Delilah

Erzählung zum Thema Verlust

von  Quoth

Samson wurden von seiner Geliebten die Haare abgeschnitten und er verlor seine Kraft. Dir wurden sie von einem Samson namens Sarkom abgeschnitten, und Dein äußerer Mensch verdarb, aber der innere wurde von Tag zu Tag stärker, bis er riesenhaft über Dir und uns emporwuchs. Mutig und lächelnd gingst, ja, tänzeltest Du Deinem Tod entgegen, tröstetest uns, die wir Dich zu trösten bald aufgaben, weil Du uns von der Kraft abgabst, die Dich das Unerträgliche ertragen ließ. Als die Diagnose aber vollstreckt wurde, denn sie war ein Todesurteil gewesen, rissest Du wie Samson mit Deiner Riesenkraft einen Pfeiler ein, der das Haus unseres Lebens stützte, und nun steht es schief und droht ganz einzustürzen. Denn dieser Pfeiler warst Du selbst – und wir haben es nicht gewusst!

Was zählen eigene Erinnerungen noch vor der ungeheuren Lücke, die Du hinterließest?! Erinnerungen an Dich sind es, die sich mir aufdrängen. Rittest Du nicht 2003 auf dem Turnier von Smithers und gewannst eine Schleife? Halfst mit Deiner Gastschwester, die Dich auch betrauert, auf der Ranch Trakehnerhof bei Hazelton Pferden bei der Geburt ihrer Fohlen? Führtest Touristengruppen zu Pferde um den Teide auf Teneriffa? Standest einer unglücklich in Costa Rica verheirateten Reitlehrerin bei, sich von ihrem Macho von Mann zu trennen, und nun stand sie, die Dich zur Patin ihrer beiden Söhne machte, weinend auf dem Melaten am ausgehobenen Loch, in das Dein fassungsloser Mann Deine Asche versenkte? Halfst Du nicht den Massai in Kenia, durch Grasbanken ihr lebenswichtiges Vieh abzusichern? Bauern in Namanga und Makueni, besseres Saatgut und zähere Ziegenrassen zu nutzen? Entlassene Straffällige zu Seifensiedern und Joghurtmachern auszubilden? Aidswaisen Schulunterricht zu ermöglichen? Schrieben sie Dir nicht einen Nachruf: „She was a light to everyone she met. She was a good listener. May her soul rest in eternal peace, Amen“? Und war nicht die einzige Angst, die Dich ergriff, die um Dein größtes Glück, Deine zweieinhalbjährige Tochter, da sie sich Deiner wohl nie erinnern würde?

Wie erinnere ich mich an die Vierjährige die mit rosa Sonnenhut und in blauem Kleid über den Markt von San Gimignano tanzte! Die so erschrocken und begeistert war, als ihr im Wald bei Volterra ein Kaltblüter entgegenkam, der sich losgerissen hatte! Die einen Molch aus einem der vielen Brunnen so sorgsam und zärtlich in der Hand hielt! Die laufen lernte, indem sie sich einfach vornüberfallen ließ und mit trippelnden Schritten das Hinfallen unterlief!

Die wenigen Lebensjahre, die ich noch zu erwarten habe, wie gern hätte ich sie Dir, die halb so alt war, gespendet! Aber auf einen solchen Handel lässt Frau Tod sich nicht ein. Fast schäme ich mich meiner überflüssigen, wenn auch wackligen Gesundheit! Aber vielleicht kann ich meiner Enkelin noch ein wenig von Dir, der wunderbarsten, geschorenen Delilah erzählen, die noch die Kraft fand, mit Perücke und in weißem Hochzeitskleid in der Rentkammer des alten Rathauses mit seinen Kreuzgewölben zu heiraten und kurz darauf Trauzeugin ihrer geliebten Schwester zu sein, die sie so treu bis zur bitteren Erlösung begleitet hat!



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