Die Schachtel

Kurzprosa zum Thema Enttäuschung

von  niemand

Die Schachtel Pralinen, welche ihr die Großmutter schickte, hatte einen Zauber den sie bisher nicht kannte. Sie war weich wie ein gestepptes Kissen, Gold glänzend und mit einem bunten Bild versehen, einem Bild das wie ein Tor ins Traumland wirkte. Alles in ihrem Kinderleben verlief praktisch, sachlich, ohne jeglichen Schnörkel und dann diese wunderbar verpackten Süßigkeiten. Jeden Morgen aß sie eine Praline, damit sie lange reichten und ihr Zauber nicht so schnell verflog.

Eines Tagen waren sie alle aufgegessen. Es dauerte eine Zeit lang, bis sie sich von der Schachtel trennen konnte. Sie war zu schön. Irgendwann verflog dann der Duft der Schokolade und Mutter räumte das leere Ding einfach weg.

Jahre vergingen und das Geschehene geriet in Vergessenheit. Bis gestern. Gestern, beim Aufräumen des Speichers, fand sie die Schachtel wieder. Verstaubt, unter einem alten Tisch. Vorsichtig blies sie die Spinnweben von dem verblassenden Gold. Ihre Hand glitt über das inzwischen reichlich verblichene Bild und sie spürte wie es ihre Gedanken rückwärts zog. Rückwärts aus ihrem immer noch praktischen Alltag, ohne überflüssiger Schnörkel, wie sie es immer noch nannte.

Morgen, morgen kaufe ich mir eine Schachtel dieser Pralinen, dachte sie. In dem ihr bekannten Schokoladen-Geschäft lag nämlich genau die gleiche in der Auslage. Vor Tagen schaute sie, im Vorübergehen, in das Schaufenster. Irgendetwas kam ihr altbekannt vor. Jetzt wusste sie endlich warum. Ich esse dann aber auch nur eine Praline täglich. Es soll nämlich genauso sein, wie es einmal war. Diesen Zauber wollte sie wieder erleben.

Am nächsten Tag saß sie da, die gekaufte Schachtel auf ihrem Schoss und nahm eine Praline. Sie aß bedächtig und langsam und in Erwartung des Besonderen. Doch es kam nichts. Sie nahm eine zweite, schloss die Schachtel und wartete. Immer noch nichts. Sie nahm noch eine, schloss die Schachtel, schaute auf das Bild, nahm eine weitere, schloss und öffnete und aß weiter und weiter. Doch nichts kam, außer einer leichten Übelkeit.

Geschmacklose Dinger, dachte sie und legte die halb geleerte Schachtel weg.
Und eigentlich, schoss es ihr durch den Kopf, ist doch dieses bunte Ding verdammt kitschig.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (28.11.19)
Hallo Irene, sie tut mir leid. Ich habe gut reden, wenn ich sage, sie hätte wissen müssen, dass man den Zauber der Jugend nicht zurückholen kann.
Liebe Grüße
Ekki

 niemand meinte dazu am 28.11.19:
Nein, in der Tat, es lässt sich weder der Zauber der Jugend, noch der einer Kindheit zurückholen und dennoch versucht es der Mensch ab und an in einem Anfall von "es könnte doch, vielleicht..
wenn ich es nur ähnlich gestalte ..." Und der Enttäuschte spricht dann von "besseren Zeiten", aber es gibt keine, nur man selber
war anders, hat anders [tiefer, unverbrauchter?] empfunden ...
Mit liebem Dank und lieben Grüßen zurück, Irene
Sätzer (77)
(28.11.19)
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 niemand antwortete darauf am 29.11.19:
Gibt es diese "DIVA" wirklich? Kenne ich nicht, aber vielleicht sollte ich sie mal kosten
Mit lieben Grüßen und Dank, Irene
Sätzer (77) schrieb daraufhin am 29.11.19:
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 AchterZwerg (29.11.19)
Liebe Irene,
es ist vielleicht nicht nur der Zauber der Jugend, der hier reanimiert werden soll. - Nicht alle alten Menschen wünschen sich den zurück.

Für mich liest sich das eher (oder auch) als melancholische Rückbesinnung auf ein Glück, das in den einfachen Dingen gelegen hatte. Als eine Praline noch die Welt bedeuten konnte.

Besonders gut gefällt mir das Ende deiner Prosa: Um die aufkommende Traurigkeit abzuwehren, sagt sich die Protagonistin: "So schön wird das wohl nicht gewesen sein. Bei genauerer Betrachtung ..."

Verständnisvolle Grüße
der8.

* Ich selber kann mich übrigens noch ganz genau an den Geschmack meines ersten Pfirsichs erinnern, den mir, als kleines Kind, ein freundlicher, schwarzer, breit lächelnder GI schenkte.

 niemand äußerte darauf am 29.11.19:
Genau so ist es, liebe Heidrun. Diese "einfachen Dinge" weiß man zu schätzen in Zeiten des Mangels, oder man besinnt sich, so weit man es noch kann, darauf in Zeiten des Überflusses.
Ich kann mich noch an den Geschmack der ersten Apfelsine erinnern, die unsere Oma uns per Paket sandte. Dieses Aroma
finde ich heute nicht mehr, aber das liegt daran, weil sie jederzeit greifbar sind diese Früchte
Die sogenannten "besseren Zeiten" sind immer sehr subjektiv.
Das Empfinden solcher liegt in uns, in unserer Intensität, welche mit der Zeit nachläst.

Mit liebem Dank und lieben Grüßen zurück, Irene
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