Der "Kleine Heinrich"

Kurzprosa

von  niemand



Eigentlich war das ja immer ein ganz gewöhnlicher Laden. Klein, aber mit normalen Waren des täglichen Gebrauchs bestückt. Die Nähe zur Wohnung war auch nicht übel. Ein kleiner REWE eben, den ich ab und an mal betreten habe, um mich mit dem und jenem zu versorgen. Doch dann kam der Besitzerwechsel. Zu behaupten „ab da an ging es bergab“ wäre sicher vermessen, dennoch hatte ich das Gefühl, den Kauf dieses Geschäftes hat sich ein Vogel mit einem Kaninchen geteilt. Warum, wie? Das lag am neuen Sortiment. Regale über Regale. Körner der verschiedensten und gesündesten Art. Beim Vorbeigehen hatte ich immer das Gefühl ein Wellensittich zwitschert mir den allzu bekannten Satz „Heute schon Jod-s-11-Körnchen gehabt“? Das bekannteste aller Körner war der Reis, aber nur als Vollkornprodukt und Bio, natürlich. Versteht sich ja von selbst! Auf der anderen Seite Gemüse und Salate. Bekannt und unbekannt, rundköpfig, Stangen ähnlich, gekräuselt, glatt, platt, gewalzt, gewickelt, geschnitten, geölt und gepfeffert, sprich angemacht und fein säuberlich in Plastikschalen drapiert, das passende Toping natürlich immer daneben. Wieso auch nicht, obwohl Plastik und Heut-Zeit? Na, ja, müsste man eigentlich besagten Vogel und das Kaninchen hierzu befragen, aber die ließen sich nicht so gerne blicken. Natürlich hatte der Laden auch mal hier und dort ein ganz normales Produkt versteckt. Man will ja heutzutage niemanden ausschließen, zumindest theoretisch. Wollte man jedoch ein solches Produkt kaufen, hat das Personal dieses dermaßen versteckt, dass man ein Gefühl von Rache bekam. Rache am Otto Normalverbraucher. Ist ja auch unverschämt einer zu sein! Was hat ein solcher denn schon zu bieten, der hat ja noch nicht mal eine App, der Depp! Solcher latscht ja auch nur gewöhnlich hinter seinem Einkaufswagen und stört den Vorbeiflug der Selbst-Optimierer auf der Jagd nach dem neuesten und gesündesten Nahrungsmittel, das ihnen mindestens ein Lebensalter von 90 Jahren verspricht, manchmal auch 110. Umflattert von solchen Überfliegern, versucht man ganz schnell noch etwas Normales zu ergattern und trottet zur Kasse, welche mit Personal besetzt ist. Noch gibt es dort eine. An den anderen darf man selbst scannen. Das ist der reinste Schwalben-Flug. Rechts und links flattern sie herbei und ziehen ihre Gesundheitsartikel durch den Scanner. Vom Gepiepse der Scanner genervt, packe ich meine drei Dinge aufs Normalo-Fließband und wundere mich, dass hinter der Schutzscheibe kein Wellensittich erscheint. Meine Frage nach einem nicht gefundenen Artikel wird von der Dame etwas spröde beantwortet. Na, wenigstens kann ich ihr einen großen Schnabel bescheinigen. Die Ausgangstür klemmt ein wenig und so vermisse ich das Kaninchen, welches mir dort wenigstens ein schönes Wochenende wünschen könnte, oder ein gesundes. Oder vielleicht beides.



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