich die geplanten Veröffentlichungen daraufhin ansehen. Die Rechtschreibprüfung ist ist keine originäre Aufgabe des Lektorierens!)
Eine Frage wegen dem 'Wie':
Was ist, wenn man aus dem "Mein Lied rollt wie Sonnengold" z.B. "Ein Lied von Sonnegold" macht?
Außerdem sehe ich bei dabei das Grundproblem aller Literaturkritik: Kein Kritiker würde je sagen "Das gefällt mir nicht", denn dann würden seine geneigten Zuhörer/Zuleser ja merken, dass er vor allem eines hat: Eine Meinung! Und die ist womöglich nicht so objektiv und mit Argumenten unterfüttert, wie es scheinen mag.
Nicht das du mich falsch verstehst: Es gibt sicherlich schlechte Gedichte, so wie es auch schlechte Prosa gibt. Wenn aber z.B. einen Text schlecht findet, nur weil die Rechtschreibung grausig ist und einen gut findet, weil jedes Kommata sitzt und die Form stimmt, der hat - 'tschuldigung - den Schuss nicht gehört.
(Zur Rechtschreibung einmal eine Anmerkung: Große Verlage haben extra Abteilungen, die sich die geplanten Veröffentlichungen daraufhin ansehen. Die Rechtschreibprüfung ist ist keine originäre Aufgabe des Lektorierens!)
Eine Frage wegen dem 'Wie':
Was ist, wenn man aus dem "Mein Lied rollt wie Sonnengold" z.B. "Ein Lied von Sonnegold" macht?
Deinem ersten kritischen Gedanken stimme ich zu: Benn bringt seine Thesen zu dem WIE und den Farben dadurch um ihre Wirkung, dass er sie gleich relativiert.
Bei deinem zweiten Gedanken würde ich streng zwischen Rechtschreibung und Form (Metrum, Rhythmus, Reim etc.) differenzieren. Schlechte Rechtschreibung/Zeichensetzung verändert die sensible Aussage eines Gedichts, Verstöße gegen die Form machen es ungenießbar.
Zu deiner Frage wegen dem WIE: Ich finde beide Versionen misslungen.
Bei deinem zweiten Gedanken würde ich streng zwischen Rechtschreibung und Form (Metrum, Rhythmus, Reim etc.) differenzieren. Schlechte Rechtschreibung/Zeichensetzung verändert die sensible Aussage eines Gedichts, Verstöße gegen die Form machen es ungenießbar.
Zu deiner Frage wegen dem WIE: Ich finde beide Versionen misslungen.
Noch einmal zur Rechtschreibung und Form:
Die kann man beim Bearbeiten in Ordnung bringen und wenn der Inhalt... ich sag mal: stimmig ist, lohnt sich dieser Aufwand sogar. Ein korrektes Gedicht, dessen Aussage gegen Null tendiert, kann man aber nur dem Lyrikfriedhof, auch Papierkorb genannt, übergeben.
Die kann man beim Bearbeiten in Ordnung bringen und wenn der Inhalt... ich sag mal: stimmig ist, lohnt sich dieser Aufwand sogar. Ein korrektes Gedicht, dessen Aussage gegen Null tendiert, kann man aber nur dem Lyrikfriedhof, auch Papierkorb genannt, übergeben.
Es gibt in der Lyrik keine korrekte Form ohne Inhalt. Sie sind eine untrennbare Einheit.
Benns Aspekte sind durchaus brauchbar, auch für die Analyse von Gedichten auf kv, weil viele von ihnen weit hinter die 50er Jahre zurückfallen und gar nicht erst in den Analysehorizont gelangen.
Lyrik unserer Tage kann kaum noch an Benns Aspekten oder Kriterien gemessen werden, weil diese nicht mehr relevant sind angesichts der komplexen Modi des Sagens, neuer Wörter, Themen und Strukturen.
So sehr ich Benns Gedichte liebe, so sehr befreie ich mich von den zeitgebundenen Ansichten des Dichters vor über 60 Jahren.
Nützlich bleibt aber, denke ich, die Kritik am WIE und am SERAPHISCHEN TON (heute oft pseudoliturgisch, oder neupathetisch).
Bin gespannt auf das zweite Kapitel (den zweiten Dichter) dieser interessanten Textreihe.
LG, Uli
Lyrik unserer Tage kann kaum noch an Benns Aspekten oder Kriterien gemessen werden, weil diese nicht mehr relevant sind angesichts der komplexen Modi des Sagens, neuer Wörter, Themen und Strukturen.
So sehr ich Benns Gedichte liebe, so sehr befreie ich mich von den zeitgebundenen Ansichten des Dichters vor über 60 Jahren.
Nützlich bleibt aber, denke ich, die Kritik am WIE und am SERAPHISCHEN TON (heute oft pseudoliturgisch, oder neupathetisch).
Bin gespannt auf das zweite Kapitel (den zweiten Dichter) dieser interessanten Textreihe.
LG, Uli
Grazie, Uli, ich stimme dir weitgehend zu und halte auch die Kriterien WIE und SERAPHISCHER TON für noch empfehlenswert.
Dieter Wal (58)
(21.09.13)
(21.09.13)
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Vielen Dank für deinen Kommentar zu diesem diffizilen Thema, Dieter. Ich meine jedoch, dass du mit Benn zu hart ins Gericht gegngen bist. Er hat versucht, Kriterien für die Qualität der subjektivsten literarischen Gattung zu finden. Dass ihm das nicht zufriedenstellend gelungen ist, ist weniger ihm als der Schwierigkeit der Aufgabe geschuldet.
Dennoch ist die Bemühung um Kriterien für die Bewertung von Lyrik unverzichtbar, wennn nicht jedes Urteil über ein Gedicht völlig beliebig sein soll.
Benn war eine Zeitlang bekennender Nazi, aber mir ist neu, dass sich das an seiner Sprache belegen lässt.
Dennoch ist die Bemühung um Kriterien für die Bewertung von Lyrik unverzichtbar, wennn nicht jedes Urteil über ein Gedicht völlig beliebig sein soll.
Benn war eine Zeitlang bekennender Nazi, aber mir ist neu, dass sich das an seiner Sprache belegen lässt.
Dieter Wal (58) meinte dazu am 21.09.13:
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Ich werde mich sehr gerne in der nächsten Woche bei dir melden, Dieter.
chichi† (80)
(21.09.13)
(21.09.13)
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Grazie, Gerda, auf diesen Text habe ich tatsächlich viel Zeit und Mühe verwandt.
LG
Ekki
LG
Ekki
nur zum punkt WIE: wie schon andere hier schreiben: er schränkt ein mit gegenbeispielen, wie rilke. JWG vergaß er völlig: "ich ging im walde so für mich hin ..." irma hat wohl zu viel benn gelesen. statt langer worte hier zu meinem kommi bei Niederschmetternd
eine zeitangabe, wann benn den text geschrieben hat, wäre hilfreich.
ps: "Niederschmetternd", nomen est omen.
eine zeitangabe, wann benn den text geschrieben hat, wäre hilfreich.
ps: "Niederschmetternd", nomen est omen.
Kannst du Gedanken lesen, Lothar? Irmas Vorbehalt gegenüber dem WIE hat mich auf die Idee gebracht, bei Benn nachzuschauen und diesen Text hier einzustellen.
Man wird noch mehr gelungene Vergleiche finden, nicht nur bei Goethe. Gleichwohl ist die Warnung Benns vor dem Wie berechtigt, weil man noch mehr Beisiele für misslungene Vergleiche finden wird.
"Am 21.4.1951 hielt Benn in Marburg einen Vortrag mit dem Titel Probleme der Lyrik, dessen Thesen über ein Jahrzehnt die Lyrik-Debatten in Deutschland beeinflussten. (Wikipedia)
Man wird noch mehr gelungene Vergleiche finden, nicht nur bei Goethe. Gleichwohl ist die Warnung Benns vor dem Wie berechtigt, weil man noch mehr Beisiele für misslungene Vergleiche finden wird.
"Am 21.4.1951 hielt Benn in Marburg einen Vortrag mit dem Titel Probleme der Lyrik, dessen Thesen über ein Jahrzehnt die Lyrik-Debatten in Deutschland beeinflussten. (Wikipedia)
also vermutlich auf dem vortrag 1951 aufbauend. hier sein einziger auftritt im dt. fernsehen, mit thilo koch: hier. ab 1938 ging benn auf konfrontation mit den nazis. im interview wirkt benn zurückhaltend und bescheiden.
Ich hatte den Ausschnitt aus dem Interview, das einem den Menschen Benn näher bringt, bisher noch nicht gesehen und danke dir dafür.
Pocahontas (54)
(21.09.13)
(21.09.13)
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Muchas gracias, Sigi, das sind doch Argumente, ganz gleich, ob sie jemand Punkt für Punkt teilt.
Mir ging es letztlich darum, überhaupt Kriterien für die Bewertung von Lyrik zu diskutieren anhand von Äußerungen erfahrener Lyriker und nicht einfach frei Schnauze in Wohlgefallen zu schwelgen oder abzuqualifizieren.
Liebe Grüße
Ekki
Mir ging es letztlich darum, überhaupt Kriterien für die Bewertung von Lyrik zu diskutieren anhand von Äußerungen erfahrener Lyriker und nicht einfach frei Schnauze in Wohlgefallen zu schwelgen oder abzuqualifizieren.
Liebe Grüße
Ekki
wa Bash (47)
(21.09.13)
(21.09.13)
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Merci, wa Bash. Ich finde es schon sinnvoll, dass Benn erklärt hat, wie ein modernes Gedicht nicht sein soll.
Natürlich hat er mit seinen eigenen Gedichten "die herausragenden Stilcharakteristika der aktuellen Zeit" Gestalt werden lassen. Er war wohl zu wenig Pädagoge, um sie auch theoretisch zu erklären. )
LG
Ekki
Natürlich hat er mit seinen eigenen Gedichten "die herausragenden Stilcharakteristika der aktuellen Zeit" Gestalt werden lassen. Er war wohl zu wenig Pädagoge, um sie auch theoretisch zu erklären. )
LG
Ekki
Benn hätte nie den Titel "Wie schreibt man gute Lyrik?" gewählt. Man beachte auch den humoristischen Ton seiner Ausführungen. Kochbücher für Gedichte kann es dem Wesen der Sache nach nicht geben. Ich denke, es ging ihm mit seiner Kritik um ähnliches wie mir mit der Kategorisierung von Menstruationslyrik. Man versteht atmosphärisch das Gemeinte, konkrete Hilfestellungen oder gar eine Dogmatik bleiben indes unableitbar.
3 Gegenthesen:
1. Wie-Vergleiche sind das Wesen jeder Poesie, egal ob das Wörtchen in einem Gedicht nun fällt oder nicht. Es liegt daran, dass der Gegenstand von Dichtung immer unbestimmt bleibt. Denn wäre er bestimmt, fiele er ja in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft. A rose is a rose is rose. Wer Lyrik zu schätzen weiß, wird wissen, dass hier natürlich von Pferden die Rede ist.
2. Ähnlich wie in der Musik ist in der Lyrik synästhetisches Farbempfinden das A und O. Ein Gedicht, das nicht seine Farbe hat, ist keines.
3. Seraphischer Ton: Ob nun Seraphim, Cherubim oder Persil. Ganz ohne Weißwaschmittel kommt niemand aus, der nicht in der Alltagssprache stecken bleiben will.
Hier noch ein Gedicht. Es handelt sich um Benns
Blaue Stunde
Ich trete in die dunkelblaue Stunde -
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen – Du!
Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
dies ist das Ganze und der letzte Zug.
Das Schweigende ist so weit fortgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde – nichts gehofft und nichts gelitten –
mit ihrer Schale später Rosen – Du.
Verglichen wird immerhin nur mit nichts und gesündigt wird nur mit der Farbe Blau. Weder Seraphim noch Cherubim standen Pate, es riecht auch nicht nach Persil, aber der Altmännerduft ist doch ganz himmlisch.
(Kommentar korrigiert am 21.09.2013)
3 Gegenthesen:
1. Wie-Vergleiche sind das Wesen jeder Poesie, egal ob das Wörtchen in einem Gedicht nun fällt oder nicht. Es liegt daran, dass der Gegenstand von Dichtung immer unbestimmt bleibt. Denn wäre er bestimmt, fiele er ja in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft. A rose is a rose is rose. Wer Lyrik zu schätzen weiß, wird wissen, dass hier natürlich von Pferden die Rede ist.
2. Ähnlich wie in der Musik ist in der Lyrik synästhetisches Farbempfinden das A und O. Ein Gedicht, das nicht seine Farbe hat, ist keines.
3. Seraphischer Ton: Ob nun Seraphim, Cherubim oder Persil. Ganz ohne Weißwaschmittel kommt niemand aus, der nicht in der Alltagssprache stecken bleiben will.
Hier noch ein Gedicht. Es handelt sich um Benns
Blaue Stunde
Ich trete in die dunkelblaue Stunde -
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen – Du!
Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
dies ist das Ganze und der letzte Zug.
Das Schweigende ist so weit fortgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde – nichts gehofft und nichts gelitten –
mit ihrer Schale später Rosen – Du.
Verglichen wird immerhin nur mit nichts und gesündigt wird nur mit der Farbe Blau. Weder Seraphim noch Cherubim standen Pate, es riecht auch nicht nach Persil, aber der Altmännerduft ist doch ganz himmlisch.
(Kommentar korrigiert am 21.09.2013)
Toltec, dein geistreicher Kommentar ließ mich schmunzeln. Ich habe deine Gegenthesen cum grano salis gelesen. Für den, der bereit ist, deinen Abstrahierungsschritt mitzumachen, stimmen sie.
Danke, auch für die schöne Beigabe der Blauen Stunde.
LG
Ekki
Danke, auch für die schöne Beigabe der Blauen Stunde.
LG
Ekki
Schrybyr† (67)
(30.09.13)
(30.09.13)
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Vielen Dank, Karlheinz, dein Zitat ist insofern wichtig und weiterführend, als Benn darin positiv ausdrückt, worauf es bei innovativer Lyrik ankommt, nämlich Worte zu verwenden, die es noch nicht gibt. Mir leuchtet ein, dass ein revolutionärer Gedanke der sprachlichen Erneurung bedarf.
LG
Ekki
LG
Ekki