1960

Erzählung zum Thema Wehrdienst

von  Quoth

Vilma weinte, als ich meinen Koffer packte, um zur Luftwaffe einzurücken. Sie hatte ihren Mann schwerkriegsversehrt aus dem Krieg zurückbekommen, und so gern sie alte romantische Soldatenlieder sang oder ihnen lauschte, sie wusste, dass der moderne, technisierte und mit Dynamit und Gas vergiftete Krieg nichts mehr mit dem alten, romantischen zu tun hatte, in dem der Mann noch was wert war. Ich hingegen mochte mich von ihrem Weinen am Bügelbrett nicht zu sehr rühren lassen. Mein Wunsch, einmal ein Internat zu besuchen, war an den Kosten gescheitert, brav hatte ich zu Hause durchgehalten und Abitur gemacht. Einen kleinen Vorgeschmack dessen, was es noch alles zu entdecken gab, hatten mir die Wochen geliefert, die ich als Praktikant im Krankenhaus verbracht hatte: Bettpfannen leeren, Leichen transportieren, ihrer Sektion beiwohnen – mir war etliche Male schlecht geworden, aber gerade das hatte mich begeistert. Neuland betreten – wie dürstete ich danach! Mein Deutsch- und Religionslehrer, eifriger Teilnehmer an Ostermärschen, war tief von mir enttäuscht, hatte er doch geglaubt, der Keim des Pazifismus, den er in mich gelegt, würde aufgehen. Er ging auf, aber in einer Form, der er – durchaus mit Recht! – misstraute. Ich entschied mich für den Dienst in einer Armee, die durch ihr bloßes Vorhandensein, durch Abschreckung den Krieg zu verhindern beitragen sollte. Ich fand, diese Methode sei verlässlicher als das bloße Herbeigepredige von Frieden, das dem Aggressor immer Recht gibt. Und so tuckerte ich mit Bahn und Bus an meinen Bestimmungsort. „Komm ins Offene, Freund!“, fühlte ich mich von Hölderlin ermuntert. Und eine Postkarte von der in ein Internat am Bodensee Entschwundenen hatte ich in der Brusttasche.

Aber ich landete in einer Kompanie, in der zwei Feldwebel aus der Wehrmacht den Ton angaben und sich gegenseitig darin überboten, uns zu schikanieren. Mittels eines genialen Gesetzes, der Wehrbeschwerdeordnung, setzte ich mich gegen sie durch und das brachte mich auf die Idee, doch nicht Medizin zu studieren, sondern Jura. Der Absturz in die Militärrealität war tief und hart. Aber er hat mich viel gelehrt.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (02.04.24, 11:28)
1960 musste sich der Wehrdienstverweigerer einer Gewissensprüfung unterziehen, in der er seine pazifistische Einstellung zu beweisen hatte. Später reichte ein einfaches Anschreiben. Jetzt haben wir eine Berufsarmee. Aber Vorsicht: Wehrdienstverweigerung und Kriegsdienstverweigerung sind zwei Paar Stiefel. Im Falle eines offenen Konflikts gelten wieder andere Regeln.
Die Bügelbrettarbeiterinnen hat die Wehrpflicht bisher in D noch nicht getroffen.

 Quoth meinte dazu am 02.04.24 um 17:18:
Ja, später war ich selbst Beisitzer in so einer Kommission. Wir waren sehr großzügig, obgleich die Verweigerer fast alle dasselbe eingelernte Sprüchlein aufsagten.
Danke für die Empfehlung mit Kommentar.

Antwort geändert am 02.04.2024 um 17:19 Uhr

 eiskimo (03.04.24, 09:35)
Sehr offen und ehrlich, dieser Rückblick in die 60er Jahre und die Zeit "beim Bund".
Einer meiner älteren Brüder hat da "Z - ewig" gemacht, ein anderer verweigert. Ich selber war erst in den 70er Jahren dran, und kam unter Helmut Schmidt in den Genuss des "Haar-Erlasses", durfte - als ich W15 machte - also meine lange Matte behalten.
Die Wehrbeschwerdeordung habe ich - wie Du -  extensiv genutzt, habe wegen Befehlsverweigerung auch tatsächlich "eingesessen", aber damals auch angefangen zu schreiben.
Ich weiß nicht, ab das eine "gute Zeit" war. Verloren war sie jedenfalls für mich nicht.

 Quoth antwortete darauf am 03.04.24 um 12:35:
O, Du warst "eingebuchtet" - Respekt! So weit habe ich es nicht gebracht! Bei uns wurden die "Eingebuchteten" in Manöverzeiten immer hervorgeholt, weil sie oft Draufgänger waren und sich durch besondere Einsatzfreude auszeichneten ... Ohne WBO wäre es nicht auszuhalten gewesen, aber ich habe auch Kameraden zerbrechen und im Alkohol landen sehen, von "Schule der Nation" kann also keine Rede sein. Keine gute, aber auch keine verlorene Zeit, darin stimme ich mit Dir überein.
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