Rostklopfen retrospektiv

Kurzgeschichte zum Thema Arbeit und Beruf

von  Koreapeitsche

Rostklopfen ist eine sehr subtile Art und Weise, alte Schiffsfarbe von den Schiffsaußenwänden zu entfernen. Dabei wird mit der spitzen Seite des Hammers einfach auf die Farbe geschlagen, bis die Farbpartikel absplittern.


Die zu Teenage Skinheads konvertierten Teenage Ex-Punks wurden 1984 von der Stadt Kiel so richtig gefobbt. Der Sommer war brutal heiß. Nach wenigen Tagen Rostklopfen fing die Fantasie an zu arbeiten. Irgendwer gab dem Zweimaster „Asgård“ einen neuen Namen und nannte ihn „Ghost“ - nach dem havarierten Schiff in Jack Londons Roman „Der Seewolf“. Das kann nur Heimerich gewesen sein. Der hatte damals sogar von Traven „Das Totenschiff“ gelesen. Der neue Schiffsname dramatisierte unseren unbezahlten Arbeitseinsatz fürs Jugendamt umso mehr. Bald war nur noch von der „Ghost“ die Rede.
      „Werde erstmal auf die Ghost rübergehen und eine Pause machen.“
      „Mach das!“
Einige kamen morgens besoffen „zur Arbeit“ und verabschiedeten sich nach wenigen Minuten Rostklopfen, um auf den Zweimaster Schlaf nachzuholen.
      „Ich verschwinde mal auf die Ghost und nehme eine Kappe Schlaf.“
      „Ja, schlaf mal deinen Rausch aus.“
      „Du Trantüte.“
Der Zweimaster bestand fast komplett aus Holz, das alt und trocken war, jedoch nicht morsch. Deshalb war es verboten, auf der Asgård zu rauchen. Sie hätte gebrannt wie Zunder. Wer eine durchziehen wollte, machte das auf dem Motorschiff unter Deck in der Sitzniesche oder oben an Deck, wo wir arbeiteten.
      An einem Tag zog ich mein 4-Skins-T-Shirt an, hatte jedoch nicht bedacht, dass ich es beim Rostklopfen einsauen könnte. Jetzt stand ich morgens um 7 Uhr in dem T-Shirt an Deck mit hochgekrempelter Jeans, Hosenträgern und kirschroten Docs und begann widerwillig mit dem Rostklopfen. Es gab wieder Streit um das beste Werkzeug, ob 500-g- oder 300-g-Hammer, Meißel, Schaber und Vorschlaghammer.
      Ich arbeitete mit Antipathie. Mir wurde klar, dass ich drauf und dran war, mein bestes T-Shirt zu ruinieren. Ein rot-weiß-schwarzes 4-Skin-Shirt ist keine geeignete Arbeitskleidung für einen Drecksjob wie Rostklopfen. Ich wurde so richtig misslaunisch, als ich zum ersten Mal Farbsplitter aus dem T-Shirt schüttelte. Weshalb tat ich mir das an? So würde ich mein 4-Skins-Shirt ruinieren. Und was sollte das Theater mit dem Jugendamt? Wir bekamen ja nicht mal einen Hungerlohn, über den wir uns hätten aufregen können, wir bekamen überhaupt nichts, einen „Schlach an’n Hals“ und am Ende nicht einmal die versprochene Schiffstour mit der „Asgård“. Diese Resozialisierungsmaßnahme war pure Ausbeutung, ja sogar verächtliche Sklavenarbeit. Es gab kein Ziel, keine Pädagogik geschweige denn Professionalität. Wir sollten durch diese Arbeit gebrochen werden. Das Jugendamt ließ die Kids of the 80s als Werftsklaven die niederste Arbeit verrichten und sich die Gesundheit ruinieren.
      Nachdem der Job erledigt war erzählten wir unzähligen Leuten von dem Jugendamt-Skandal mit dem Rostklopfen, dass wir in pseudo-krimineller Weise über den Tisch gezogen wurden. Im Rathaus hatten offensichtlich  Leute das Sagen, die schon im 3. Reich die Arbeitslager geleitet hatten. Wir alle waren uns einig, dass das Jugendamt bösartig und fahrlässig handelte, um junge nicht konforme Menschen auf Linie zu bringen.
      Wenn ich mir den ganzen dreckigen Job noch einmal vor Augen führe, die Splitter der rostigen Bleifarbe, die eingedreckten Klamotten und die blutigen Fingernägel, obwohl wir in der Schule hätte sein müssen, - so war es einfach nur grausam, was das Jugendamts mit uns veranstalteten.
      Alle drei straffälligen Skins, die hier ihre Maßnahme ableisten sollten, sind mittlerweile längst tot. War das von den Entscheidern im Rathaus so gewollt? Sollten die jungen Menschen möglichst tief und irreparabel abstürzen? Die gaben ja nicht einmal eine Mark Stundenlohn für die Drecksarbeit. Und dann auch noch den Wunsch zu äußern, die Schüler sollen auf der Schiffsbaustelle möglichst acht Stunden am Tag mitarbeiten, nur weil sie Teil der Skinheadklique waren.
      Wir hämmerten an Bord in variierender Gruppenstärke, vor allem die Protagonisten Gonnrad, Mig und Stidi, die zu dieser kriminellen Rehabilitation verdonnert waren. Hinzu kamen Radke, Ringo, Heimerich, Steff, Vielmann, Rollant und weitere, die sich aus Solidarität zumindest mal blicken ließen, um  kurz mit anzupacken oder nach der Arbeit mitfeiertenten. 
      Das Schiff schaukelte, Möwen kreischten. Es roch nach Öl oder Benzin. Die Schaukelbewegungen erzeugten rhythmische Knartschgeräusche. Im Hintergrund waren Schiffsgeräusche zu hören, Dampfertuckern und schwappendes Wasser. Wir sahen Ölschlieren auf der Wasseroberfläche, dazu andere Rückstände, die nicht ins Meer gehörte - teils organische Substanzen, teils anorganische Abfälle.
      Wir hämmerten fleißig und produzierten Farbsplit, Schweißtropfen, dumme Witze, Oi’s, leere Bierdosen, Kippen, Lärm, Hassfressen, Hackfressen, Zigarettenrauch, böse Blicke, Rotz, Goller, gute Laune, schlechte Laune, Saufpläne, Rufmorde, Schmerzen, Pausen, ernsthafte Arbeit, Vibrationen, Schallwellen, kaputtes Werkzeug, Feelings, Arbeitsmoral, Prahlerei, Sinnlosigkeit, Gerüchte, Muckis, Streit, Dreck, fegten die abgehämmerten Farbreste zusammen, nahmen sie auf und kippten sie in Mülltüten.
      Gonnrad war als erster misstrauisch und ahnte, dass mit dem Deal mit dem Jugendamt etwas faul sein könnte. Der Kontaktmann vom Amt schaute immer wieder zu kurzen, unfreundlichen Stippvisiten vorbei und wirkte wie der Bewährungshelfer aus Clockwork Orange - ein Mr. Deltoid.
      Die Spuntwände waren rostig. Die Möwen tippelten hastig. Die Holzpoller waren gesplissen. Die Wasseroberfläche war wellig aber glatt. Der Himmel war hellblau. Die Sonne brannte. Es roch nach Fischverarbeitungsrückständen. Es roch nach Muscheln, Algen, Tang und Möwendreck.
      Ich bin mir nicht sicher, ob wir am Ende alle Außenwände der Schiffsaufbauten von der Industriefarbe befreit hatten. Normalerweise hätte das im Trockendock geschehen müssen, denn auch die Schiffsaußenwände des Schiffsrumpfes trugen Bleifarbe. Die Sache wurde immer obskurer und wir immer skeptischer.
    Wenn alles zusammengerechnet würde, kämen für diesen Arbeitseinsatz von 8 bis 10 Teenager sicher eine 5-stellige Zahl an unbezahlten Arbeitsstunden zusammen. Auch die Kosten der versprochenen 2-wöchige Schiffstour mit der „Asgård“ sparten sich oder steckten sich das Geld selbst in die Tasche. Darüber hinaus wurde den Teenagern für diese dreckige Arbeit weder Schutzausrüstung noch Arbeitskleidung gestellt. Unerlässlich wäre pro Person eine Schutzbrille wegen der Farbsplitter gewesen, wegen des Hämmerns auf Metall ein Gehörschutz, ein Mundschutz für abfliegende Kleinstpartikel, auf jeden Fall Schutzhandschuhe wegen der scharfen Splitter, dazu Arbeitsschuhe, da mit schwerem Werkzeug wie Vorschlaghämmern hantiert wurde. Statt Arbeitsschuhen trugen wir unsere Docs mit Stahlkappen.
      Auf einer ordentlichen Werft wäre bei Rostklopfarbeiten ein Schutzhelm erforderlich gewesen. Doch dieser Drecksjob passierte an einer Anlegestelle an der Schwentinemündung. Ich möchte nicht wissen, was da am Ostufer so alles an Industrierückständen rumätzt, um Meereslebewesen zu quälen und zu schädigen.
      Wo waren übrigens die Schwimmwesten? Wo war der erste Hilfe Koffer. Wo war die definitiv nächste Telefonzelle? Jemand riss einen halben auf. „Zisch“. Es lief Oi-Musik. “I’m running through the backstreet. Oi, oi, oi.“
      „Mach lauter!“
Da sich das Jugendamt all dies Schutz-Kit, Lohngeld und Reisekosten sparte, zeichnete sich ab, dass die Maßnahme keine gutgemeinte Hilfestellung für fehlgeleitete Jugendliche war, sondern eine durchweg bösartigen Strafmaßnahme, mit der die Skins kontrolliert, destabilisiert und desintegriert werden sollten. Es hätte alles so schon werden können.


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Kommentare zu diesem Text


 Isensee (03.11.24, 14:39)
Junge Skinheads kloppen Rost runter und werden vom Jugendamt dabei wie Dreck behandelt – alles vor dem Hintergrund der 80er Jahre, als Kiel offenbar ein Nirgendwo war. Schweiß, Zigaretten, Hämmer und jugendliche Wut – das ist der Mix, den uns der Autor serviert.

Die Geschichte schleppt sich. Das Bild, das der Text zeichnet, wird von endlosen Details ertränkt: Wie oft man den Hammer schwingen muss, wer wo raucht, und wie die Arbeitskleidung leidet. Alles schön und gut, aber irgendwann fragt man sich, ob das hier eine Kurzgeschichte ist oder die Gebrauchsanweisung fürs Rostklopfen.
Der Stil? Behäbig und nostalgisch. Ein bisschen Straffung, weniger Seitenhiebe auf die Stadt und dafür mehr Fokus – das hätte der Geschichte gut getan. Statt eines wütenden Trommelfeuers kriegt man leider ein labbriges Händeklatschen.


Die Geschichte hat durchaus Charme und fängt die düstere Stimmung von damals gut ein. Die bittere Ironie und der Kampfgeist der Protagonisten sind spürbar und geben dem Text einen authentischen Touch. Er kratzt am Potenzial, wirklich aufzurütteln, stolpert jedoch etwas über seine Detailversessenheit. Straffungen könnten das Ganze prägnanter machen, ohne die Wucht zu verlieren. Da schlummert echtes Erzähltalent – vielleicht nächstes Mal mit einem etwas klareren Fokus.

 Koreapeitsche meinte dazu am 03.11.24 um 20:39:
Vielen Dank, liebe/r Isensee. Ich habe Deine harten Worte ernst genommen und den Text noch einmal überarbeitet.
Ich hoffe, Du verstehst die Story nicht mehr als Gebrauchsanweisung fürs Rostklopfen. Mit "behäbig" konnte ich nichts anfangen. Meinst Du damit "schwerfällig"? Der Satz "Statt eines wütenden Trommelfeuers kriegt man leider ein labbriges Händeklatschen" ist doch bestimmt von ChatGPT, oder?

 Isensee antwortete darauf am 03.11.24 um 22:20:
Vielen Dank! Ich kombiniere die Fähigkeiten von ChatGPT und Neuroflash. Ich speise beide Systeme kontinuierlich mit neuen Daten und scanne alles, was möglich ist, um meine eigene Sprachweise zu integrieren. Die Ergebnisse verbessern sich stetig, und die KI wird immer weniger als solche erkennbar. Was hältst du davon?

 Koreapeitsche schrieb daraufhin am 04.11.24 um 11:51:
Ich bin geflasht.

 Isensee äußerte darauf am 04.11.24 um 12:11:
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