Konkordanz AG 1969

Erzählung

von  Quoth

478 ist ein besonderes Büro: Hier sind vier der fünf Mitarbeiter Ausländer. Der Bürovorsteher, dick und immer schwitzend, verschwindet um 10 Uhr auf dem Klo, nimmt ein Mangaheft mit, in dem die Penisse ausgespart und weiß sind. Der ungarische Kollege ahmt sein Gestöhn auf der Toilette nach. Das ist einerseits taktlos, andererseits aber auch umwerfend lustig.

Farkas hat dem Primasz, der auf seiner Hochzeit in Buda das gewünschte Lied nicht spielen wollte, die Stradivari auf dem Kopf zerschmettert. Echt magyarisches Temperament! Er musste mit seinen Eltern fliehen, weil sie mit den „Aufrührern“ Imre Nagy und Pal Maleter befreundet waren.

Xaver, der Münchener Kollege, ist etwas undurchsichtig. Er bekennt, wie er die Fahrt zu den verhassten Schwiegereltern vereitelt hat: Er hat drei Stück Zucker in den Bezintank getan. Er raucht eine 20er Rothändle täglich, und das bei geschlossenen Fenstern. Aber das ist normal!

Die schielende Naive aus Köln, die sich immer so lustig verschreibt („Sehr gelehrte Herren!“ oder „Mit feindlichen Grüßen“) und dem Bürovorsteher „Einblicke“ gewährt. Er schaut mit einem Opernglas auf ihre schwarz bestrumpften Beine unterm Tisch, die sie mal so, mal so herum knirschend übereinanderschlägt.

Gerd kommt aus Düsseldorf und vermisst sein Altbier bitterlich: "Diese Lagerbierjauche hier ist doch untrinkbar!" Eines Tages fehlt er und entschuldigt sich: Er habe eine Angina.  "Was?", lacht Farkas: „Eine Angina? Er meint eine  V a g i n a !“

Xaver verdanke ich einen guten Rat. Die Bank weigerte sich, mir ein Nummernkonto einzurichten, weil ich Ausländer sei. "Richte dir ein Sparkonto ein, merk dir die Nummer und wirf das Sparbuch weg. Dann hast du ein Nummernkonto! So machen es alle Ausländer!"

Ich hatte gehört, unter dem Paradeplatz lägen in bombensicheren Gewölben Tonnen von Gold, und dachte: 'Dort die Treppe führt bestimmt zu den Kellern hinab!' Aber da unten waren nur Toiletten, in denen sich Herren und Jünglinge tummelten und so mancher Seufzer erscholl.

Unser Abteilungsleiter kommt einmal wöchentlich vorbei, schüttelt uns die Hand und ist die besorgte, väterliche Freundlichkeit selbst. Er fragt manchmal ein bisschen viel – wie wir wohnen und womit wir unsere Freizeit verbringen. Um uns Ausländer muss er sich eben kümmern! Er soll drei Frauen im Gelben Schloss haben, da bringen die hohen Herren ihre Exgeliebten unter.

Beim Rioja in der Wystube Isebähnli erzählt Xaver mir, wie er, CSU-Mitglied, sich hat vom tschechischen Geheimdienst „umdrehen“ lassen und ohne Papiere Hals über Kopf flüchten musste, als es herauskam. Er darf nur bleiben, weil er eine Schweizerin gefunden hat, die ihn geheiratet hat, ohne zu wissen, auf wen und auf was sie sich einließ.

Auf Hawaii haben wir einen hoch rentenversicherten Dreiundneunzigjährigen, der alle Vierteljahr ein Foto schickt, auf dem er mit einer Blondine oder einem Hawaiimädchen und einem roten Ferrari oder blauen Porsche posiert, um uns mit der Aussicht zu ärgern, dass er uralt werden und uns noch viel Geld kosten wird. „Bei 57.338 Fränkli monatlich kann da noch Einiges auf die Konkordanz zukommen!“, meint Gerd. „Das zahlt die Konkordanz aus der Portokasse,“ sagt Xaver, Rauch ausstoßend.

Farkas zeigt mir einen weißhaarigen Mann unten im Arboretum. Er sitzt auf einer Bank, liest nichts, schaut aber immer wieder zu uns herauf. „Was meinst du, wer das ist?“ Ich rate es nicht. „Unser früherer Bürovorsteher.“ Farkas lacht. „Eines Tages sitzen wir auch da unten und sehnen uns nach der geborgenen Welt im Würstlibunker!"

„Ich musste mich nachrichtendienstlich überprüfen lassen,“ erzählt mir der undurchsichtige Xaver in der Wystube Isebähnli beim Rioja. „Drei Herren saßen mir gegenüber – und stell Dir vor: Sie wussten genau, wo ich immer meinen Wein trinke, nämlich hier! Und mit wem, nämlich mit dir! Und einer von ihnen trug die Uniform eines Obersten, ich erkannte ihn erst gar nicht. Rat mal, wer das war! Du kennst ihn auch!“ Nun ja, es konnte nur der mit den vielen Fragen sein! Aber aus guten Gründen nenne ich seinen Namen nicht! 😊



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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (19.04.24, 07:23)
Geschichten, die das Leben schreibt!  8-)
 
Mein Favorit ist Gerd, dessen Melancholie nur allzu berechtigt erscheint ...

 Quoth meinte dazu am 19.04.24 um 10:49:
Vielen Dank, AchterZwerg, habe den Text noch etwas angereichert und mich an einen guten Ratschlag des traurigen Gerd erinnert.
Danke für Empfehlung mit Kommentar!
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